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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate / Friedenssonntag, 22.05.2011

Predigt zu Matthäus 21:12-17, verfasst von Jochen Cornelius-Bundschuh

 

 

Am 22. Mai 2011 findet in Jamaika die Internationale Ökumenische Friedenskonvokation statt, die die ökumenische Dekade zur Überwindung der Gewalt abschließt. Gemeinden in aller Welt sind vom Weltrat der Kirchen aufgerufen, diesen Sonntag in besonderer Verantwortung für den Frieden zu feiern. Ein Friedenssonntag am Sonntag Kantate lädt dazu ein, der friedensstiftenden Kraft der Musik Raum zu geben.

Die EKD hat ein ausgezeichnetes Heft zur Vorbereitung des Gottesdienstes zusammengestellt, das auch ein Chorheft für die musikalische Vorbereitung enthält, u.a. mit sieben Sätzen zu „Verleih uns Frieden gnädiglich" aus verschiedenen Jahrhunderten. Die Gottesdiensthilfe, die Noten sowie Liedversionen und Playback finden sich auch unter: www.gewaltueberwinden.org/friedenssonntag.

 

12 Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler

13 und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus heißen«; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.

14 Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und er heilte sie.

15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrieen: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich

16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?

17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

 

Wer mit Jesus singen will, wird sich wundern.

Wird sich wundern, welche Geräusche aufhören müssen, bevor wir mit Jesus singen können.

Wird sich wundern, wer alles mitsingt und welche Töne, welches Geschrei zum Lobe Gottes passt.

Wird sich wundern über den neuen Klang, aus dem sich das Lob Gottes bildet.

I

Es wird viel gesungen im Tempel in Jerusalem. Die Psalmen Davids sind ein großes Liederbuch. Prallvoll mit leicht einprägsamen Texten und gut singbaren Melodien. So wie für viele „Lobe den Herren" und für andere „Danke". Es wird viel gesungen, aber auch viel geredet, gepfiffen und gehandelt. In den Vorhöfen, direkt vor dem Eingang zum Tempel, hat man eher den Eindruck auf einem Marktplatz zu sein als in einer stillen protestantischen Kirche.

Da hinein platzt Jesus: Ruhe, raus hier! Ihr habt hier nichts verloren; ihr wollt Geschäfte machen. Das macht draußen. Hier geht es ums Beten und nicht ums Geld!

Mit viel Lärm sorgt Jesus für Ruhe. Er wirft die Tische und Stände um, er wirft die Handelnden hinaus. Wie wird es danach gewesen sein? Werden die meisten geschimpft oder betreten weg geschaut haben? Werden sie sich angestoßen und geflüstert haben?

Die Geräuschkulisse hat sich geändert - im und vor dem Tempel. Das Klappern der Münzen ist verschwunden. Geld oder Gott, der alte Streit, wer hat mehr Macht über die Menschen, wer bestimmt, wie ich lebe, Jesus entscheidet ihn: Hier ist Gottes Haus, kein Geldhaus.

II

Nicht nur das Klimpern der Münzen, auch andere Geräusche sind jetzt nicht mehr zu hören: Gibst du mir das, gebe ich dir das! Sonst läuft gar nichts! Oder: Gott ist mit uns! Wir machen alles richtig, aber die da, die ...! Oder: Was wollen die hier, die leben ja nur auf unsere Kosten; die sollen hin gehen, wo sie hergekommen sind!

Die Geräusche der Feindschaft und des Hasses, der Vorurteile und der ausgleichenden Gerechtigkeit verstummen. Ein neues Lied wird angestimmt: Das Lied von der Barmherzigkeit Gottes: Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt! Das Lied, das von Angst befreit: Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst! Das Lied des Friedens: Verleih uns Frieden gnädiglich! Das Lied des neuen Lebens: Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und er heilte sie.

Blinde und Lahme kommen zu Wort: Mach uns gesund, Jesus! Du kannst das! Blinde, Lahme, Menschen, die behindert waren, müssen nicht mehr vor der Tür des Tempels bleiben. Sie müssen nicht mehr draußen auf ein Wunder auf Heilung warten. Sie kommen herein, krank, schwach, unsicher und fassen Mut. Die ersten fangen an zu klagen. Sie bitten um das was sie brauchen. Und wer nicht selbstbewusst genug ist, stimmt einfach ein: Hilf, Herr, meines Lebens.

