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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 10.07.2011

Predigt zu Lukas 15:11-32, verfasst von Jochen Cornelius-Bundschuh

Liebe Gemeinde,I

Thomas sitzt in der Kneipe, allein an einem Tisch. Er nippt an einer Cola. An der Theke schauen sie rüber und flüstern: „Das ist doch der Thomas. Der ist doch damals weg. Den habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Der ist ziemlich auf die Nase gefallen. Was will der denn wieder hier?"

Technischer Zeichner hat Thomas nach der Schule gelernt; er will nicht ins Malergeschäft seiner Eltern. Immer wieder gibt es Streit. Gleich nach der Lehre geht er von zu Hause weg. Er findet eine Stelle in der Stadt. Er ist stolz, endlich raus zu kommen.

Der ältere Bruder übernimmt den Betrieb; einer muss ja! „Mal sehn, was das wird", sagt er immer über den kleinen Bruder. Ob er dabei ein bisschen neidisch ist, weil er nicht selbst loszieht kann in die große, weite Welt? Oder ob er eigentlich sagen will: „du wirst schon sehen, so toll ist das draußen auch nicht!"?

Erst geht es Thomas gut, sehr gut. Er wechselt bald zu einer größeren Firma, die zahlt besser, er bekommt eine verantwortliche Position. Mit seiner Freundin entschließt er sich, ein Haus zu bauen. Er fährt nach Hause; er will ausbezahlt werden. Dem Bruder und dem Vater, der damals noch lebt, fällt das schwer; sie wissen nicht, ob der Betrieb das überstehen wird. Aber sie können ein paar Grundstücke verkaufen; sie einigen sich, auch wenn der ältere Bruder stöhnt. Thomas baut ein schönes großes Haus.

Dann macht die Firma pleite: Zu schnell zu groß? Flaute im Baugeschäft? Eine größere Firma übernimmt sie, aber die technischen Zeichnerinnen und Zeichner nicht; computergestützt können weniger alles schneller.

Thomas wird entlassen. Das Karussell beginnt sich zu drehen. Nach unten und ziemlich schnell. Nur noch die Freundin verdient; die Abzahlung für das Haus wird schwieriger. Jede angebotene Arbeit ist schlechter bezahlt und immer nur befristet. Sechs Monate Arbeit, dann wieder arbeitslos, das Arbeitslosengeld wird weniger.

Die Freundin unterstützt Thomas, gibt ihm Geld, macht ihm Mut. Doch er schämt sich, auch vor den anderen. Er will nicht auf ihre Kosten ausgehen; er kann das Mitleid nicht ertragen, die Blicke der Nachbarinnen, die Fragen ehemaliger Kollegen. Mit den Eltern und dem Bruder verkracht er sich endgültig: „Lasst mich doch in Ruhe, es ist mein Leben; ihr wisst immer alles besser."

Er streitet immer öfter mit der Freundin. „Warum er sich nicht helfen lassen will? Warum er sich abkapselt?" - „Ach, du verstehst mich auch nicht." Eines Abends haut er ab, geht in eine Kneipe, wo er niemanden kennt und betrinkt sich. Er trifft andere, denen es genauso geht. Er schimpft mit ihnen, er trinkt mit ihnen. Er spielt, am Geldautomaten. Einmal gewinnt er einhundertsechzig Euro an einem Abend. Er borgt von seiner Freundin Geld, verspielt es. Als sie merkt, wofür er das Geld will, wirft sie ihn hinaus. Er braucht das, sagt er ihr. Den Alkohol und die Automaten. Sie bittet ihn, sich behandeln zu lassen, aber er will nicht. Als sie das Haus nicht mehr halten können, trennen sie sich.

Ein guter Bekannter schickt Thomas in die Suchtberatung. Er versucht einen Entzug. Als es ihm besser geht, meldet er sich wieder bei seiner Freundin, überredet sie, es noch einmal zusammen zu versuchen. Er hat Arbeit, sie planen gemeinsam, ziehen zusammen. Doch dann verliert er seinen Job - und ist wieder unten. Er trinkt, spielt, fälscht die Unterschrift seiner Freundin, um an Geld zu kommen. Als das auffliegt, erspart sie ihm die Anzeige, aber jetzt ist endgültig Schluss. Thomas geht auf die Walz, wohnt unter Brücken, im Park, in Grillhütten.

Als er mit einer Alkoholvergiftung in die Klinik muss, überreden ihn die Ärzte noch einmal zu einem Entzug. Ein Programm zur beruflichen Wiedereingliederung gehört auch dazu. Er findet Arbeit, stabilisiert sich, findet eine neue Freundin, der er seine Lebensgeschichte erzählt. Sie sagt ihm, er hätte vieles falsch gemacht, aber es könne weitergehen, wenn er will und selbst seine Fehler akzeptiert. Sie will es mit ihm versuchen. Aber, sie findet, zu diesem neuen Versuch gehören auch die Menschen, die seinen Niedergang miterlebt haben, von denen er sich immer weiter entfernt hat: seine Mutter, sein Bruder.

