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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 24.04.2011

Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Michael Plathow


„Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden!"

Liebe Gemeinde, diese Ostergeschichte will uns hineinnehmen in unsere Auferstehungswege: „Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden."

1. Mitten in der Nacht, so erzählt der Evangelist Matthäus, also gleich nach Ende der Sabbatruhe, gehen Maria Magdalena und die andere Maria zurück, zurück zum Grab.

Sie waren dabei, als Jesus, der Freund und Lehrer aus Nazareth, gekreuzigt und ins Grab gelegt wurde, als der Stein vor das Grab gewälzt und der Grabstein versiegelt wurde, als dann Wächter ihren Posten bezogen. Alles war abgesichert, der Tod „todsicher". Sie kehren nun zurück zum Grab, trauernd, sich an Erinnerungen festklammernd, wie auch mancher von uns zu Gräbern gegangen ist. Sie folgen den Spuren des Todes hin zum Grab, dem Zeichen der scheinbar siegreichen Todesmacht. Sie wollen sich dort hinsetzen, nur da sein bei dem Mal ihrer zertrümmerten Hoffnungen, ihrer enttäuschten Erwartungen, ihrer unerfüllten Wünsche, in Trauer in sich gekehrt. Allzu verständlich ist dies; auch wir haben unsere Erfahrungen - mit dem Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen, der Enttäuschung über einen geschätzten Vertrauten, dem Zusammenbruch von Plänen, der Ablehnung ohne einsichtigen Grund.

Wir kennen Menschen, oft gerade junge, die nach einem Scheitern meinen, sich selbst nicht mehr annehmen zu können, oder es im Trotz nicht wollen. Wir kennen Menschen, oft gerade ältere, die, sich benachteiligt fühlend, mit dem Schicksal hadernd oder früheren, goldenen Tagen nachhängend, die Gegenwart nicht annehmen. Wir kennen die Spuren des Todes - die Gräber, das Geröll, die Ruinen -, die Trauer und Resignation hinterlassen.

In diesen in sich gekehrten Stillstand, bedrückt von der bleiernen Last nächtlicher Finsternis und beklemmender Trauer, kommt auf einmal Bewegung. Wie ein Blitz fährt der Bote Gottes dazwischen.

In die finstere Nacht bricht das Licht herein, in das tödliche Nichts das Leben, in die heillose Not die Liebe. Die Mitte der Nacht wird der Anfang des Tages. Die ganze Natur nimmt Anteil an dieser Wende; die Erde bebt, als der Stein vom Grab weggewälzt wird. Diese Beschreibung des umwälzenden Ereignisses an Ostern will sagen: Das Ostergeschehen, die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, ist die alles neu machende Tat Gottes. Die Auferstehung Jesu Christi, das Wegwälzen des Steins, der Tod des Todes, ist das eingreifend verändernde Wirken Gottes.

Eine gewaltige Bewegung setzt diese Tat Gottes an Ostern in Gang.

Da sind zunächst die Wächter. Sie bewachen das Grab, sie bewachen die Spuren des Todes. In ihrer dürren Nüchternheit ist der Blick nur auf das Steingeröll der Weltgeschichte geheftet; in ihrem beschränkten Realitätssinn beweisen sie das scheinbar eherne Gesetz des Todes, welches lautet: „Allein der Tod ist todsicher"; mit ihm ist alles aus. Geltung hat nur die eindimensionale Wirklichkeit des Menschen. Ungläubige Furcht und abweisendes Entsetzen packen die Wächter angesichts dieser Tat Gottes. Und da liegen sie nun, eingefangen in das Netz eines hoffnungslosen Kampfes.

Da sind weiter die beiden Frauen. Christus ist auferstanden. Oben auf dem weggewälzten Stein, dem Berg verzehrender Traurigkeit, sitzt der Bote Gottes, der Engel. Er ruft ihnen zu: „Fürchtet euch nicht! Jesus von Nazareth, der gefoltert, gekreuzigt und begraben wurde, ist auferstanden. Er lebt. Er hat die Macht des Todes überwunden. Eure Berge der Sorge und eure Grabsteine der Traurigkeit hat er weggeräumt. Den Verschlussstein vor eurer Herzenstür hat er weggewälzt. Christus: der Sieger. Und nun geht und sagt es weiter: ‚Siehe, es ist alles neu geworden.'" Der Engel am Grab wird so der erste Botschafter des Osterevangeliums.

