Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate , 29.05.2011

Predigt zu Lukas 11:5-13, verfasst von Siegfried Krückeberg

 

Liebe Gemeinde!

„Jetzt hilft nur noch beten!" - Das war die Schlagzeile der Bildzeitung 1991, vor dem ersten Golfkrieg. Und damals habe ich mich noch gewundert und gedacht: Wird diese Zeitung jetzt plötzlich religiös? Aber es war vor allem der Ausdruck für große Angst und Hilflosigkeit. Damals, als der Irak unter Saddam Hussein ins benachbarte Kuweit einmarschierte. Vielleicht erinnern Sie sich. Da war die große Befürchtung: Wenn Amerika jetzt eingreift und den Irak bombardiert, dann könnte es einen neuen Weltkrieg geben. Alle diplomatischen Bemühungen waren gescheitert. Die Menschen hatten versagt. Jetzt hilft nur noch Beten. Jetzt müsste Gott eingreifen. Damit er das Schlimmste verhindert. Vielleicht hat er das ja auch. Nur eben anders, als viele das von ihm erwartet haben. Wie sonst könnte man sich erklären, dass Menschen auch dann noch beten, wenn die Katastrophe bereits eingetreten ist. So wie vor drei Monaten nach dem Erdbeben in Japan oder nach dem Verlust eines lieben Menschen.

Beten nach der Katastrophe - wenn das möglich ist, dann geht es wohl nicht nur darum, von Gott etwas ganz Bestimmtes zu erbitten, was wir uns unbedingt wünschen. Beten ist eine Lebenseinstellung, die Art und Weise, mit allem, was auf uns zukommt, umzugehen. Sowohl im Alltag als auch in besonders schweren Zeiten. Wer betet, tritt innerlich heraus aus der schwierigen Situation, in der er sich gerade befindet. Eine Notlage oder auch ein Streit. Wir machen nicht einfach weiter mit Diskutieren und Vorwürfen, wir suchen nicht immer weiter nach Lösungen, sondern halten inne. Wir gestehen uns ein: ich komme alleine nicht weiter. Was ich besitze, was ich weiß und kann, meine Intelligenz oder mein Charme, all das reicht nicht aus. Mir fehlt etwas, eigentlich bin ich ziemlich arm. Ich brauche Hilfe. Und dann brechen wir auf und gehen los.

So wie der Mann in dem Gleichnis, das Jesus erzählt. Dieser Mann scheut sich nicht, mitten in der Nacht seinen Freund und Nachbarn zu stören, um ihn um Hilfe zu bitten. Vermutlich hat er durchaus Angst gehabt, abgewiesen zu werden. Er weiß ja auch: der Nachbar und seine Familie haben nur einen einzigen Raum, und nachts liegen sie eng zusammen. Wenn da einer aufsteht, dann weckt er die anderen auf, und wer weiß, wann alle wieder einschlafen. Das alles weiß der Mann, der bittet. Wahrscheinlich ist es bei ihm Zuhause nicht anders. Aber er überwindet diese Angst, abgewiesen zu werden, und wagt trotzdem zu bitten. Das ist Beten, meint Jesus: sich an Gott wenden und Vertrauen zeigen. Auch wenn es dann vielleicht erst mal nicht so läuft, wie wir uns das wünschen. Ja, es kann einem schon manchmal so vorkommen, als ob Gott zu müde ist, um sich mit all unseren Problemen zu beschäftigen, als ob er schlafen würde oder genervt ist von unseren Wünschen und Ansprüchen. Oder es kommt uns vor, als ob er sich nicht an die Regeln hält. Denn genau so, wie wir konkrete Vorstellungen davon haben, wie sich ein guter Freund oder Nachbar verhält, genauso konkret sind unsere Erwartungen auch an einen guten und gerechten Gott.