Ihr Wort gewinnt Gewicht. Der Lärm der Macht übertönt sie nicht mehr. Es gilt nicht mehr: haste was, dann biste was! Und schon gar nicht: wer mehr hat, ist näher bei Gott. Vor dem Vater von Jesus Christus haben die eine Stimme, die sich elend fühlen. Es kommen die zu Wort, die das Gefühl haben: Ich habe nichts, was ich vorzeigen kann; habe ich nicht alles falsch gemacht? Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!

III

Aber wo bleibt der große Jubel, das neue Lied? Nichts ist zu hören als Geschrei auf der einen und Entrüstung auf der anderen Seite:

Entrüstung, weil Jesus alles durcheinander bringt. Deshalb sind sich die Mächtigen nach dieser Episode endgültig einig: Jetzt ist Schluss, er muss sterben.

Und andererseits eben das Geschrei der Randgruppen, Jubel von Halbwüchsigen, von Kindern. Die verstehen doch noch gar nichts; Jesus! Mit denen hast du leichtes Spiel, die lassen sich von deinem großen Gehabe verführen!

Kann man Gott preisen mit Geschrei? Ist das das neue Lied, das wir singen wollen? Sicher ist es nicht besonders wohlklingend und melodisch, vielleicht eher Techno oder Hiphop als Bach oder Sacro Pop. Aber es ist erfüllt von Gottes Geist: dieses Geschrei verleiht der Freude lautstark Ausdruck. Es steckt voller Lebenskraft. Es stört zwar die Ruhe des Tempels, aber um des Lebens willen.

So wie damals in der Reformation, als in manchen Kirchen die Gemeinden anfingen zu singen, weil die Predigt nicht evangelisch war, sondern gesetzlich: übers Fegefeuer und dass ich meine Seele frei kaufen könne! Tust du nicht das, was wir dir sagen, wird man dich in Hölle tragen. Das wollten die Getauften nicht mehr hören! Dagegen haben sie gesungen, vielleicht schön, auf jeden Fall laut, bis die Reformation auch in diese Gemeinde Einzug halten konnte.

IV

Die Wächter des Tempels hat dieses Geschrei mehr gestört, als das Klappern der Münzen. Sie fragen Jesus: Hörst du, was diese sagen? Wie kannst du dich von Kindern so anreden lassen, Jesus? Du musst doch wissen, dass das deinem Ansehen eher schadet! Kinder sind genauso wenig berechtigt in wichtigen Fragen mitzureden wie Lahme und Blinde! Wie unmoralische Menschen! Sie sind noch keine richtigen Menschen!

Ja, sagt Jesus, ich habe das gehört. Aber ihr irrt euch, wenn ihr das denkt. Gott wertet weder die Behinderten noch die Kinder ab: im Gegenteil: Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?

V

Das hebräische Wort OZ für Lob, kann man verschieden übersetzen. In ihm klingt nicht nur an, dass die Kinder und die Schwachen Gott in einer besonders intensiven und unverfälschten Weise loben, sondern OZ meint auch Macht und Kraft, es bedeutet Bollwerk und Schutzwall.

Dieses Geschrei der Kinder, ihre Lebenskraft und ihre Lebensfreude, das ist die Macht Gottes: kein Schwert, kein Panzer, keine Regierungsmacht. Der Schutzwall um das Leben lebt aus reiner Gnade und Barmherzigkeit; Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. So entsteht eine Bastion, die diejenigen verteidigt, die sonst keine Fürsprecher haben und raus gedrängt werden sollen. Ein Schreien, dass der Ungerechtigkeit keine Ruhe lässt. Ein Rufen und Singen, dass erneuert und verändert.

VI

Beim Einzug in Jerusalem hatten Jesus die Menschenmassen zugejubelt, mit genau dem gleichen Vers, den nun die Kinder schreien: Hosianna, dem Sohn Davids. Nun steht der Jubel des Anfangs vor seiner Bewährungsprobe, denn jetzt ist der Konflikt offensichtlich: die Realität hat Jesus eingeholt. Der Sohn Gottes kann nur einer sein, der in unsere Kategorien passt, sagen die Erwachsenen, die Wissenden, die Fachleute. Alles andere ist Unsinn, Kinderkram. Die Kinder aber jubeln und singen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden! Sie fordern: Verleih uns Frieden gnädiglich!

Zwei Beispiele (zur Auswahl) habe ich vor Augen, wie junge Menschen heute Lieder zur Ehre Gottes und für Frieden auf Erden singen und spielen: (Vielleicht haben Sie eigene Beispiele aus Ihrem Ort, Ihrer Region!)

