Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 26.06.2011

Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Lasse Rødsgaard Lauesen

Das Fest ist aus, sowohl für die beiden, von denen wir im heutigen Evangelium hören, als auch für uns als Gemeinde. Seit Weihnachten haben wir ein langes Fest gefeiert mit Ostern und Pfingsten als den großen Höhepunkten. Aber was haben wir jetzt zu feiern? Es dauert ja noch lange Zeit bis zum ersten Advent, wo alles von vorn beginnt. Bis dahin hören wir eine lange Reihe von Berichten, die uns in das christliche Leben einüben sollen, damit wir wie die Natur für die Ernte reifen können. Das Gleichnis vom reichen Mann und Lazarus ist keine Ausnahme, es zeigt uns, wie alles auf den Kopf gestellt werden kann.

Das heutige Evangelium ist eigentlich eine banale Geschichte von einem reichen und einem armen Mann, von zwei Männern, deren Wege sich in diesem Leben nicht einmal kreuzen. Sie kennen sich sicher nicht - vielleicht kannte Lazarus den Namen des reichen Mannes, denn er war ja ein großes Tier, und mit den Spitzen der Gesellschaft sind wir ja alle auf du. Aber dass Lazarus Lazarus hieß, das wusste der reiche Mann nicht. Lazarus war ja nur ein Bettler, der am Tor lag, einer von so vielen, die Gott nicht mit seinem Reichtum und Glück gesegnet hatte, wie er doch den Reichen gesegnet hatte. Der einzige Grund, weshalb wir Lazarus' Namen im Gedächtnis behalten und nicht den des reichen Mannes, liegt darin, dass ihre Schicksale im Jenseits vertauscht werden und Lazarus zum großen Tier wird und den Ehrenplatz neben Abraham bekommt, während der reiche Mann bestraft wird.

In einer solchen Erzählung gibt es für uns als Gemeinde immer etwas zu lernen, und wenn dies bloß darin bestünde, dass es den Bösen schlecht und den Guten gut ging, wenn nicht hier, so doch im Jeseits, ja, dann wäre ja alles ganz einfach. Uns schockiert nur, dass der reiche Mann gar nicht böse ist. Nach irdischer Auffassung ist sein Reichtum sogar ein Zeichen dafür, dass Gott mit ihm ist, so wie Gott seinerzeit mit Abraham war und ihn reich machte. Der reiche Mann ist nicht einmal egozentrisch, er akzeptiert sein Schicksal, er betet für seine Brüder. Für seine Brüder, die ihr Leben auf Erden in Unwissenheit darüber leben, dass die Schicksale im Himmel vertauscht werden können. Sie wissen nicht, dass Gott von ihnen hier und jetzt Nächstenliebe verlangt. Gottes Forderung an uns ist so fundamental, dass das Fest vorbei ist und die Arbeit wartet.

Man stelle sich vor, wir wären die unwissenden Brüder, die im Leben nicht genug für den Nächsten tun, der ganz in der Nähe vor unserem Haus liegen könnte. Übersehen wir auch wie sie all die Not, für die wir im Grunde Abhilfe schaffen könnten, einfach so, dass wir von dem Essen austeilen, das wir auf die Erde werfen. Hätten wir nur etwas von unseren Speiseresten gegeben, dann hätten wir vielleicht einen Lazarus retten können.

Die Forderung ist jedoch so fundamental, dass wir fragen müssen: und was ist dann, wenn wir Lazarus geholfen haben? Es gibt doch mehr Bettler als bloß den einen; wenn wir vor unserer eigenen Tür gefegt haben, dann ist da ja noch das Stadttor, wo noch mehr sind.

Der Ruf an uns ist so durchgreifend, dass wir am Ende irgendwann einmal „halt" sagen müssen. „Halt!", und dann rufen müssen: Jetzt ist das Fest vorbei! Ich bin an die Grenze dessen gekommen, was ich meinem Nächsten geben will. Aber genau hier taucht dann die Frage auf: Ende ich wie der reiche Mann, weil ich nicht alles für meinen Nächsten hingab?

Ich glaube, dass wir alle irgendwann einmal auf diese Grenze stoßen, und ganz besonders dann, wenn die Armen, denen wir helfen sollen, schlechte Menschen sind, wie Lazarus, der nur mit ausgetreckter Hand vor einer Tür liegt. Warum wurde er nicht rechtzeitig Tagelöhner oder irgendetwas anderes, anstatt nur dazuliegen und uns Anderen zur Last zu fallen? Eine Frage, die wir leicht stellen, die Jesus aber, als er unter uns weilte, nie an uns richtete. Eine Frage, die ich Jesus gegenüber auch nicht gern beantworten möchte.