2. Liebe Gemeinde, Ostern meint nicht nur ein Erlebnis des Goetheschen Osterspaziergangs, nicht nur ein Neuwerden der Natur im Kreislauf von Vergehen und Entstehen, von Stirb und Werde, von uns kritischen Menschen wegen seiner Allgemeinheit geschätzt, auch nicht nur einen Neuaufbruch im gesellschaftlichen Zusammenleben, nicht nur persönliche Wunscherfüllungen nach Kümmernissen. Zu Ostern geht es ebenfalls nicht nur um die mirakelhafte Rückkehr eines Toten zurück ins Leben, eine Art Wiederverkörperung oder Wiedergeburt. Zu Ostern geht es um die Auferstehung Jesu von Nazareth von den Toten, letztlich hierum allein. Diese Botschaft des Engels: „Christus ist auferstanden; er hat dem Tod die Macht genommen und neues Leben und neue Hoffnung uns gebracht", erfährt und widerfährt dem Glauben. Die Auferstehung Jesu Christi am dritten Tag als Tat Gottes, der vertrauensvolle Glaube an diese Tat Gottes und unsere Auferstehung - heute und am jüngsten Tag - gehören zusammen, wie wir mit dem Glaubensbekenntnis gewiss sind.

Die beiden Frauen glauben wie immer wieder Frauen, unsere Mütter und Großmütter, glaubten und glauben. Glauben: das grundlegende, Leben bestimmende Vertrauen auf den, der gut zu uns ist, auf Gott, die Macht, in der das Selbst bewusster Freiheit gründet (S. Kierkegaard). Das aber heißt: Unser Leben wird anders. Das Gesetz des nichtenden Todes ist durchbrochen; die Vorhänge gegen zukunftsoffene Sinnerfüllung sind zerrissen; die Barrieren gegen vertrauensvolle Zuversicht sind zerstört. Der Glauben erschließt das neue Selbst-, Menschen- und Wirklichkeitsverständnis im Licht von Ostern.

Die beiden Frauen sind die ersten, die der Osterbotschaft glauben, und sie sind - nicht davon zu trennen - auch die ersten Zeugen der Auferstehung vor anderen Menschen. Da ist kein Stillstand mehr, keine Mutlosigkeit. Sie hasten zielstrebig, die Auferstehung des Herrn zu verkündigen und seine heilvolle, heilende Verheißung des neuen Lebens. So laufen sie in heiliger Unruhe, wie wir es immer wieder in unserer Kirche erleben. Sie rennen in Furcht, aber noch größerer Freude, die Begegnung mit ihrem auferstandenen Herrn erwartend. Der Evangelist Matthäus nimmt so die Heilsgeschichte der Kirche, des wandernden Gottesvolks, schon voraus.

Man könnte den Eindruck haben, als sei der Weg dieser Osterzeugen eitel Wonne, überstrahlt vom Schein triumphaler Gnadensonne, begleitet von übermütiger Begeisterung. Doch bleiben sie noch auf dem Weg. Die Konflikte, die Anfechtungen, die Grenzsituationen menschlichen Lebens, die Tiefen menschlicher Existenz sind noch da. Durch furchtsame Ungewissheit gehen sie hindurch und werden sie immer wieder getragen zur glaubenden Gewissheit. Furcht und Freude - oder besser: die Bewegung von Angst zur Freude.

Solche Bewegungen kennen wir bis zu einem gewissen Grad auf unseren Lebenswegen, wenn ein neuer Abschnitt beginnt - etwa mit der Hochzeit, zum gemeinsamen Lebensweg in der Ehe, oder wenn Eltern ein Kind erwarten und dann geschenkt bekommen. Diese Glückserfahrungen nach manch ängstlichem Sorgen sind nur vorsichtige Entsprechungen zum christlichen Leben in der Bewegung von Furcht und Freude.