1. Ein Lied versöhnt!

April 2010: Nach dem dramatischen Flugzeugabsturz vieler polnischer Politiker schrieb die Petersburger russische orthodoxe Theologin Marina Shishova, die Nationalkoordinatorin des russischen Ökumenischen Forums Christlicher Frauen in Europa ist, einen offenen Brief an die polnischen Frauen des Forums. Sie berichtet, dass ihre Gemeinde für die Umgekommenen gebetet habe. Sie erinnert daran, wie sie einmal mit einer polnischen Frau das Lied „The Blue Balloon" gesungen habe, beide der Meinung, dass das Lied eigentlich aus ihrem eigenen Land stammt - und wie sie lachten, als sie erfuhren, dass es jüdischen Ursprungs ist. Was, so fragt sie, kann schöner sein, als wenn die Seelen von Völkern zusammenkommen, die seit Generationen dasselbe Liebeslied in so ähnlichen Sprachen gesungen haben? Ihr Brief endet mit der Vision: „Ich träume davon, dass unsere beiden Völker, nun beide unabhängig, zusammenfinden auf einer neuen Ebene, die es noch nie gab. Wir werden einander in Freiheit lieben, und diese Liebe wird uns und die Welt um uns herum anders machen. Besser."

(Johanna Friedlein in: http://www.gewaltueberwinden.org/fileadmin/dov/files/shared_resources/ekd/Gottesdiensthilfe_Friedenssonntag.pdf, S.33)

2. Das Friedensorchester: Westöstlicher Diwan unter Leitung von Daniel Barenboim

Die Flötistin Reham ist 28 und kommt aus Ägypten, der 29jährige Asaf kommt aus Israel und spielt Violine. Kennen dürften sich die beiden eigentlich nicht - Kontakte zwischen Arabern und Israelis sind von beiden Seiten unerwünscht.

Doch die beiden kennen sich sehr gut und machen bereits seit über 8 Jahren gemeinsam Musik im West-Eastern Divan Orchestra. Dieses Orchester wurde 1999 von dem israelischen Dirigenten Daniel Barenboim und dem in Palästina geborenen amerikanischen Literaturwissenschafter Edward Said in Weimar gegründet. Deren Vision eines friedlichen Zusammenlebens im Nahen Osten haben sie mit diesem Orchester ein Stück weit verwirklicht - dem Ensemble gehören junge Musiker aus Israel, Palästina, Ägypten, Syrien, dem Libanon, Jordanien und Andalusien an.

Damit ist kein Konflikt gelöst, sagt Asaf Maoz, doch „völlige Harmonie kann es gar nicht geben. Aber wir lernen viele Dinge und geben das Gelernte weiter." Barenboim sieht in dem Orchester kein politisches Projekt; er sieht darin ein Forum, in dem sich junge Menschen aus Arabien und Israel künstlerisch ausdrücken. Und so trafen sich Reham und Asaf doch!

Das eigentliche Ziel wird erst erreicht, wenn das Orchester in allen jenen Ländern auftreten kann, aus denen die jungen Musiker stammen," sagt Barenboim. Dieses Ziel konnten Asaf und Reham noch nicht ganz verwirklichen. Aber vielleicht irgendwann?

(aus: http:// gutenachrichtenreporter.wordpress.com/2008/08/09/friedensorchester/)

VII

Kinderkram, Geschrei, Unsinn! Was soll das helfen in einer Lage, die so verfahren ist wie in Israel? Doch genau das ist Gottes Hoffnung für uns: die guten Worte, die Mut machenden Lieder, das versöhnende Spiel!

Die am Rande nehmen die Wunder wahr; sie bringen uns die Friedensbotschaft; Blinde und Lahme, Fremde, Kinder - sie werden zu Freudenbotinnen und -boten für uns! Sie singen mit Jesus und erzählen von den Wundern Gottes; sie loben Gott und fördern den Frieden auf Erden: Mitten im Konflikt stiftet ein Lied Versöhnung; Musik verbindet über Grenzen hinweg, die Hoffnung wächst!

Jesus geht weiter. Er merkt, dass ihn die Mächtigen nicht verstehen. Er geht aus der Stadt heraus. Aber er lässt nicht ab von seinem Weg: Frieden stiften, Versöhnung suchen, Einstehen für eine Gemeinschaft, in der wir einander als Menschen, als Kinder, als Geschöpfe Gottes sehen, auch die, die wir nicht dabei haben wollen, die anders sind. Sie singen mit! Wir stimmen ein: Das Gloria entfaltet sich in seiner ganzen Fülle, es wird Friede auf Erden.



Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Karlsruhe
E-Mail: jochen.cornelius-bundschuh@ekiba.de

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