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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 24.04.2011

Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Uwe Graebe

Liebe Gemeinde!

Das Licht scheint in die Finsternis: Als heute in der Frühe die Sonne über den Bergen Moabs aufging, da haben wir auf dem Ölberg das Osterlicht entzündet, welches wir nun auch in die Erlöserkirche getragen haben. Ein neuer Morgen bricht an, der Ostermorgen!

Müde recken wir unsere Glieder, die Anstrengungen der vergangenen Tage und Nächte stecken vielen von uns noch in den Knochen. Prozessionen von Bethfage nach Jerusalem, dann von der Altstadt zum Garten Gethsemane, schließlich wieder in umgekehrter Richtung durch die Via Dolorosa zur Erlöserkirche. Die lange Nacht am Gründonnerstag, dann das frühe Aufstehen am Karfreitag und noch viel früher heute morgen. Kurz zuvor noch die dramatischen Szenen während der Zeremonie des Heiligen Feuers unserer orthodoxen Geschwister... Anrührend das alles, sinnlich, mitreißend, aber eben auch kräftezehrend. Eine Ahnung wird wach von dem Wechselbad der Gefühle, welches die Jünger damals erlebt haben, in dieser Stadt.

I.

Mancher mag noch ganz benommen sein an diesem Morgen. Aber was sonst gemeinhin unterdrückt wird in der Kirche, das sei jetzt erlaubt: Wer mag, darf seiner Müdigkeit einfach freien Lauf lassen und herzhaft gähnen! Denn was hier, am Anbruch des Ostermorgens, geschieht, das setzt aller deprimierenden Ernsthaftigkeit ein Ende. Formen und Etikette sind mit einem Mal ganz unwichtig. Die Trauerzeit ist vorbei.

Aus dem Grab, das da draußen liegt, direkt neben unserer Erlöserkirche, hören wir ein herzhaftes Osterlachen. Noch sind die Frauen nicht am Grab angekommen, noch haben sie nicht entdeckt, was sich da getan hat. Die römischen Wachsoldaten stehen auf ihrem Posten, bilden sich ein, die militärische Gewalt habe alles unter Kontrolle, es könne ewig so weitergehen mit der Friedhofsruhe. Aber weit gefehlt! Es tut sich etwas vor den Toren Jerusalems. Es tut sich etwas bei uns:

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
         Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.
(Matthäus 28,1-10)

II.

Wo ich gestern vielleicht noch im Schmuddelwetter Nordeuropas saß, da brechen sich heute die Sonnenstrahlen Bahn. Die Äcker und Felder fangen an, im ersten Licht zu erblühen. Ich krieche hervor aus meiner dunklen Ecke, in die ich mich vor den Unwettern meines Lebens verzogen habe, und atme tief durch in dieser erlösenden Morgendämmerung. Wo mich gestern noch die Einsamkeit überwältigen wollte, da stelle ich fest: Ich bin nicht allein!

Wie konnte ich mir nur einbilden, dass ich ganz verlassen sei? Wie konnte ich mir nur einbilden, dass mich niemand liebt? Wie konnte ich mir nur einbilden, dass die anderen nur schlecht über mich reden, mit dem Finger auf mich zeigen und tuscheln: Mit dem da, mit dem will ich nichts zu tun haben. Der ist nicht wie wir, der gehört nicht dazu, ist schlechter Umgang, was kann man von dem schon Gutes erwarten?

Und jetzt: Unsinn! Ich bin gar nicht so allein, wie ich dachte. Ich blicke um mich in der Morgendämmerung und stelle fest: Andere sind mit mir unterwegs zum Grab; andere haben das gleiche Ziel wie ich, die gleichen Träume, die gleiche Hoffnung. Da kommen sie alle aus ihren Hütten und Häusern, unter ihren Brücken und Zeltplanen hervor und machen sich auf, weil sie, wie ich, das befreiende Osterlachen gehört haben.

Da sind andere aus meiner Straße, aus meinem Dorf; wer hätte das gedacht, dass sie die gleiche Sehnsucht haben wie ich? Da sind wieder andere aus fernen Ländern; wie konnte ich ahnen, dass auch sie mit mir denselben angefochtenen Glauben teilen? Und da hinten, ganz in der Ferne, da kommen die Frauen, die nach dem Grab schauen wollen, die Jesusfreundinnen, Maria Magdalena und die andere Maria, und ich spüre: Auch mit denen stehe ich in einer unausgesprochenen Gemeinschaft quer durch die Zeiten hindurch.

III.

Wo ich gestern noch das Gefühl hatte, ich müsste auf ewig in Trauer gehen, da kommt mir plötzlich das erste Lächeln über das Gesicht. Noch schwach zwar, aber immerhin ein Anfang, der sich auf diesem Gang am Ostermorgen noch steigern kann zum vollen Lachen, zum Einstimmen in das Osterlachen aus dem leeren Grab. Oder wir erleben es morgen, auf unserer Wanderung mit Pater Gregor nach Emmaus...

Wie sehr mir Menschen, die ich in den vergangenen Jahren zurücklassen musste, auch fehlen – jetzt merke ich: Durch die neue Gemeinschaft, die hier mit mir auf dem Wege ist, wachsen mir neue Aufgaben zu, neue Verantwortung, ein neues Leben, das stärker ist als alle Trauer.

