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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate , 29.05.2011

Predigt zu Lukas 11:5-13, verfasst von Kira Busch-Wagner

 

Die Konfirmationen liegen nun (fast alle) hinter uns; noch haben sich die neuen Jahrgänge in den Gemeinden nicht wieder zusammengefunden, noch hat an vielen Orten der Konfirmandenunterricht nicht wieder begonnen. Da aber begegnen uns im 11. Kapitel des Lukasevangeliums die Jünger Jesu: als Fragende, als Schüler, als Konfirmanden; als solche, die gefestigt und bestärkt werden wollen, nachdem sie das Beten bei Jesus und - so überliefert der Evangelist - auch schon bei den Jüngern des Johannes erlebt haben, so dass sie sagen: Herr, lehre uns beten. Bring es uns auch bei, das Beten - was offenbar nicht so einfach ist, nicht klar, nicht entschieden.

Und Jesus gibt ihnen gute Antwort, kurze prägnante Sätze, knapper Text, leicht nachzuvollziehen, gut mitzusprechen:

Vater - dein Name werde geheiligt - unser tägliches Brot gib uns - Tag für Tag - und vergib uns unsre Sünden, damit auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden. Und führe uns nicht in Versuchung. So der Evangelist Lukas (11, 1-4).

Als erstes also die Wendung hin zu Gott, die Grundhaltung. Und dann kommen schon die handfesten Bedürfnisse zur Sprache: das tägliche Brot - da ist es schon richtig und passend, dass der Sonntag heute seinen Namen erhalten hat von den Bittgängen durch die freie Flur, von den Prozessionen mit Bitten um gute Ernte, eben ums tägliche Brot; und auf die Bitte um die materielle Grundlage, die ausreichende Versorgung folgt die mit dem Anliegen der Versöhnung, Versöhnung mit Gott und den Menschen, und schließlich spricht Jesus den Jüngern auch die Bitte vor: Führe uns nicht in Versuchung - wissen sie ja um die eigene Gefährdung in dieser Welt.

Und dann kommt Jesus doch noch einmal auf Gott selbst zu sprechen, Gott, den Vater, aufmerksam, hörend, bereit, freigiebig liebend. Davon erzählt der Predigtabschnitt in den Versen 5-13.

- Lesung des Evangelienabschnittes Lukas 11, 5-13

Wenn schon die Bösen gute Gaben geben, um wieviel mehr wird dann der Vater im Himmel, wieviel mehr dann Gott in seiner Güte, den Heiligen Geist, allen Trost, alle Vergebung, alle Freundlichkeit, alle Zuwendung denen schenken, die ihn bitten. Das ist die gute Botschaft, das Evangelium des heutigen Sonntags.

Manche unter den Eltern, manche der mittleren Jahrgänge, können sich vielleicht noch an den Buchtitel erinnern: „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin".

Das war ein Bestseller in den 90er Jahren und handelt davon, dass viele Frauen zwar fast jeder Erwartung anderer nachkommen, sich viel zu selten aber nach ihren eigenen Erwartungen fragen. Und dass sie viel öfter riskieren sollten, auch mal eine Bitte abzuschlagen. Um vielleicht nicht in den Himmel zu kommen, aber jedenfalls weiter, als man kommt, wenn man allen nachgibt.

Gute Mädchen kommen in den Himmel, die vermeintlich bösen viel weiter - wer kommt eigentlich in unserer Geschichte in den Himmel? Sehen wir sie uns noch einmal an:

Da gibt es den einen, der ist auf einer Reise und kommt offenbar unangemeldet und mitten in der Nacht zu seinem Freund, um aufgenommen zu werden für eine Nacht. Man hat ihn begrüßt, hereingebeten, vielleicht hat man ihm die Füße gewaschen, vielleicht ihm gar ein neues Hemd angeboten, frische Kleidung, und jetzt sitzt er da oder liegt schon zu Tisch, aber es gibt nichts. Er bringt seinen Gastgeber in nicht geringe Verlegenheit: alles ist aufgegessen, was für den Tag zur Nahrung vorgesehen war. Vielleicht ist es dem Reisenden selbst peinlich, dass er nun da ist, hungrig, müde, ein Gast eben, mit seinen Bedürfnissen.

