Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Quasimodogenitii, 01.05.2011

Predigt zu Johannes 21:1-14, verfasst von Wolfgang Vögele

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.


Erschrecken Sie nicht, liebe Gemeinde, aber diese Predigt wird aus gutem Grund siebzehn Teile haben. Um Glauben zu lernen, muss man das Evangelium zählen und erzählen. Rechnen und Sprechen, Zählen und Erzählen, beides hängt sowieso zusammen. Gelegentlich, nicht immer führt die Abfolge der Zahlen zu Hoffnung und Vertrauen. Heute wird das so sein, und am Ende werden Sie das ganz leicht nachrechnen und nachvollziehen können, auch wenn Sie aus der Schule keine guten Mathematiknoten nach Hause gebracht haben. Das Einmaleins des Auferstehungsglaubens lernt man sowieso nur mit dem Herzen. Die Grundrechenarten des Glaubens sind einfach zu verstehen, eine Angelegenheit vertrauender Weisheit, nicht der Schulnoten.

Teil 1: Schauen und Durchschauen

Wer schlecht sieht, beim Autofahren oder im Kino, der sucht einen Augenarzt auf und lässt einen Sehtest machen. Zu einem guten Teil orientieren Menschen sich in der Wirklichkeit mit Hilfe ihrer Augen. Ich glaube nur das, was man sieht, sagen die nüchternen Menschen – wie der ungläubige Thomas. Aus der Geschichte des Johannes kann man etwas über das Sehen lernen. Die Augen ermöglichen uns, die sichtbaren Dinge der Welt wahrzunehmen. Aber noch wichtiger ist es, das Unsichtbare hinter den Dingen und Menschen zu erkennen. Zwischen Schauen und Durchschauen besteht ein wichtiger Unterschied.

Teil 2: Rudern und Abwarten

Die Bibel kennt den Zimmermann Josef, den Zöllner Zachäus, den blinden Bettler Bartimäus, der bei den Grundschülern so beliebt ist. Die meisten Jünger haben als Fischer gearbeitet, bevor sie sich ihrem Meister Jesus angeschlossen haben. Wer seine Netze in einem Fluss oder See auswirft, der muss viel Erfahrung haben, um die richtigen Stellen zu finden, an denen viele Fische ins Netz gehen. Außerdem muss ein Fischer still und leise warten können. Die Arbeit fängt erst an, wenn die Netze sich schon gefüllt haben. Dann muss es schnell gehen. Wenn die Fische nach dem Fang zu lange in der Sonne liegen, verderben sie und werden schlecht. Neben Erfahrung und Geduld brauchen Fischer Rücklagen für die Zeiten, in denen sie nichts fangen.

Teil 3: Glauben und die Landschaftskunde Israels

Nach der Katastrophe des Kreuzes in der Hauptstadt Jerusalem sind die Jünger nach Galiläa in den Norden zurückgekehrt. Der See Tiberias ist nur ein anderer Name für den See Genezareth. Beides, die Katastrophe des Kreuzes und der Triumph der Auferstehung, hat die Jünger nicht gehindert, den alten Beruf wieder aufzunehmen. Am besten finden sie sich in ihrer Heimat zurecht. Dort fühlen sie sich wohl. Aber was wird aus dem Glauben, nach Kreuz und Auferstehung? Gesehen haben die Jünger den Auferstandenen. Nun scheinen sie abzuwarten. Irgendwie müssen sie sich ihr Brot verdienen.

Teil 4: Zweifeln und Angeln

Zu den fischenden Jüngern gehört auch der zweifelnde Thomas, der es besonders genau wissen wollte. Bei der ersten Begegnung mit dem Auferstandenen wollte er nur dann glauben, wenn er die Wundmale des Auferstandenen gespürt hätte. So als ob Auferstehung für alle sichtbar sei. Thomas wollte sehen und berühren, spüren und wahrnehmen, damit er glauben konnte. Der Evangelist Johannes zieht am Ende der Thomasgeschichte eine andere Konsequenz: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20,29) Nun glaubt auch Thomas, der Zwilling, und ist mit den anderen zum Fischen gegangen.

