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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 24.07.2011

Predigt zu Lukas 5:1-11, verfasst von Niels Henrik Arendt


„Als zaghaftesten, zögerlichsten und zauderndsten Christen" - so stellt der englische Schriftsteller C. S. Lewis sich selbst in einem Buch dar, in dem er von seiner Bekehrung zum Christentum erzählt. Er war Professor für Mittelalterliche Literatur an der Universität Oxford, und er war Atheist, nach mehrjährigen Gesprächen mit ein paar Kollegen jedoch wurde er schließlich Christ (und mit der Zeit auch ein sehr engagierter christlicher Autor).

Er macht also kein Hehl daraus, dass es nicht gerade größte Begeisterung war, mit der er sich der Kirche anschloss. Ich sehe ihn als eine Person vor mir, die gleichsam schreiend und um sich tretend in die Kirche geschleppt wird. Das Christentum - er hatte nicht das Gefühl, dass er es nötig hätte, ja er fasste es geradezu als eine Einmischung in sein Leben auf, doch er beugte sich dem, was er als Wirklichkeit begriff. Vor allem vermochte er das, was ihm begegnet war, mit einem einzigen Wort zu bezeichnen: „Freude".

Das Zagen und Zaudern kennen die meisten. Und man wird die Haltung der Mehrheit zum Christentum wohl ganz treffend als „zögerlich" bezeichnen können. Wir wollen es nicht ablehnen; es ist unser Erbe, aber es ist mehr als das: Den allermeisten ist es der Ausdruck einer spirituellen Dimension des Daseins, die sie nicht aufgeben möchten und von der sich selbst loszusagen sie sich nicht trauen. Gleichzeitig hat es etwas von einem Ärgernis, weil man leicht unter einem schlechten Gewissen daran leidet, dass man in seine Beziehung zu ihm nicht mehr investieren will als einen bescheidenen Teil seiner selbst - unglaublich genug, denn die Bedeutung des Christentums liegt doch faktisch im Gegenteil, nämlich darin, dem Menschen ein gutes Gewissen zu geben.

In unserem Alltag haben wir nicht das Gefühl, dass es [das Christentum] von Belang sei. Ja, und wenn es einem trotzdem einmal in die Quere kommt, sind wir nicht frei davon, es ein wenig anmaßend zu finden, als verlange es mehr von uns, als wir eigentlich zu geben bereit sind - als mische es sich auf unangenehme Weise ein, wenn es uns zum Beispiel auf unsere Verantwortung anspricht gegenüber unserem leidenden Nächsten und auf unsere Pflicht, Barmherzigkeit zu üben.

Sogar wenn wir ihm Raum geben in unserem Leben, ist es mit dem Zagen und Zaudern nicht vorbei; wir sparen es [das Christentum] für besondere Bereiche unseres Daseins auf oder für besondere Gelegenheiten. Nur zögerlich lassen wir uns auf es ein - und bloß nicht zu sehr. Und dafür haben wir alle möglichen Begründungen. Seht nur, wie es bei Simon Petrus war!

Petrus hatte Jesus nicht nötig. Nicht er war es, der sich an Jesus wandte, um einen guten Rat zu erhalten, die Fischerei betreffend. Als Jesus ihm dennoch einen guten Rat erteilt, kann er seinen Groll kaum verbergen: „Wir haben die ganze Nacht gefischt." Warum mischst du dich hier ein? Es ist schlimm genug, dass der Fang schlecht war, und jetzt sollen wir auch noch in unserer Arbeit gestört werden.

Petrus zagt und zaudert. Jesus kommt und bringt seinen Alltag durcheinander. Doch er tut, wozu Jesus ihm rät. Warum? Wohl kaum aus Höflichkeit. Vielleicht jedoch, weil er - zögerlich noch - das Gefühl hatte, dass ihm hier etwas begegnete, dem er sich beugen sollte. Nach dem unglaublichen Fang sagt er zu Jesus: Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch.

Geh weg von mir - es mag seltsam erscheinen, dass er das zu jemandem sagt, der ihm gerade zu einem gewaltigen Fang verholfen hat. Warum sagte er nicht: „Bleib hier, Herr, und hilf uns in Zukunft!"? Weil Simon Petrus jetzt völlig bewusst ist - was er bereits ahnte, als er wieder hinausfuhr -, dass der Fang, um den es hier geht, ein ganz anderer ist. Er erkennt, dass er es ist, der gefangen wird. Er fühlt schon den Angelhaken in sich, und das lässt ihn sagen: GEH WEG. Aber Jesus macht ihn nicht los von dem Haken. Er sagt: Folge mir, denn ich brauche dich! So geht es zu, wenn man sich auf Jesus einlässt.

Es ist nicht Petrus, der Jesus erwählt hat. Auch auf Petrus trifft die Charakteristik zu: der Zaghafteste, Zögerlichste, Zauderndste. Aber das bringt Jesus nicht dazu, dass er geht - oder Petrus gehen lässt. Denn Jesus hat Petrus erwählt. Und obwohl Petrus sich sträubt, so beugt er sich schließlich doch. Ebenso vermag später e r  das, was ihm begegnet ist, mit dem einen Wort „Freude" zu bezeichnen - unabhängig von allem, was er durchmachen musste (1. Petrus 4,13).

Es war keine Kleinigkeit, die Petrus abverlangt wurde. Daher ist unser Zaudern und Zagen gegenüber dem Christentum nur zu verständlich. Man riskiert etwas, indem man sich auf Jesus einlässt. Und doch kommt man nicht um ihn herum - wie es auch bei Petrus der Fall war. Selbstverständlich hätte er jederzeit die Möglichkeit gehabt, zu gehen. Aber er tat es nicht. Er tat es nicht, weil das, was geschah, stärker war als er. Weil er wusste, dass er nur, wenn er ginge, in seinen wohlbekannten Alltag würde zurückkehren können, dann aber würde ihm etwas entgehen, das bedeutsamer war als alles andere, die Wirklichkeit selbst, und damit wären dann alle weiteren Tage grau. Also ließ Petrus alles zurück und folgte Jesus nach.

Möglicherweise haben wir in unserem Alltag nicht das Gefühl, dass das Christentum von Belang ist, und wir gestehen ihm auch nur zögernd und zaudernd einen begrenzten Raum in unserem Dasein zu. Und doch hat Jesus seinen Haken in uns. Nicht wir sind es, die ihn erwählen, sondern er ist es, der sich uns ausersah. Nicht um unsere Wünsche zu erfüllen, sondern weil er eine Aufgabe für uns hat, einen jeden von uns, jeden an seinem Ort.

Und selbstverständlich können auch wir uns da losreißen - was freilich nicht gleich heißt, dass er uns loslässt. Doch wir können uns auch wie Petrus verhalten, der in all seinem Zögern und Zaudern ihn beim Wort nahm - und erfahren, worauf er mit uns hinaus will und was er für uns bereithält. Aber dann wird nichts mehr sein, wie es war.

Wenn das, was wir wollen, nur ist, dass wir nicht in unseren Kreisen gestört werden, ist es besser, Abstand zu halten zu ihm. Und dann alles zu vergessen, was mit dem großen Wort „Freude" zu tun hat. Aber wenn wir es immer noch nicht über uns bringen, es aufzugeben, ja, dann müssen wir wie Petrus dem Ruf des Evangeliums an uns folgen.

Amen



Bischof Niels Henrik Arendt
Haderslev
E-Mail: nha@km.dk

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