Denn da ist der Freund, der Gastgeber, den es da zu später Stunde getroffen hat. So besonders viel fällt ihm nicht ein zur Lösung. Wo soll er denn noch etwas besorgen? Alle Läden sind zu, alle Nachbarn schlafen, aber der Reisende, der Freund sitzt da und soll doch versorgt werden. Da hat er sich aufgenmacht, tief in der Pflicht der persönlichen Freundschaft und der Gastfreundschaft stehend, zum Nachbarn, Mitternacht ist inzwischen, alles ist dunkel und die Familie schläft. Vielleicht ist der Gastgeber hin- und hergerissen: da der Freund, der ihm ins Haus geschneit ist, müde und vor allem hungrig eben. Dort der Nachbar, man sieht sich täglich, ist aufeinander angewiesen, eigentlich undenkbar, um diese Zeit zu stören. Zugleich aber vielleicht der Gedanke: es gibt eine Chance, wo, wenn nicht hier, die Möglichkeit etwas aufzutreiben, bei wem, wenn nicht da.

Und da ist schließlich der dritte, der Familienvater, auch er ein Freund, einer, mit dem der Suchende nachbarschaftlich verbunden ist, er schreckt auf, tatsächlich, da hat sich jemand an der Tür bemerkbar gemacht, da will einer was, unglaublich, „Lieber Freund", hört er's rufen, „leih mir drei Brote. Ein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann." - Nicht für möglich zu halten, mag er denken, warum bin ich jetzt auch noch für Leute zuständig, die ich gar nicht kenne.

„Alles ist zu. Ich kann nicht öffnen", ruft er zurück. „Die Kinder schlafen. Ich weck' sie auf, wenn ich aufstehe." Aber der da unten rumpelt und ruft, leise zwar, aber drängend. Es ist genau diese drängende Stimme, die ihn schließlich aufstehen lässt, die Stimme und vielleicht auch die Solidarität. Denn der andere da unten bittet ja nicht für sich selbst, sondern für einen Freund, der gekommen ist, einen Gast, einen Reisenden, wer weiß, wo der herkommt, was er hinter sich hat, so ohne weiteres wandert niemand hungrig durch die Nacht. Vielleicht hat er sich verlaufen oder bringt eine dringende Botschaft oder ist in Schwierigkeiten - Brot also. Und er richtet sich, soweit das überhaupt möglich ist, vorsichtig auf, tastet sich Richtung Treppenabstieg, ganz leise, um unter den Kindern kein Weinen oder Gebrüll auszulösen.

Und tatsächlich, es gibt auch noch die Kinder, blinzelnd und schlaftrunken bleiben sie offenbar doch erst mal liegen, es hat geklopft und gerufen, sie warten ab, was sich entwickelt. Und erleben: nach einigem Hin- und Her richtet sich Vater - so weit das unter dem Dach überhaupt möglich ist - vorsichtig auf, steigt nach unten. Er schimpft vielleicht leise und brummelt vor sich hin. Aber er geht, steigt von dem hochgebauten Schlafplatz herunter, nimmt im Vorbeihangeln drei Brote aus dem Netz, das an der Decke zum Schutz vor Ungeziefer und Tieren aufgehängt ist, die Brote, entriegelt die Tür und sie hören ihn unten noch mal flüstern mit dem seltsamen Besucher. Dann kommt der Vater zurück, leise brummelnd und vorsichtig, alles in Ordnung, beruhigt er seine Lieben, von denen das eine oder andere sich vielleicht nun doch auch aufrichtet. Damit geben sich dann auch die Kinder zufrieden. Es hat also einer Brot gekriegt, mitten in der Nacht. Ein bisschen seltsam, aber gut so. Der Vater hat es weitergegeben und offenbar scheint es genau das Richtige zu sein.

Sie haben gelernt, wie Kinder - und auch Erwachsene - immer lernen, wenn sie einer Situation neu gegenüberstehen: sie haben gelernt, es ist richtig so, einem anderen was zu geben. Es ist unangenehm und ärgerlich, aber der Vater hat es so gemacht, und so werden sie es dann wohl auch zu machen haben, wenn ihnen dergleichen einmal begegnet. Hören, Kinder schützen, Rücksicht nehmen, hinabsteigen, Brot nehmen. Weitergeben. So ist alles in Ordnung.

Wer also ist im Himmel oder kommt hinein?