Vielleicht hat Lazarus schon in seinem Leben das gute Teil gewählt, weil er nichts besitzt, was man ihm abverlangen könnte. Wie so viele von den Größten in der Geschichte der Kirche lebt er in Askese. Er lebt von dem, was in seine Hand gegeben wird, von der Gnade Anderer.

Wie Franz von Assisi, der mit seiner Familie brach, seine reiche Kleidung ablegte und seinem Vater gab und sagte: Jetzt wolle er nicht mehr ihn seinen Vater nennen, sondern sein Vater sei „Unser Vater, der du bist im Himmel". Von da an lebte Franz in Armut für seine Nächsten, von Krankheit heimgesucht, denn sein Körper hatte nicht die Kraft, das asketische Leben zu führen. Er starb am 3. Oktober 1226, auf seinen eigenen Wunsch entkleidet, auf der Erde liegend, so dass er dieses Leben genauso nackt verlassen konnte, wie er hineingekommen war. Er hinterlässt aber dennoch weiterhin die Frage: war es genug, um nicht wie der reiche Mann zu enden? War es gnug, um vor Gott gerecht zu sein?

Die Forderung gegenüber dem reichen Mann, gegenüber Franz und uns heute ist fundamental. Es ist dieselbe Forderung, die Gott uns auferlegt hat, dass wir uns unseres Nächsten annehmen sollen. Auch Martin Luther bewegte die Frage, wann haben wir genug getan, wann sind wir gerecht?

Er saß einmal im Jahre 1514 in einer Turmkammer und musste erfahren, dass, was immer er tat, nicht genügte. Immer war da etwas, was er für sich selbst aufhob, etwas, was er um seiner selbst willen tat. Was auch immer er bis zu diesem Tag getan hatte - er konnte keinen gnädigen Gott finden. Aber an diesem Tag in der Turmkammer entdeckte er etwas Neues, nämlich dass „Gottes Gerechtigkeit" nicht die Gerechtigkeit von uns Menschen ist, sondern eine Gerechtigkeit, die wir leihen - von ihm, der allen gerecht sein konnte, nämlich von Christus. Die Gerechtigkeit wird uns geschenkt, und wir können sie nicht verdienen. Denn auch den Leib, der jetzt hier sitzt und eine Predigt hört, verdanken wir ja eigentlich Gott.

Wir sind wie die unwissenden Brüder im Gleichnis im heutigen Text, wir leben unser Leben im Guten wie im Schlechten. Wir leben unter der Last, dass alles von uns verlangt wird: aber was tun wir, wenn das Fest aus ist? Bekommen wir eine neue Chance?

Die Antwort auf diese Frage muss dieselbe sein, die Luther fand: Christus. Wenn wir seine Gerechtigkeit leihen, haben wir etwas, womit wir kommen können. Denn an die Auferstehung, die Abraham dem jüdischen Mann verweigert, der rechtzeitig auf der Grundlage des Gesetzes und der Propheten die Forderung an unser Leben hätte entdecken sollen, - an diese Auferstehung dürfen wir glauben in der evangelisch-lutherischen Kirche.

Dass Christus am Ostermorgen auferstand von den Toden mit dem einen Ziel, uns die Vergebung unserer Sünden zu geben. Er bat für uns unvollkommene Menschen, dass wir Vergebung finden möchten für unsere Sünden. Wir leben von der Gnade, die Christus in unsere ausgestreckte Hand legt, wenn er uns findet, ohne die Frage zu stellen: warum handeltest du nicht, sondern uns verdammten Menschen eine neue Chance gibt, wenn wir glauben, das Fest sei aus.

Eigentlich deshalb wird uns jeden Sonntag das Abendmahl angeboten, eine Mahlzeit, bei der wir Vergebung erhalten für ein Leben mit dem Missverhältnis, dass wir, auch wenn wir geben, nie genug geben. Christus ist unsere Garantie dafür, dass es uns nicht wie dem reichen Mann geht, denn mit ihm haben wir plötzlich etwas, womit wir kommen können. Christus ist unsere Chance, und deshalb ist das Fest nicht vorbei.

Amen



Pastor Lasse Rødsgaard Lauesen
Paarup

E-Mail: lrl@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier.


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