Teil 5: Unwissenheit schützt vor Glauben nicht

Die Jünger sind beim Fischen sehr beschäftigt. Vielleicht haben sie auf den Fremden, der da am Ufer stand, gar nicht geachtet. Probiert es nicht hier, sondern auf der anderen Seite, sagt er. Gut, das kann man ja machen. Offenbar sieht er aus wie jeder andere Anwohner am See. Der, an den die Jünger glauben, fällt denen nicht auf, die ihn doch eigentlich kennen müssten. Manchmal erscheint der Auferstandene so unscheinbar, dass wir ihn nicht unmittelbar vor unseren Augen sehen.

Teil 6: Beschäftigungstherapie

Auch Petrus ist wieder zum Fischer geworden. Er ist offensichtlich so beschäftigt, dass er den vermeintlich Fremden am Ufer gar nicht wahrnimmt. Er hat dem Soldaten Malchus ein Ohr abgeschlagen, um die Gefangennahme Jesu zu verhindern. Er hat geleugnet, Jesus zu kennen. Nun muss er nicht mehr lügen. Aber er erkennt den Auferstandenen trotzdem nicht. Er ist mit seiner Arbeit beschäftigt. Vielleicht will er sich über der Arbeit ablenken, nicht mehr daran denken, an die dunklen und für ihn so peinlichen Nächte von Golgotha und Gethsemane. Eine typisch männliche Verhaltensweise.

Teil 7: Liebe oder Leistung

Der Chefjünger Petrus hat im Johannesevangelium einen Konkurrenten, den Lieblingsjünger, der keinen Namen trägt, aber sich der besonderen Zuneigung Jesu erfreut. Auch der Lieblingsjünger macht sich an den Netzen zu schaffen. Aber anders als Petrus geht er nicht in der Arbeit auf. Er merkt sehr genau, wer da vom Ufer herüberruft. Zwischen ihm, dem namenlosen Lieblingsjünger, und dem Auferstandenen, herrscht offensichtlich großes, vertrauensvolles Einverständnis. Der Lieblingsjünger berichtet seinen Mitfischern von seiner Entdeckung, wen er am Ufer erkannt hat. Er sagt es zu Petrus, der ganz in Arbeit versunken ist.

Teil 8: Nackt und unsicher

Petrus, der Chefjünger, der Jesus geleugnet hat, möchte dem Auferstandenen nicht bei der Arbeit und nicht nackt begegnen. Deswegen zieht er sich schnell an und springt ins Wasser. Ein merkwürdiges Verhalten. Petrus will nicht gesehen werden, nicht nackt und nicht angezogen. Vielleicht zeigt sich da ein schlechtes Gewissen, eine Unsicherheit, die psychologisch noch nicht bearbeitet ist.

Teil 9: Gegrillter Fisch

Der zweite Fang übertrifft den ersten bei weitem. In Worten: hundertunddreiundfünfzig Fische. Und weil frischer Fisch am besten schmeckt, wird er sofort zubereitet. Bisher war in der Geschichte nur vom Fischen die Rede, nicht vom Glauben. Langsam scheinen die Jünger wieder zu ihrer bewährten Gemeinschaft zurückzufinden. Es ist nicht sicher, ob die anderen den Auferstandenen am Ufer, beim Fischen oder beim Essen erkannt haben – mit Ausnahme des Lieblingsjüngers, der alles sofort durchschaut hat.

Teil 10: Gemeinsames Mahl

Die Jünger und der Fremde essen miteinander, sie teilen Fisch und Brot. Mittlerweile haben es alle gemerkt. Der Fremde ist der Gekreuzigte, ist der Auferstandene, ist der alte Lehrer und Wunderheiler. Der Fremde ist nicht der störende Gast, der gekommen ist, ohne eingeladen worden zu sein. Er ist dabei, er gibt ihnen das Essen, wie er zu Lebzeiten Brot und Wein verteilt hat. Jetzt verteilt er Brot und Fische. Jeder hat ihn erkannt. Aber keiner spricht das aus. Es bleibt ein Geheimnis um ihn.

