Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 10.07.2011

Predigt zu Lukas 15:1-7, verfasst von Tom Kleffmann

 

Gnade sei mit euch, und Friede von Gott, unsern Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Wer bist du? - -

Bist du verloren? Bist du gefunden - bist du gefunden, nachdem du verloren warst? Oder bist du einer von denen, die nie verloren waren - einer von den Gerechten, den Sicheren, die den geraden Weg gehen? Gibt es die denn? Oder gibt es nur: Verlorene, die wissen, daß sie verloren sind. Verlorene, die nicht wissen, daß sie verloren sind. Und Gefundene?

Drei oder vier Fragen möchte ich beantworten:

Was heißt: verloren sein?

Wer sind die Gerechten?

Wie werden die Verlorenen gefunden?

Wie werden die Sünder gerecht?

Dem Hirten ist ein Schaf verloren gegangen. Gott ist ein Mensch verloren gegangen. Was bedeutet das für den Menschen?

Am Anfang des Predigtextes steht: [Lesung Lk. 15,1-2]. Die, die sich Jesus nahen und ihn hören wollen, wissen, daß ihnen etwas fehlt - nicht irgend etwas, sondern das Entscheidende. Daß sie fern sind vom Leben, von der Wahrheit, vom Sinn, von Gott; - und sie wissen, sie hoffen daß sie von diesem Menschen vielleicht etwas erfahren können, was sie heilt, was sie rettet. Sie wollen hören - die anderen reden lieber selber.

Und Jesus erzählt ihnen das Gleichnis von dem, der verloren ist. Wem erzählt er es? Können die, die garnicht hören wollen, das verstehen - die die selbstgewiß lieber selber reden? Können sie das nachfühlen, was das heißt: verloren sein?

Verloren sein heißt ohne Heimat sein, in einer Welt, die fremd und sinnlos geworden ist. In der ich sterben muß ohne Ausweg und Ankunft, allein sterben. Verloren sein heißt, daß es dunkel ist, in Wahrheit, und daß die Dinge stumm sind und mir nur meine Einsamkeit spiegeln. Verloren sein ist wie eine wache Nacht in kaltem Licht im Krankenhaus. Eine Erde ohne Sinn; das Menschenleben, sein Hoffen eine Lüge, ein Hauch im Nichts. Eine Erde, ein Leben ohne Gott. Oder wenn Gott nur der Abgrund ist, die Frage, das Schweigen.

Die Verlorenen, die Sünder, die sich Jesus nahten und um alles in der Welt hören wollten - die werden sein Gleichnis verstehen.

Und die Anderen - die hier die Pharisäer und Schriftgelehrten heißen? Es scheint, als redet Jesus gerade auch zu ihnen. Als versucht er den Gerechten zu erklären, warum er die Sünder liebt, die Verlorenen. Aber sind denn die, die hier die Pharisäer und Schriftgelehrten heißen, die 99 Gerechten, von denen das Gleichnis redet? Sind sie die, die der Buße nicht bedürfen?

Sie sind sicher. Sie denken nicht, daß ihnen etwas fehlt. Sie haben eine starke Identität. Sie sind anerkannt in Beruf und Familie. Sie gehören zu den Guten, zu den Frommen, so sieht es aus. Ist es wirklich so? Haben sie wirklich die Krise nicht nötig? Oder wissen sie nur nicht, daß sie verloren sind? Wissen sie nicht, daß ihre Stärke sinnlos ist, daß Gott fern ist. Verleugnen die Grenze, den Tod, die leere Mitte. Schaffen sich selbst. Bauen das Bild ihres Lebens. Definieren sich selbst. Sind sich selbst ihr Gott. Reden sich Sinn ein und lassen ihn sich von ihren Freunden bestätigen, Sinn des Tages, Sinn der Woche, Sinn des Jahres. Sonnen sich in der Anerkennung, die ihnen die andern Lebenslügner geben. Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern!

