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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 25.04.2011

Predigt zu Lukas 24:36-45, verfasst von Hans Joachim Schliep

 

Liebe Gemeinde,

Frieden fängt beim Frühstück an
Breitet seine Flügel
Fliegt dann durch die Strassen
Breitet seine Flügel aus
Dass Friede sei in jedem Haus
Opa wiegt das Enkelkind
Auf den alten Knien
Zeigt dem Kind den Vogelflug
Wie der Knecht den Herrn ertrug
Und der Vogel fliegt sich wund
Von Bucht zu Bucht von Sund zu Sund
Trägt sein Zeichen vor sich her
Von Land zu Land von Meer zu Meer
Dass der Mensch sein Leid erkennt
Von Kontinent zu Kontinent
Bis die Taube nicht mehr kann: –
Frieden fängt beim Frühstück an.

So, liebe Gemeinde, hat es Hanns Dieter Hüsch, der fromme Kabarettist mit der flinken Zunge, einmal gesagt.[1] Als aufmerksamer Bibelleser kannte er sicher auch den Abschnitt, der im Lukasevangelium auf die Geschichte von den Emmausjüngern folgt. Die sind nun nach Jerusalem zurückgekehrt und wieder mit den anderen zusammen. In wessen Haus sie auch gewesen sein mögen, sie halten die Türen geschlossen, denn nach dem Tod Jesu und nachdem er im Grab nicht mehr aufzufinden war, befürchten sie Verfolgung und Verhöre durch die Religionsbehörde. Doch immer wieder müssen sie von dem reden, was Karfreitag und Ostern geschehen war. Und da setzt der Predigttext ein, der für den Ostermontag in diesem Jahr an der Reihe ist - Lukas 24 Verse 36 bis 45; ich lese zunächst nur bis Vers 43:

36Als sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach zu ihnen: «Friede sei mit euch!» 37Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. 38Und er sprach zu ihnen: «Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? 39Seht meine Hände und meine Füße, ich bin's selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe.» 40Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und Füße. 41Als sie aber noch nicht glaubten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: «Habt ihr hier etwas zu essen?» 42Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. 43Und er nahm's und aß vor ihnen.

Auch hier: der Zusammenhang von Frieden und gemeinsamem Mahl! Nur diesem Zusammenhang gehe ich jetzt nach; was alles noch zu bedenken wäre an diesem Text, lasse ich für heute beiseite. An der Aktion Jesu und der Reaktion der Frauen und Männer, die mit ihm auf dem Weg waren, wird so richtig deutlich, warum der Frieden beim Frühstück beginnt, auch wenn das Frühstück hier ein Mahl am späten Tag gewesen sein wird, vielleicht ein Abendmahl.

Offenbar muss es einen geben, der den Frieden bringt, der ihn ausruft: «Friede sei mit euch!» Mit diesem Gruß platzt Jesus mitten hinein in den Kreis von Menschen, die um ihr eigenes Leben fürchten. Eine verständliche Furcht, nachdem der, dem sie ihr Leben anvertraut haben, ums Leben gebracht wurde. Allgemein jedoch kann Furcht Unfrieden erzeugen. Wann bin ich selbst auf Krawall gebürstet, stifte ich mehr Unfrieden als Frieden? Meistens dann, wenn ich die Furcht ums eigene Leben überstark werden lasse. Und nun will ich die großen, schrecklichen Kriegstreiber keineswegs reinwaschen. Wer - wie aktuell Gaddafi - Bomben auf sein eigenes Volk wirft, ist ein Verbrecher, dem Einhalt geboten werden muss. Aber sind nicht gerade dieses Menschen, die nur ihre abgrundtiefe Lebensangst kaschieren wollen, indem sie andere in Furcht und Schrecken stürzen? Dieser ewige Kreislauf, dieses harte Gehäuse von Furcht und Gewalt kann nur von außen durchbrochen werden. Es muss jemand hineinplatzen wie Jesus mit dem Gruß: «Friede sei mit euch!» Das macht den freundlichen Morgengruß wichtig.

