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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 24.04.2011

Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Florian Wilk

Liebe Gemeinde!

Erreicht die Osterbotschaft unsere Herzen? „Der Herr ist auferstanden!“ – dringt dieser Ruf zu uns durch, so, dass er unser Leben, unser Denken, Reden und Handeln prägt?

Ich selbst kann diese Fragen nicht ohne weiteres mit „Ja“ beantworten. Nicht, weil der Inhalt dieser Botschaft meine Vorstellungskraft übersteigt oder weil er in Widerspruch zu allen geschichts- und naturwissenschaftlichen Einsichten steht. Beides stimmt. Ich kann mir in der Tat nicht vorstellen, dass, geschweige denn wie Jesus von den Toten auferstanden ist; und nach allem, was ich davon weiß, lässt sich die Kunde von seiner Auferweckung weder historisch noch biologisch bewahrheiten. Doch das ficht mich im Grunde nicht an. Menschliches Verstehen hat naturgemäß am Tod seine Grenze. Und mein Glaube richtet sich von Anfang bis Ende in anderer Weise auf die Wahrheit aus, als es die Wissenschaft tut. Es erscheint mir plausibel, dass Gottes Möglichkeiten nicht im Tod enden; sie beginnen ja auch nicht erst mit der Entstehung des Lebens. Ich finde es daher auch unproblematisch, wenn die biblischen Erzählungen von der Auferweckung Jesu hie und da phantastische Züge haben. Ohne Phantasie, ohne Bilder lässt sich nun einmal nicht von Gottes Handeln in der Welt sprechen.

Nein, meine Reserve gegenüber der Osterbotschaft hat andere Gründe. Es fällt mir schwer nachzufühlen, was wir uns mit den Worten des Psalms gegenseitig zugesprochen haben: „Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des Herrn behält den Sieg!“ Denn wo trifft das zu? In den zahllosen Kriegsgebieten der Erde? Es fällt mir schwer einzustimmen, wenn jene Hanna, deren Lobpreis vorhin als alttestamentliche Lesung zu hören war, bekennt: „Der Herr hebt den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche …“ Denn wo geschieht das? Unter den Obdachlosen und Hungernden unserer Zeit? Ich tue mich schwer mit der Osterbotschaft, weil ich wenig sehe von dem Heil, das Gott uns da bereitet haben soll.

Umso größer ist meine Aufmerksamkeit, wie Matthäus vom ersten Ostermorgen erzählt. Denn da geht es um konkrete Erfahrungen. Für die Frauen in der Erzählung hat die Auferweckung Jesu nichts Abstraktes; sie spüren, hören, sehen und ertasten die Wirklichkeit des Auferstandenen. Kann ich von ihnen lernen, Ostern zu erleben? Ich will es versuchen. Und so mache ich mich auf, sie zu begleiten.

Mit Unbehagen merke ich, dass ihr Osterfest mit dem Weg zum Grab beginnt. Sie gehen hin, um sich vor Augen zu führen, was sie doch wissen: Ihr Jesus ist tot. Und während allmählich der Morgen heraufzieht, dämmert es mir: Ostern wahrnehmen kann ich dann, wenn ich mich der Realität des Todes stelle, wenn ich hinschaue auf seine Opfer und ihre Gräber; nicht von ferne als unbeteiligter Betrachter, sondern so, dass ich mich annähere und der Trauer Raum gebe.

Und damit nicht genug: Voller Schrecken spüre und sehe ich, dass das Grab geöffnet wird: Die Erde bebt, ein Engel erscheint wie der Blitz, sein schneeweißer Glanz blendet die Augen. Lauter Bilder, die illustrieren: Gott bricht ein in diese scheinbar so festgefügte Welt. Und als ich sehe, wie der Engel auf dem nutzlos gewordenen Grabstein sitzt, leuchtet mir ein: Ostern zeigt der Welt ihre Grenzen auf, enthüllt ihre Vergänglichkeit. Kein Wunder, dass die Grabwächter in eine todesähnliche Ohnmacht fallen. Doch Ostern erleben kann ich nur, wenn ich nicht die Augen davor verschließe, dass die Welt vergeht, und die Furcht zulasse.

Und dann höre ich die himmlischen Worte: „Ihr da, fürchtet euch nicht!“ Kein falsches Beschwichtigen, kein ohnmächtiges Zureden, sondern wirklicher Trost: Gott nimmt sich der Furchtsamen an. – Und weiter: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; er wurde auferweckt. Seht den Ort, wo er lag!“ Vier knappe Sätze, die Hoffnung wecken: Gewaltherrscher treiben ihr grausames Spiel, Mächte des Todes zerstören das Leben – den Sieg tragen sie nicht davon. Und weil der Bote Gottes dabei an Jesu Worte erinnert, verstehe ich: Zu Ostern handelt Gott genauso, wie ihn Jesus verkündet hat: „Das Himmelreich ist nahe! Ja, Gottes Reich ist schon unter euch!“ Trauernde werden getröstet, Niedergedrückte richten sich auf, im Grab ist Jesus nicht zu finden: Was ich sehe, bleibt zweideutig, und Spötter wittern Betrug. Doch mit Jesu Predigt im Ohr kann mir all das zum österlichen Zeichen werden, zum Zeichen dafür, dass Gottes Liebe und Treue über das Sterben hinausreichen.

Und noch etwas höre ich den Engel sagen. Er schickt die Frauen zu den Jüngern, um ihnen auszurichten: „Jesus ist auferweckt worden von den Toten! Und siehe, er geht euch voran nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen!“ Die Frauen werden selbst zu Osterboten. Sie sollen die Jünger ermuntern, wieder in die Heimat zu gehen – dorthin, wo alles begann: das Wirken Jesu und ihr Weg der Nachfolge; wo er Gottes Licht in das Leben seiner jüdischen Geschwister trug – und ihnen zumutete, selbst Licht der Welt zu sein. Gerade dort, so heißt es, werden sie den Auferstandenen sehen. Und als der Engel seine Rede beendet, da spüre ich: Ostern setzt mich in Bewegung. Von der Auferstehung erfahre ich nicht zu meiner Beruhigung. Die Botschaft macht mich zum Zeugen für andere – zum Zeugen des Osterlichts.

Und dann muss ich mich sputen; denn schon eilen die Frauen vom Grab fort. Sie tun das voll Furcht und großer Freude. Ich kann das nachempfinden: Wenn menschliches Dasein neu beginnt, dann ist tatsächlich beides da: Furcht und Freude. Das Alte zurückzulassen, neu ins Leben zu gehen, das macht bange und fröhlich zugleich. Und dies gilt umso mehr, als noch gar nicht ausgemacht ist, ob die Osterbotschaft wirklich trägt. Wird sie sich als wahr erweisen inmitten von Hunger und Krieg, von Armut und Schmerz?

„Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sagte: Seid gegrüßt!“ Vielleicht sollte man eher übersetzen: „Freut euch!“ So wie Jesus es in der Bergpredigt denen zusagt, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten und dafür geschmäht werden: „Freut euch, denn euer Lohn im Himmel ist groß!“

Jesus, so wird erzählt, hat die Osterbotschaft bewahrheitet – vor denen, die ihr trotz aller Furcht getraut und sich aufgemacht haben, dem Leben zu dienen. Lass es dir gesagt sein, mein Herz, und sei fröhlich in dem Herrn! Amen



Prof. Dr. Florian Wilk
Göttingen
E-Mail: Florian.Wilk@theologie.uni-goettingen.de

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