Wer dagegen weiß, daß er verloren ist, ist deswegen noch nicht gefunden. Aber er tut Buße. Er erkennt sich selbst. Er wird still und hört. Sie aber wollen nichts hören. Und indem sie lieber selber reden und sich distanzieren von Jesus und den offensichtlichen Sündern (den Huren und Finanzmaklern und Alkoholikern), sagen sie doch unfreiwillig die Wahrheit: dieser nimmt die Sünder an. Und indem Jesus sich vor ihnen zu rechtfertigen scheint mit seinem Gleichnis von den 99 Schafen und dem einen Verlorenen, spiegelt er ihnen ihre wahre Sünde. Denn sie werden ihn immer noch nicht hören, wenn er von dem erzählt, der dem Verlorenen nachgeht. Sie werden sich nicht mit ihm freuen, mit Jesus, mit Gott, wenn er den einen Verlorenen und Gefundenen heimträgt.

Bitte schlagen sie im Gesangbuch vorne die Nr. 020 auf.

[Offene Schuld 020]

Jetzt das Wichtigste: Wie werden wir gefunden, wenn wir verloren sind? Gott hat uns verloren. Denn wir sind gegangen. Wann war das? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen: das Menschenleben dieser Welt ist eine blinde Selbstverständlichkeit. Es ist ein Hauch im Nichts. Die Menschen kreisen um sich selbst und ihr kleines Eigentum. Wir wollten uns selbst bestimmen, aber sind doch nur gefangen in der Sorge um uns selbst. Fragten nicht nach Tod und Leben. Hielten es nicht aus - vor dem einen, wahren Gott und Du. Und so haben wir uns verloren, Gott hat uns verloren; wir wissen nicht seit wann.

Und wie werden wir gefunden? Wir werden gefunden, indem wir, wenn wir wissen, daß wir verloren sind - hören!

Hören wir noch einmal:

[Lesung Lk. 15,4-7] - -

Wie werden wir gefunden? Jesus sagt zu ihnen dieses Gleichnis, und indem er es sagt, geschieht was er sagt. Dieser Mensch redet im Namen Gottes des Vaters. Die Freude im Himmel über den einen, der gefunden ist - das ist schon die Freude dieses Menschen, der mit den Zöllnern und Sündern ißt. Dieser nimmt die Sünder an.

Gott ist ein Mensch und geht uns nach - dorthin wo wir verloren sind, da ist er. Wo die Sinnlosigkeit offenbar ist, wo die Einsamkeit offenbar ist, vor dem Tod, und schließlich ans Kreuz, das alles versammelt.

Gott ist ein Mensch und geht uns nach. Und er kommt heim mit dem Verlorenen, heim zu sich, in seine Gemeinschaft, die nicht aufhört. Und er freut sich, daß er uns gefunden hat, daß wir mit ihm heimkommen, daß wir anfangen zu sehen.

Wer ist gerecht? Vor Gott heißt gerecht sein, nicht für sich leben, sondern aus der Gemeinschaft, zu der Gott uns bestimmt hat. Paulus sagt (vgl. Röm. 3,21-28): Aus sich selbst ist keiner gerecht. Aber Gott macht gerecht. In uns selbst, für uns selbst sind wir alle verloren. Aber Gott findet den, der weiß daß er verloren ist. Am Kreuz hat er uns gefunden; dorthin ist er uns nachgegangen.

Ja, es gibt Sünder und es gibt Gerechte. Aber gerecht wird der Mensch ohne Verdienst, allein durch den Glauben. Die Gerechten sind die, die verloren und gefunden sind. Die hören und vertrauen: genau dorthin, wo ich verloren bin, ist Gott gekommen. Und er nimmt mich mit heim, jetzt schon. Und wir fangen an, unser Leben zu feiern.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Prof. Dr. Tom Kleffmann
Kassel
E-Mail: kleffmann@uni-kassel.de

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