Von solch einem Gruß sind die Jüngerinnen und Jünger völlig überrascht. Sie glauben an einen Geist und zittern noch mehr als vorher. So tief sitzt die Furcht in ihnen - aber die kommt nun wenigstens heraus. Jesus macht sie sichtbar. Jesus macht sichtbar, wie verwundet und verletzt sie sind, indem er ihnen seine eigenen Wunden zeigt. Wie hieß es bei Hanns Dieter Hüsch? Dass der Mensch sein Leid erkennt / Von Kontinent zu Kontinent. Frieden hat offenbar damit zu tun, dass der Mensch sein Leid erkennt. Mit anderen Worten: Dass wir alle unsere Verwundbarkeit und Verletzlichkeit nicht verdrängen, nicht totschweigen, nicht einmauern in unserem Herzen, dann können Furcht, Unzufriedenheit und Unfrieden nach außen brechen, wie ein Vulkan. Darum nahm Jesus immer zuerst das Leid eines Menschen wahr und ernst und dann erst seine Schuld. Daran werden nun seine Jüngerinnen und Jünger erinnert. Und das ist die Brücke zwischen Jesu Sterben und seinem neuen Leben. Ostern sagt: Der, der mit und unter den Menschen war, gekreuzigt, gestorben und begraben wurde, ist der, der mit den Menschen sein wird - zum Beispiel beim gemeinsamen Mahl. Er trägt die Wundmale noch, weil sie seine Teilnahme und Teilhabe am Leben seiner Menschen ausdrücken. Es gibt in unserem Leben nur zwei Weisen einer unverbrüchlichen Gemeinschaft, die alles, auch den Tod überdauert, die ein Zeichen setzt gegen allen Unfrieden: das Beieinander im Leiden und das Miteinander in der Liebe. Das Miteinander in der Liebe nimmt das Leiden in sich aufnimmt. Die Frage ist nicht, wie der tote Jesus zum lebendigen Christus geworden ist. Die Frage ist, ob er noch derselbe ist.

Er ist derselbe. Denn er verlangt  etwas zu essen: «Habt ihr hier etwas zu essen?» In dieser Frage spiegelt sich die erstaunliche Erfahrung der Jesus-Gemeinde, dass sie im gemeinsamem Mahl seinen Frieden immer wieder erlebt, den Frieden Gottes. In der Kraft dieser Erfahrung hat sich die Christenheit gebildet. Will jemand etwas zu essen haben, hat er Hunger. Hunger haben wir, weil wir bedürftige Menschen sind. Wer hungern muss, wird in seiner Bedürftigkeit missachtet und in seiner Verletzlichkeit verletzt. Wo aber das nicht aufhört, beschleunigt sich der Kreislauf von Furcht und Friedlosigkeit. Dagegen ist das gebrochene Brot beim Abendmahl eine Unterbrechung, damit wir das Wort des Friedens hören, das in seinem Leiden und seiner Liebe steckt. Genau das wird der frühen Christenheit zu verstehen gegeben. In den Versen 44 und 45 heißt es:            

44Er sprach aber zu ihnen: «Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: ‚Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.’» 45Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden.      

Liebe Gemeinde, jetzt könnte es so scheinen, als wechselte ich das Thema. Der 25. April 2011 ist ein ganz besonderer Ostermontag. Vor 25 Jahren, 1986, war der 25. April ein Freitag. Meine Eltern besuchten uns in Hannover. Der Opa wollte unseren vier Kindern einen neuen Sandkasten bauen. Der war auch in einem Tag fertig und der neue Sand, der schon angeliefert war, wurde schnell hineingeschüttet. Ein Fest für unsere Kinder: sie spielen im neuen Sandkasten. Opa war wieder einmal der Größte. Aber dann, am Abend des 28. April, einem Montag, gab es erste Meldungen: Aus dem Kernkraftwerk Tschernobyl seien vermutlich größere Mengen Radioaktivität ausgetreten, man müsse abwarten, in welche Richtung der Wind die Wolke treibe… Die Kinder spielten weiter im Sand. Spätestens am Mittwoch standen dann viele Eltern und Erzieherinnen vor der Frage: Dürfen wir das noch zulassen? Denn aus der radioaktiven Wolke seien auch Niederschläge auf Deutschland niedergegangen. Es sei besser, Kinder nicht im Sand spielen zu lassen… Wir ließen unsere Kinder weiter in der neuen Sandkiste spielen, begrenzten aber die Spielzeit. Eine anfechtbare Entscheidung. Doch konnten unsere kleinen Kinder die Gründe für ein Verbot verstehen? Radioaktivität ist unsichtbar. Du siehst sie nicht. Du riechst sie nicht. Du schmeckst sie nicht. Sie kribbelt nicht auf der Haut. Der mögliche Vertrauensverlust wog bei der Abwägung, die meine Frau und ich für das begrenzte Spiel im Sandkasten mit anschließendem Duschen trafen, am schwersten… Das war vor 25 Jahren. Viele gesundheitliche Folgeschäden zeigen sich erst jetzt. Und seit dem 11. März, nach Erdbeben und Tsunami mit ihren schwersten Verlusten an Menschenleben, das Bangen um Fukushima… Es liegt nicht nebenan wie Tschernobyl. Umso mehr gilt: Dass der Mensch sein Leid erkennt / Von Kontinent zu Kontinent.