Mein Vorschlag: als erstes die Kinder. Die sind doch wirklich im Himmel, die sind im Paradies. Sie erleben: Wir sind die allerwichtigsten. Auf uns wird am allermeisten und zuallererst Rücksicht genommen. Und unser Vater ist einer, der schenkt. Und morgen bekommen wir auch was geschenkt. Der Mann wird versorgt und mit ihm sein Freund. Und genauso morgen auch wir. Uns geht es gut.

Im Himmel ist auch der Mann, der da nachts geklopft und gedrängelt hat. Er hat tatsächlich was bekommen. Der peinliche schreckliche Moment ist vorbeigegangen. Er ist auf Resonanz gestoßen, hat erhalten, was er gewollt hat. Hat offene Ohren gefunden, wo er nicht unbedingt damit gerechnet hat. Er hat gute Erfahrung machen können. Kann sich sagen: Selbst unter diesen widrigen Umständen bin ich nicht alleingelassen. Es ist gut geworden.

Ein Stück vom Paradies, ein Stückchen Himmel hat auch erlebt der Mann, der da unterwegs auf Reisen war. Mitten in der Nacht findet er bei seinem Freund eine offene Tür. Mitten in der Nacht macht sich eigens für ihn einer auf die Socken, um Essen herbei zu schaffen. Mitten in der Nacht begibt sich sein Gastgeber in die unangenehmsten Situationen, nimmt auf sich, sich mit den Nachbarn anzulegen, riskiert Ärger und Verstimmung. Wohl dem, der solche Freunde hat.

Und wie ist es mit dem, der, geweckt wurde, der sich hat erweichen lassen? Der den Ärger mit seiner Familie riskiert hat, der seine Vorräte hergab? Wird denn dem der Himmel verheißen?

Wohl doch das Gegenteil. Der, mit dem Jesus Gott selbst vergleicht, der ist heruntergekommen von seinem Platz, der hat sich stören lassen, hat sein Ohr nicht verschlossen, hat die Tür geöffnet, hat hergegeben. Der hatte es gar nicht nötig in den Himmel zu kommen, dem muss man nicht wie die braven, stets nachgiebigen Mädchen auf den Himmel vertrösten - im Gegenteil, der hat den Himmel drangegeben, die himmlische Ruhe und den seligen Schlaf, - den dürft ihr stören, sagt Jesus.

Und wenn er davon redet, „suchet, so werdet ihr finden, klopft an, so wird euch aufgetan", da ist das Suchen, das Klopfen, das Bitten nicht eine Bedingung. Sondern mit der Geschichte ist schon verheißen: dass Gott sich finden lässt, dass er die Tür öffnet, dass er schenkt und hergibt und er selbst den Suchenden den Himmel bereitet.

Anders als im Buchtitel ist der Himmel ja gerade denen versprochen, die drängeln, den Mund aufmachen, die etwas für sich und andere wollen und erwarten, die die eigene und fremde Bedürftigkeit nicht schamhaft verstecken, sondern lauthals deutlich machen. Gott riskiert Ärger mit seinen Kindern, mit denen, die in seinem Haus wohnen; er sorgt sich um sie und ist dennoch um der Bittenden willen bereit, ihre Ruhe dran zugeben.

Lassen wir uns doch mitnehmen in den Himmel, wie er den Kindern in dieser Geschichte bereitet ist. Die aufgehoben und bewahrt sind in der Nähe des Vaters. Die aber riskieren müssen, die wahrnehmen müssen, dass sie gestört werden, weil auch andere von diesem Vater etwas wollen und erwarten und dringend brauchen für sich und für andere. Die sich aber grade daran freuen können und beruhigt sein dürfen: Unser Vater ist bei uns. Er ist groß und mächtig, und in Größe ist er bereit, hinabzusteigen von den Ruheplätzen in der Höhe des Hauses, er hat ein offenes Ohr, ein Herz, das sich berühren lässt, eine Hand, die gibt und austeilt und reichlich schenkt.

Lassen wir uns doch mitnehmen in den Himmel, den die Kinder des Hauses in dieser Geschichte erleben: dass der Vater gut handelt und dass solches Handeln gut ist, weil der Vater es tut. Dem sie am Tage, wenn sie aufgestanden sind, wenn sie selbst auf andere treffen, es nachtun können, handeln wie er. Weil sei zu ihm gehören und aus seiner Güte leben.



Pfarrerin Kira Busch-Wagner
Ettlingen (Baden)
E-Mail: Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de

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