Teil 11: Wunderbare Erinnerungen

Wenn ich über die Geschichte nachdenke, stelle ich mir vor, dass bei den Jüngern Erinnerungen wach werden. Sie erinnern sich an die Geschichte, als Jesus 5000 Menschen auf einmal speiste. Sie erinnern sich daran, wie er die meisten von ihnen vom Boot und vom Netz weg rief und zu Jüngern machte. Sie ließen ihre Familien zurück, um ihm nachzufolgen. Auferstehung ist auch Wiederholung. Eine Wiederholung der alten Wundergeschichten von Speisung, vom Abendmahl und von der Berufung.

Teil 12: Das offene Ende

Der Auferstandene verteilt Fisch und Brot. Dann ist die Geschichte zu Ende. Mich überrascht das: Hat er sich am Ende nicht doch zu erkennen gegeben? Hat er nicht doch mit den Jüngern gefeiert? Hat er sich statt dessen einfach zurückgezogen, ohne sich zu verabschieden? Wann haben die Jünger bemerkt, dass er nicht mehr an der Tafel saß?

Teil 13: Geheimnis und Alltag

Auferstehung ist beides. Sie bleibt Geheimnis, undurchschaubar, nur dem Glauben zugänglich. Und sie ist Alltag, sie ist Fischfang, Essen und Trinken. Sie ist Glauben und die Gemeinschaft des Mahles.

Teil 14: Über Geheimnisse

Der tschechische Schriftsteller Ivan Klima hat einmal geschrieben: „Der Mensch hat sich die Welt immer dadurch angeeignet, dass er Fragen stellte. Für ein Kind ist die Welt noch ein einziges Geheimnis. Für einen weisen Menschen bleibt sie es bis an sein Lebensende. Das Geheimnis, das am meisten herausfordert, sollten andere menschliche Wesen sein. In dem Augenblick, in dem wir einen uns nahestehenden Menschen nicht als Wesen voller Geheimnisse empfinden, in dem wir nicht das Bedürfnis verspüren, Mühe aufzuwenden, um wenigstens etwas von ihm zu verstehen, bringen wir uns um die abenteuerliche Chance, seine Eigenart zu enträtseln, seiner komplexen Persönlichkeit wirklich zu begegnen. Eine der Grundtendenzen unserer Zeit ist es, der Welt und den Menschen ihr Geheimnis zu nehmen. Das Geheimnis ist verkümmert zu Horrorgeschichten und Sensationsberichten über Ufos und Schneemenschen...“

Teil 15: Das Geheimnis der Auferstehung

Das Geheimnis des Glaubens ist die Auferstehung. Nein, das Geheimnis des Glaubens ist eine Person, das Geheimnis des Glaubens ist der Auferstandene. Wer glaubt und vertraut, der sucht nach dem Auferstandenen. Manchmal begegnet er ihm. Manchmal merkt er gar nicht, dass er ihm begegnet ist, weil er so unscheinbar aufgetreten ist. Manchmal sehen wir weder das Wunder noch das Geheimnis des Auferstandenen, weil wir zu sehr mit unserer eigenen Vergangenheit beschäftigt sind, mit den Lügen und Sünden. Glauben bedeutet, das Geschenk anzunehmen, dass Gott den Menschen einen neuen Weg öffnet, jenseits einer Vergangenheit, die nur in Chaos und Katastrophe endete. Das Geheimnis der Auferstehung liegt in der Zukunft, in der Hoffnung auf Gottes Reich.

Teil 16: Erzählen und Zählen

Wieso fangen die Jünger in dem Boot genau 153 Fische? Viele Ausleger haben darüber gerätselt und mit der Zahl 153 experimentiert. Wenn man die Zahlen 1, 2, 3 und so weiter bis 17 addiert, dann kommt man genau auf 153. Darum hat diese Predigt siebzehn Teile. Fischen und Predigen gehören zusammen. Das ist das Ergebnis der evangelischen Mathematik und Rechenkunst.

Teil 17: Auferstehung ist Alltag

Der Glaube braucht keine heiligen Orte. Gott begegnet uns überall. Das Geheimnis der Auferstehung soll im Alltag bewahrt werden. Ihm, dem Auferstandenen, kann man überall entgegengehen. Der Weg zu Gott führt durch den Glauben im Alltag. Amen.



Pfarrer PD Dr. Wolfgang Vögele
Karlsruhe
E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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