Sie wissen sicher, dass unsere Landeskirche seit 20 Jahren die Hilfe für Tschernobylkinder unterstützt. Sie geschieht auf der Ebene von Kirchenkreisen, in niedersächsischen Familien, durch Ehrenamtlich. Die ersten 1.000 Kinder aus dem besonders verstrahlten Gebiet Gomel im Südosten Weißrusslands kamen im Mai 1991. Als damaliger Leiter des Hauses kirchlicher Dienste (fr. Amt für Gemeindedienst) hatte ich die Gesamtorganisation inne. Davon erzähle ich jetzt nur zwei Begebenheiten:

Am 26. Mai 1991 landeten die ersten beiden Flugzeuge auf dem Nato-Flugplatz in Ahlhorn. Die Aeroflot-Piloten waren alle zugleich sowjetische Militärflieger, Angehörige der «Roten Armee»! Die lud ich für die Landeskirche mit den Offizieren der Bundesluftwaffe, Angehörige der NATO, ins Offizierkasino zum Essen ein. Die Piloten nannten es: Friedensmahl. Die sowjetische Crew musste am selben Abend zurückfliegen - so floss nur wenig von dem, was die Crew besonders begehrte: „Deutsches Bier“. Dafür flossen Tränen. Für ihn sei erst jetzt der Krieg vorbei, sagte der hünenhafte Chefpilot. Dazu muss man noch wissen: Im 2. Weltkrieg hat jede vierte weißrussische Familie Angehörige durch deutsche Soldaten verloren. Diese Familien vertrauen uns seit nunmehr 20 Jahren ihre Kinder an, inzwischen mehr als 20.000. Für mich ist das ein ganz besonderes Zeichen des Friedens, eine ausgestreckte Friedenshand, ein empfangener Frieden.

An einem strahlenden Spätsommertag 1991 war ich dann in der „Toten Zone“ rund um Tschernobyl. In einer der vielen zerfallenen, überwucherten Bauernhütten sah ich auf dem vermodernden Holzfußboden eine Christus-Ikone, zerbrochen, verstaubt, verwittert, abgeblättert, doch eben noch erkennbar an den letzten Resten des Goldkranzes, auf den einige Sonnenstrahlen fielen: Jesus am Kreuz. Daneben eine Kinderpuppe: ohne Arme, mit nur einem halben Bein. Da erlebte ich Ostern. Wo Menschen Teufelswerk anrichten, lässt Gott seine Welt nicht zum Teufel gehen. Auch wenn dieser Landstrich unbewohnbar bleibt. Auch wenn noch heute, nach 25 Jahren, die Schulhöfe und Spielplätze in einem weiten Gebiet um Tschernobyl herum zubetoniert sind.