Wo gestern noch der Tod war, die Macht des Karfreitags, da zeichnet sich jetzt der Weg zum Leben ab: Wie dumm waren wir, als wir nur achselzuckend und mit dem Bierglas in der Hand vor unseren Fernsehern saßen, während Menschen durch militärische Gewalt entwurzelt und vertrieben oder hinter hohen Mauern weggesperrt wurden? Wie dumm waren wir, als wir uns einbildeten, auf Gewalt könne man nur mit Gegengewalt antworten? Ich möchte die verschreckten und verstörten Opfer dieses Wahnsinns in die Arme schließen und ihnen sagen: Vergebt mir! Wie konnte ich, umfangen vom Tod, nur so blind sein! Bitte, lasst uns gemeinsam einen neuen Anfang machen!

Und aus dieser Umarmung heraus beginnen Erde und Luft um uns herum plötzlich zu vibrieren. Es ist das Vibrieren des Osterlachens, voller Tränen noch, aber erlösend, befreiend! Die Soldaten, die da am Grab postiert sind, um die Friedhofsruhe zu bewachen, merken es und denken, es sei ein Erdbeben. Sie erstarren vor Schreck, und – noch mehr Grund zum Lachen! – vor der überwältigenden Kraft des neuen Lebens werden sie wie tot!

IV.

Auferstehung hat in der Tat ganz viel mit Humor zu tun. Mir fällt dazu der Film “The King’s Speech” ein, der in den vergangenen Monaten viel Lob von den Kritikern bekommen hat. Um den König George VI. geht es da, den Vater der heutigen Königin Elizabeth von England, der unerwartet ins Königsamt katapultiert wurde, als Nazideutschland sich gerade anschickte, weite Teile Europas zu überfallen. Wo mit einem Mal Führungsstärke von ihm gefordert ist, ist er gehemmt durch einen blöden Sprachfehler.

Mehrere Therapeuten mühen sich an ihm ab; an seinem Tiefpunkt angekommen, ist es Winter, und im Film werden Bäume gefällt. Doch als der exzentrische Sprachtherapeut Lionel Logue, ein dahergelaufener Australier, ohne Doktortitel, ohne Ansehen, aber mit ganz viel Humor, das Vertrauen des Königs gewinnt, da spürt man plötzlich, wie das Leben in George zu pulsieren beginnt.

Wie er sich jenseits allen Protokolls auf dem Boden wälzt; wie seine Frau, die spätere “Queen Mum” fast albern auf seinem Brustkorb sitzt – und wie schließlich selbst der ebenso aristokratisch steife wie chronisch opportunistische Erzbischof von Canterbury klein beigeben muss! Und schließlich gelingt es dem König bei seiner alles entscheidenden Rede, die Herzen der Menschen zu gewinnen.

Genau so werden auch die beiden Frauen, Maria von Magdala und „die andere Maria“, die Kraft bekommen haben, eine „königliche Rede“ hinzulegen. Dass wir heute von der Auferstehung wissen, haben wir nämlich der Tatsache zu verdanken, dass diese Frauen jenseits aller Konventionen dazu berufen wurden, davon weiterzuerzählen.

Vor einem rabbinischen Gericht können Frauen eigentlich gar kein voll gültiges Zeugnis ablegen. Sie fallen damit in dieselbe Kategorie wie jemand, der sein Essen auf dem Markt im Stehen zu sich nimmt. Auch über solch schnelllebige Zeitgenossen urteilt eine rabbinische Autorität in der Antike, dass sie als Zeugen völlig ungeeignet seien (Kiddushin 40b). Und doch werden Frauen hier zu den alles entscheidenden ersten Zeuginnen der Auferstehung – welch köstlicher Osterhumor!

V.

So mag es auch dir gehen an diesem Ostermorgen. Im Licht dieses Morgens siehst du: Da sind noch viel mehr mit uns auf dem Weg, angezogen vom Osterlachen. Schließlich tritt gar der Auferstandene dir selbst gegenüber, und du verlierst alle tödliche Furcht, die dich bis hierher gelähmt hat.

Auch das ist wesentlich; den Frauen in unserem Bibeltext muss es gleich zweimal gesagt werden. Zuerst sagt es der Engel; auf die Minute genau ist er beim Eintreffen der Frauen vor dem Grab gelandet und hat den Stein weggewälzt. – „Fürchtet euch nicht!“ – Doch es nützt nichts. Die Frauen verlassen das Grab zwar „mit großer Freude“, aber eben auch „mit Furcht“. Dies ändert sich erst, als der Auferstandene es selber noch einmal sagt: „Fürchtet euch nicht!“

Nicht die Suche nach einem Toten und auch nicht alle theologisch noch so korrekten Erklärungen der Auferstehung führen dazu, dass dieses Geschehen für dich wirklich real wird. Nein, erst die Heim-Suchung durch den Auferstandenen selbst bringt das zustande, die Begegnung mit IHM.

Mit rationalen Argumenten allein wird sich niemand von der Realität der Auferstehung überzeugen lassen. Auferstehung, das will erlebt werden.
Und das erfordert deine Bereitschaft, dich auf ihn einzulassen, dich selbst zu öffnen für IHN. – So feiern wir gleich das Abendmahl als Zeichen unserer neuen Gemeinschaft untereinander und mit Jesus Christus. Alle sind dazu eingeladen.

Lasst uns also gemeinsam schauen, was an Ostern geschieht! Lasst uns gemeinsam schauen, was es mit diesem auferstandenen Jesus Christus auf sich hat! Während die letzten Reste der Dunkelheit für heute verschwinden, lasst uns miteinander das Osterlachen anstimmen: „Wir wollen alle fröhlich sein.“

Amen.



Propst Dr. Uwe Graebe
Jerusalem
E-Mail: uwe.graebe@evangelisch-in-jerusalem.org

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