Wie an Ostern durch Gottes Tat der gekreuzigte Jesus auferweckt wurde, so befreit Gott die beiden Frauen von ihrer tiefen Trauer und ungläubigen Angst, so trägt Gott die Glaubenden immer wieder durch Anfechtungen, befreit von Schuld und macht gerecht. Von Ostern her ist die dynamische Existenz der Glaubenden wohl nicht bestimmt von einem hoch gestimmten Enthusiasmus, doch - und gegen dürre Stumpfheit und entleerenden Realitätssinn sei's gesagt - ist sie getragen von gewisser Zuversicht und begleitet vom Osterlachen erlöster Freiheit: Freiheit von Neid, Nichts, Nacht - Freiheit für Liebe, Leben, Licht.

3. Den so in Furcht und großer Freude eilenden Frauen erscheint Jesus, der auferstandene Christus. Er ruft ihnen zu: „Fürchtet euch nicht!" Und er schickt sie los, den Jüngern zu berichten.

Eine gewisse Doppelung ergibt sich damit in dieser Ostergeschichte des Matthäus. Doch wird hieran auch deutlich: Die Begegnung mit dem auferstandenen Christus ist der Ausgangspunkt und der Grund christlichen Lebens, ist der Ausgangspunkt und Grund unserer Auferstehungswege und der Bewegung des wandernden Gottesvolks in alle Welt. Und weiter erkennen wir: Über diesen Bericht von der Erscheinung des auferstandenen Christus, der Begegnung Christi mit den Frauen, kommen wir nicht näher an das historische Faktum, das Geschehen der Auferstehung Jesu Christi, heran, eben an den Vorgang und das „Wie" dieser Tat Gottes.

Die Frauen erkennen Christus, den Freund und Lehrer aus Nazareth. Sie erkennen die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten. Sie fallen nieder; sie umfassen seine Füße; sie glauben über alle „garstigen Gräben" hinweg: „Der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden. Er ist mein Herr, der Kyrios, Christus, der Sieger." Nun aber nehmen sie sich Zeit; nun finden sie Ruhe zum Gebet, zum Gotteslob, zur Anbetung. Dazu gehört eben Zeit, Ruhe, Stille. Das Gebet zum Herrn, der Lobpreis Gottes erweist sich als der Grundrhythmus, der Cantus firmus christlichen Lebens; er ist eigentlich das Zentrum des Lebens der christlichen Gemeinde und Kirche.

Dann aber eilen die Frauen weiter, gesandt vom auferstandenen Christus als Apostel, den anderen Jüngern die frohe Botschaft zu bringen, ihnen: ehemals Abtrünnigen, Angsthasen, in ihren Hoffnungen enttäuschten Zweiflern, Menschen wie du und ich. Und Christus? Er geht zu ihnen mit Worten des Friedens. Er nimmt sie an. Er spricht sie frei von Versagen und Schuld. Er vergibt und schenkt neue Zukunft. Welch Trost für uns! Zugleich sendet unser auferstandener Herr sie damals und uns heute, Rechenschaft zu geben von der österlichen Hoffnung, die uns geschenkt ist.

Martin Dibelius, ein mutiger Mann während des Dritten Reiches, Professor für Neues Testament an der Heidelberger Universität, fasste dies in ein Gedicht, ein Sonett, überschrieben: „Die Jünger":

             Sie standen träumend auf des Ölbergs Höh'n
             und wagten nicht zu trau'n der letzten Lehre;
             noch bannte sie des kaum Erlebten Schwere
             und hielt sie ab, in alle Welt zu geh'n.
            
             Die Botschaft, dass sich jedermann bekehre,
             entlockte ihnen erst des Geistes Weh'n,
             der ihnen Augen gab, um neu zu seh'n,
             und Lippen, aufgetan zu Gottes Ehre.
            
             Auch wir sind, wie die Jünger, noch gebannt
             in dieser Welt verhängnisvollen Reigen,
             und sind in Hass und Gier und Streit entbrannt.

             Kommt, lasst uns demutsvoll die Knie beugen:
            
»Schenk uns den Geist! Erneure Aug' und Hand
             und Lippen! Mach uns, Herr, zu deinen Zeugen!«

So, liebe Gemeinde, will uns die Osterbotschaft des Evangelisten Matthäus hineinnehmen und mitnehmen zu unseren Auferstehungswegen.

Und der Friede des Auferstandenen, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne und unser Tun
im Glauben an Jesus Christus, unseren auferstandenen Herrn. Amen.



Pfarrer. i. R. Prof. Dr. Michael Plathow
Heidelberg
E-Mail: michael@plathow.de

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