«Friede sei mit euch!» So vernahmen es die Jüngerinnen und Jünger. Wessen Stimme sie da auch gehört haben mögen, es kann nur die Stimme des Gekreuzigten sein. Wer auch immer in seinem Namen spricht, wird erinnern an Seine Nägelmale an Händen und Füßen. Frieden kommt nur durch den, der mit uns durch die „Hölle“ gegangen ist, der alle Schrecken durchlebt hat, der eine Liebe bis in den Tod hinein und durch ihn hindurch gelebt hat. Der mit seinem Friedensgruß mitten unter die Überlebenden tritt, bekennt sich ausdrücklich zu dem Leben, das ihm das Leben gekostet hat. Nichts davon ist jetzt vorbei. Die Kreuzigung war keine bedauerliche Panne im Leben eines edlen Menschen, fix behoben durch die Auferstehung. Im Gegenteil. Ostern hebt das Kreuz nicht auf. Ostern setzt, wenn ich es so sagen darf, das Kreuz in Kraft, gibt ihm Gewicht, Bedeutung, Sinn. Ostern sagt der Gekreuzigte: Ich mache weiter! Wo sich das ganz normale Leben abspielt, euer schwieriges, gefährdetes Leben - da bin ich weiter dabei, jetzt erst recht. Er wischt ihr Erschrecken nicht beiseite. Mit seinen Wundmalen zeigt er, was immer wieder erschrecken muss. Aber er bezieht ihr Erschrecken ein ins Leben. Und sie nehmen ihn hinein in ihr Leben:

42…sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. 43Und er nahm's und aß vor ihnen.

Sie glauben noch gar nicht. Sie sind erst nur überrascht, überwältigt von Seiner Gegenwart. Sie geben ihm nur ein Stück Fisch. Sicher sollen wir an den Fisch, das Symbol der frühen Christenheit denken, ICQUS: „Jesus Christus Gottes Sohn und Retter“. Aber ein gebratener Fisch ist noch etwas anderes als ein symbolischer. Mit alledem will Jesus, indem er seine Wunden zeigt und mit ihnen isst, zeigen: Ich will weiter mit euch leben. Und zum Leben miteinander gehört eine einfache Wahrheit. Um es wieder mit Hanns Dieter Hüsch zu sagen: Frieden fängt beim Frühstück an.

Frau Pastorin Trauschke hat vorhin Leander Palm gesegnet. Ich wünsche Leander, dass er diese Erfahrung ganz oft in seinem Leben machen kann - und sie dann weitergibt. Leander wurde in unserer Mitte gesegnet. Deshalb tragen auch wir als Gemeinde eine Verantwortung. Fangt an…und seid…Zeugen! Diesen Auftrag erhält die frühe Christenheit, nachdem der Fisch gegessen ist. Der sich noch im Tod in Gottes Hand weiß, ruft uns auf, uns über unser Leben hinaus auf Gott zu verlassen und das Leben selbst nach Gottes Willen zu gestalten. So dürfen, so sollen auch wir in Seinem Namen weitermachen. Doch Sein Weiter ist ein Anders. Frieden braucht Gerechtigkeit. Gerechtigkeit braucht Nachhaltigkeit. Jeder Verstoß gegen die Nachhaltigkeit verletzt die Rechte kommender Generationen. Darum gilt es, im Licht von Ostern, Weichen richtig zu stellen für eine Zeit, die über unsere Lebenszeit und die unserer Kinder, Enkel und Urenkel weit hinausreicht, in eine Zukunft, die wir selbst nicht mehr erleben, die uns wie ein Jenseits erscheint. Bis jetzt haben wir so gelebt, als wollten wir die gesamte Weltzeit - alles, was die Welt uns bietet - in unserer Lebenszeit ausschöpfen. Die Ressourcenerschöpfung aber ist absehbar und ein Jahrtausende wirkendes Gefährdungspotential steht uns vor Augen. Zukunft kann allein noch eine Ethik der Selbstbegrenzung bieten. Zukunft setzt voraus, dass wir die Endlichkeit anerkennen. Ostern heißt dann, im Vertrauen auf Gottes Zukunft die Welt als etwas anderes zu verstehen denn bloß als letzte Gelegenheit zum Gebrauchen und Verbrauchen. 

Jesus Christus, Gekreuzigter und Auferstandener, Geschundener und Gesegneter: Tritt immer wieder in unsere Mitte, sprich uns an, weck uns auf: «Friede sei mit euch!»  

Amen.

- Kanzelsegen - 

 



[1] H. D. Hüsch: Das Schwere leicht gesagt, Freiburg/Breisgau 1994, 8. Aufl., S. 21

 



Pastor i. R. Hans Joachim Schliep
Hannover
E-Mail: Umweltbeauftragter.Hannover@evlka.de

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