„Mach trotzdem weiter!" rät Jesus. „Lass nicht nach, auch wenn es dir unverschämt vorkommt. Du kannst Gott gar nicht lästig fallen mit deinem Bitten. Im Gegenteil: je mehr, je länger, je heftiger, desto besser. Denn: Gott liebt dich für das Vertrauen, das du in ihn setzt. Hab keine Angst, schäm dich auch nicht, Gott weist dich nicht ab. Sei nicht wie ein Bettler, der nur um kleine Münzen bittet, fordere gleich Alles. Und erinnere dich daran, wie es war, als du deine Eltern immer wieder und wieder angebettelt hast. Haben Sie nicht auch irgendwann ihren Widerstand aufgegeben und dir deine Wünsche erfüllt?"

Aber noch einmal die Frage: stimmt das überhaupt, was Jesus da behauptet? Dass unser Bitten irgendwann doch erhört wird. Wird das nicht ständig und überall widerlegt durch bittere, gegenteilige Erfahrungen? Was wir dringend brauchen, bleibt aus, und was wir befürchtet haben, tritt ein. Da kann man sich schon die Frage stellen: „Warum? Sind wir es nicht wert, dass Gott uns erhört?"

Nein, und dafür ist Jesus selbst das beste Beispiel. Im Garten Gethsemane, kurz vor seiner Kreuzigung betet er zu Gott und sagt: „Wenn du willst, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen. Aber nicht mein Wille geschehe, sondern deiner." Es geht also beim Beten nicht darum, dass Gott tut, was wir gerne hätten, sondern dass wir lernen, ihm zu sagen, was wir auf der Seele haben. Dass wir alles, was uns aufwühlt und bedrängt, in Gottes Hände legen: Angst und Zweifel, Ärger und Wut, Protest und Zorn, Enttäuschung und Trauer.

So kann es sein, wenn wir an einem Krankenbett stehen. Dass wir dann völlig gelähmt und sprachlos sind. Und die einzige Möglichkeit, unsere Verzweiflung auszudrücken, ist ein Gebet. Beten ist so, als ob wir uns wie ein verletztes Kind an die Mutter schmiegen. Und wenn sie uns dann ganz fest in ihre Arme schließt, dann können wir loslassen und weinen.

Und dann verändert sich etwas in uns. Wir starren nicht mehr nur auf unser Unglück, sondern bekommen einen anderen, weiteren Blick auf die Wirklichkeit, der auch die guten und hoffnungsvollen Seiten mit einbezieht. Was können wir also erwarten beim Beten? Dass wir leben können, dass Gott mit seinem heiligen Geist bei uns ist, so dass wir Krisen durchstehen können, und Zweifel. Dass Gott unserem Leben auch in der Nacht, also in der Krise, einen Sinn gibt, ein Ziel, eine Richtung. Das ist das Brot, das Gott uns gibt, nicht nur Nahrung für den Körper, sondern vor allem auch für unsere Seele. Liebe, Glaube und Hoffnung.

Zum Schluss, liebe Gemeinde, das Ganze noch mal aus einer anderen Perspektive: Wie verhalten wir uns eigentlich, wenn uns jemand um Etwas bittet? Ein Bettler zum Beispiel in der Einkaufsmeile, ein Kollege, der mit uns den Dienst tauschen möchte. Ein Mitschüler, der unsere Hilfe braucht, weil er Etwas nicht versteht, Fremde, die in unserem Land leben möchten, zusammen mit ihren Ehepartnern und ihren Kindern? Das Gleichnis vom Freund deutet an: Gott ist nicht nur der, den wir um etwas bitten können, sondern er ist auch einer, der uns um etwas bittet. In Jesus, seinem Sohn, steht er für all diejenigen, die draußen stehen und Hilfe brauchen. Er kommt zu uns in der Nacht, in der Dunkelheit, und es liegt an uns, ob wir ihn zurückschicken oder nicht.

Es ist zwar nicht immer so, aber meistens: wenn ich jemandem eine Bitte erfüllt habe, dann ist zwischen mir und dem anderen etwas Neues, Positives entstanden. Etwas, das nicht nur den anderen, sondern auch mich glücklich gemacht hat.

Amen.



PD Pfr. Dr. Siegfried Krückeberg
Beauftragter der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck für den privaten Hörfunk

E-Mail: medio.ffm@ekkw.de

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