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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 22.04.2011

Predigt zu Markus 15:20-39, verfasst von Henriette Pedersen

 


Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Das sind die Worte, die Jesus in seiner Ohnmacht zum Himmel schreit am Karfreitag! Es kam keine Antwort auf sein „Warum" an jenem Tag - weder von Gott noch von einem Menschen. Das heißt, wir Menschen - vor allem die Theologen - haben die anschließenden, bald zweitausend Jahre damit verbracht, eine Antwort zu geben! Die Antwort, warum Christus am Kreuz sterben musste!

Die Antworten sind unterschiedlich ausgefallen. Manche meinen, das sei geschehen, um Gott in seinem Zorn zu versöhnen wegen des Ungehorsams der Menschen im Garten Eden, wo zunächst die Schlange Eva versuchte und diese dann Adam den Apfel zu essen gab. Andere - die lutherische Theologie und damit unser Erbe - stellen heraus, dass Christus am Kreuz starb, um den verlorenen und verdammten Menschen zu erlösen. DAZU kommen allerlei weitere Versuche, zu erklären, warum Jesus am Karfreitag starb. Alle diese theologischen Mutmaßungen sind sehr ernsthaft angestellt worden und in ehrlicher Verwunderung darüber, dass Gott Mensch wurde, starb und auferstand!

Heute jedoch will ich versuchen, kühn zu sein und zu behaupten, dass wir nicht wirklich wissen können, warum das alles geschah! Wir können es nicht wissen, denn Gott Vater gibt uns keine Antwort! Umgekehrt freilich können wir es auch nicht sein lassen, uns immer wieder um eine Antwort auf dieses WARUM zu bemühen!

Denn wir suchen nach dem Sinn, wenn das Schreckliche geschieht, und das ist in gewissen Sinne in Ordnung; denn es ist entsetzlich und beklemmend, Gottverlassenheit zu erfahren - es ist so leer und still. Die Texte und Lieder für den heutigen Tag bezeugen insgesamt, wie schlimm es war.

Die Frage ist nur, ob die vielen Antworten auf Jesu großes WARUM es nicht noch schlimmer machen, die Gottverlassenheit zu erleben - denn sie bekommt jetzt plötzlich einen Sinn (ob wir ihm nun zustimmen oder nicht). Kennzeichnet es die Gottverlassenheit nicht gerade, dass alle Vernunft, alle Logik und Reflexion - ja, jeder Sinn überhaupt ganz weit weg ist? Wenn wir Gottverlassenheit erleben, ist es doch so, dass 2+2 plötzlich nicht mehr 4 ist! Alles, was wir glaubten und hofften, ist uns im Bruchteil einer Sekunde aus der Hand geglitten wie ein Stück nasse Seife... auf dem wir dann auch bald ausrutschen.

FÜR MICH ist gerade dies eine der Pointen des Karfreitags, dass Jesus uns ALLEN die Berechtigung gibt, unser großes, ohnmächtiges WARUM herauszuschreien! Ohne dass wir, wohlgemerkt, eine erschöpfende Antwort bekommen! Und es ist die Frage, ob wir damit leben können? Und die Antwort: NEIN, das können wir nicht, und das müssen wir vielleicht auch gar nicht!

Im Markusevangelium, aus dem wir heute den Bericht über Jesu Tod und Leiden gelesen haben, bekommen wir ein ausdrückliches Zeugnis von Gott Vater - nämlich zu Beginn des Evangeliums. Hier spricht Gott Vater aus dem Himmel zu Jesus, als er getauft wurde - ich zitiere:

Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bis mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. (Mk. 1,10-11).

Da ist, mit anderen Worten, eine Beziehung zwischen Gott Vater und Gott Sohn! Sie ist auch am Karfreitag da, obwohl sie uns ein wenig sprachlos vorkommen mag - und damit auf ihre Weise abwesend. Aber Jesus hielt an seinem bedingungslosen Glauben und Vertrauen fest, dass Gott Vater da ist. Inmitten der Ohnmacht und Verzweiflung hatte Jesus nicht den geringsten Zweifel am göttlichen Ohr, das unsere Klage hört!

Wenn ich heute Jesu Taufe und somit sein Leben hier einbeziehe, dann deshalb, weil es eine klare Verbindung gibt zwischen seinem Leben und seinem Tod. Er war, wo die Menschen waren! Er war nicht nur bei den Ausgestoßenen: den Kranken, der Hure, dem Fremden, dem Verräter, dem Dieb oder Zöllner. Er nahm sich auch alle Zeit, zu diskutieren und die von Menschen geschaffenen Regeln zu widerlegen und die Gesetze, von denen die Geistlichkeit sprach. Selbst mit dem Bösen rang er und widerstand ihm.

Mit anderen Worten: Jesus verwandte seine Tage und Stunden darauf, das Reich Gottes auszubreiten. Gottes Reich, das Glauben will statt Misstrauen, Hoffnung statt Sinnlosigkeit und Liebe statt Gleichgültigkeit!

Wir leben auf der anderen Seite des ersten Karfreitags und wissen, wie es weitergeht! Glaube, Hoffnung und Liebe haben trotz allem gesiegt. Die Geschichte des Gottesreiches geht trotz allem weiter. Es wäre naiv -zumindest für mich -, so zu tun, als wüssten wir das nicht!

Das große WARUM, herausgeschrieen auf der Erde, hat sein Gegenstück in der Stimme, die bei der Taufe Jesu und unserer eigenen Taufe vom Himmel kam: Du bist mein geliebter Sohn! Dieses Urteil galt und gilt vor ALLEM anderen! Es gibt keine Antwort darauf, warum es Leid und Tod gibt. Aber es macht uns gewiss, dass wir in einer unzerstörbaren Beziehung stehen zu unserem himmlischen Vater.

Jesu Leben und Tod ist auch unser Leben und Tod! Nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir die Taufe feiern in der Kirche, wird uns bedeutet, dass wir, indem wir das Zeichen des Kreuzes empfangen auf Stirn und Brust, dem gekreuzigten Herrn Jesus Christus gehören sollen! Und das bedeutet für uns, dass wir in der Taufe zu Kindern Gottes werden, was die Vergebung der Sünden und das ewige Leben einschließt. Und letztlich versichert es uns, dass Jesus bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende! Auch in der Gottverlassenheit!

Der Karfreitag ist in der Taufe gegenwärtig und damit in unserem Leben. Wohlgemerkt, wie ein sanft angehaltener Atem - ein stilles Versprechen. Und das alles ist darin begründet, dass der Karfreitag und die Auferstehung zusammenhängen wie Erbse und Hülse!

Die Leidensgeschichte, der wir uns heute gegenüber sehen, ist auch unsere Geschichte, im Guten wie im Bösen. Deshalb sind wir weit mehr als lediglich Zuschauer, die im sicheren Abstand von Zeit und Raum einfach beobachten könnten, wie grausam „die Anderen" doch damals zu diesem Jesus waren.

Die Geschichte ist unsere Geschichte, sie ist ein Teil von uns. Und gerade darum treten wir zum Altar, heute am Karfreitag. Um uns daran erinnern zu lassen, dass, wenn wir verzweifeln und nur noch elend unser eigenes großes WARUM ins Nichts hinausschreien können- dass da jemand ist, der uns hört. Nämlich der, der uns „wiedergeboren hat aus Wasser und Heiligem Geist" (Joh 3,5) - der gekreuzigte Herr Jesus Christus!

Amen



Pastorin und Krankenhauspastorin Henriette Pedersen
Aalborg
E-Mail: hp@km.dk

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