Sie beschließen, er soll zu ihnen gehen und sich mit ihnen aussprechen. Deshalb sitzt der Thomas jetzt hier in der Dorfkneipe und nippt an seiner Cola. Wahrscheinlich überlegt er zum 1000. Mal, was er als erstes zu seiner Mutter sagt und wie sie ihn empfangen wird. Wird sie ihm Vorhaltungen machen? Wird sie ja sagen, wenn er sie einlädt, mit zu feiern: seine Hochzeit? Und: Was wird der Bruder sagen? Wird er grinsen: Na, ich habe es ja gleich gesagt? Wird er sich freuen und mitfeiern? Wird er Angst haben, dass der Jüngere noch einmal etwas vom Betrieb und vom Geld haben will, um seine Schulden zu bezahlen?

II

Ich habe Ihnen eine Geschichte erzählt, eine Familiengeschichte und eine biblische Geschichte. Viele von Ihnen kennen sie. Jesus hat sie erzählt, als sie sich über ihn geärgert haben, weil er mit den Falschen geredet, gelebt und gegessen hat. Zweitausend Jahre ist die Geschichte nicht vergessen worden, seit zweitausend Jahre begleitet sie Menschen, wahrscheinlich auch Thomas, seinen Vater, seine Mutter, seinen älteren Bruder. Ich lese es Ihnen das Gleichnis vom verlorenen Sohn vor:

Lk 15, 1-3. 11-32

1 Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.

11 Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. 13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. 14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben 15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.

17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!

20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.

22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße 23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen 26 und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre. 27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. 29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. 30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden.

III

Das Ende dieser Geschichte ist offen, so wie bei der Geschichte von Thomas auch! Jesus selbst ist auch von zu Hause weg gegangen. Er ist nicht Zimmermann geworden, sondern Wanderprediger. Er ist aufgebrochen in eine neue Gemeinschaft - und trotzdem erzählt er von einer wunderbaren Heimkehr, von einem Fest der Versöhnung.

Wie erzählen wir unsere Familiengeschichte weiter? Können Sie sich das vorstellen: den anzusprechen, mit Sie schon lange nicht mehr geredet haben, auf die mit offenen Armen zu zugehen, die Sie mal schrecklich gekränkt, enttäuscht oder die sie verlassen hat.

Die Geschichte endet offen, aber sie hat einen Zug ins ‚happy end'! Sie hält die Hoffnung fest: Die Trennungen, die hinter uns liegen, sind nicht das Letzte! Der Streit mit den Geschwistern, mit denen, die uns mal wichtig waren, kann geschlichtet werden! Gesellschaftliche Schranken haben nicht das letzte Wort! Wir sind zu einem Fest der Versöhnung eingeladen. Von Gott.

IV

Gott läuft seinen Kindern entgegen: nicht nur dem einen, auch dem anderen, beiden: dem, der fort war, am Ende, verloren, tot - und der nun heimkommt, wieder gefunden ist, lebendig. Und dem, der treu zu Hause geblieben ist, und dessen freundliches Gesicht jetzt durch den Neid verzerrt wird, dessen Treue unter der Eifersucht verschwindet. Beiden läuft Gott entgegen, beide will Gott bei sich haben, beide in die Arme nehmen, wie ein Vater und wie eine Mutter ihre Kinder.

Gott reitet nicht auf Fehlern und Sünden herum; Gott erwartet nicht, dass wir uns erst erniedrigen, damit wir zum Fest eingeladen werden. Gott ist eher wie eine Mutter, die die Schwierigkeiten sieht und die Probleme genau wahrnimmt, aber nicht den Finger in die Wunde legen muss. Vielmehr baut sie eine Brücke, damit das Kind aus dem Fehler, aus dem Zorn, dem Wutanfall heraus kommen kann, ohne das Gesicht zu verlieren.

Gott ist wie ein Mensch, der es mir leichter macht, mich zu bewegen, in die richtige Richtung. Statt: „das habe ich ja immer gesagt, das ist ja mal wieder typisch!", sagt Gott: „Endlich bist du da! Lass dich anschauen! Das alles steckt in dir! Bin ich froh, dass du lebst, dass ich dich wieder gefunden habe!" Gott gibt: offene Arme, Vertrauen, frische Kleider fürs Fest, Schmuck - und einen richtigen Ochsen, damit genug zu essen da ist, damit wirklich ein Fest gefeiert werden kann.

Und der verlorene Sohn? Er stammelt die Entschuldigung, die er sich im Schweinestall zu recht gelegt hat: Es tut mir Leid, ich habe dich gekränkt, verletzt; „ich bin nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße!" Es muss gesagt werden, aber es lässt sich einem strahlenden Gegenüber auch leicht sagen.

So öffnen sich Spielräume, Lebensräume, weil Gott einlädt. Gott gibt mehr als der verlorene und der ältere Sohn erwartet haben. Gott lädt ein: Kommt, feiert mit, denn was verloren und tot war, ist wieder lebendig.

IV

Thomas sitzt in der Dorfkneipe, allein an einem Tisch und nippt an einer Cola. Meine Geschichte endet offen, Jesu Gleichnis endet offen. Das Leben erzählt, wie die Geschichte weiter geht. Gleich, wenn Thomas aufsteht und zu seinem Elternhaus geht. Gleich, wenn wir nach Hause gehen.

Aber wir haben es gehört und nehmen es mit: Gottes Arme sind offen, für die verlorenen Söhne und Töchter, für die treuen älteren Geschwister, für die besorgten und liebevollen Eltern. Alle sind zum Fest der Versöhnung geladen. Amen.

 



Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
76133 Karlsruhe


E-Mail: Jochen.Cornelius-Bundschuh@ekiba.de

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