Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 31.07.2011

Predigt zu Matthäus 5:20-26, verfasst von Poul Joachim Stender


Im Alten Testament stehen am Ufer des Nils sieben schöne und wohlgenährte Kühe und grasen im Schilf. Plötzlich steigen aus dem trüben Wasser des Flusses sieben hässliche und magere Kühe. Im Nu beginnen diese hässlichen und mageren Kühe die fetten und schönen Kühe zu fressen. Warum um alles in der Welt steht eine solche Geschichte in der Bibel? Das ist so, weil es eine menschliche Erfahrung durch die Jahrtausende ist: auf den Wohlstand folgt die Krise. Es ist eine moderne Illusion, dass es bei uns Jahr um Jahr mit Wachstum und Fortschritt und Wohlstand weitergehen könnte.

Geht man von der jüdischen Welt des Alten Testaments in die griechisch-römische Welt, so stellt man fest, dass es die gleichen Gedanken auch dort gibt. Man fasste sie in die Begriffe Hybris und Nemesis. Wenn es jemandem zu gut ging, wenn man zu viel Glück und Erfolg im Leben hatte, begann man sich zu fürchten. Es wäre vermessen gewesen anzunehmen, ein solcher Zustand könnte andauern. Unausweichlich würde man von der Nemesis eingeholt werden. Schicksal.

Der persische König Xerxes ist ein Beispiel für jemanden, der der Hybris verfiel. Er schuf das erste Weltreich. Er glaubte, er könnte sich die ganze Welt unterwerfen. Aber die Griechen schlugen ihn bei Marathon, Salamis und Platää mit Armeen, die weit kleiner waren als die persischen. Xerxes wird, griechischer Vorstellung zufolge, für seine Überheblichkeit bestraft. Wenn es zutrifft, dass sich in unseren dänischen Sprichwörtern Wissen und Erfahrung der Menschen verdichten, so haben wir das auch im dänischen Sprichwort: Hochmut kommt vor dem Fall.

Die weltweite Finanzkrise ist keine Finanzkrise. Es ist eine menschliche Krise. Sie ist das Ergebnis von Arroganz und Überheblichkeit und Mangel an Demut. Die gesamte reiche Welt wundert sich jetzt darüber, dass nicht mehr alles nur Erfolg und Fortschritt ist. Die gleiche Reaktion erlebt man als Pfarrer immer wieder bei Menschen, die von einer Krankheit betroffen werden. Sie sind sich sicher, dass Gesundheit und Glück ein Menschenrecht sind. Alle scheinen vergessen zu haben, dass wir sterblich sind und verletzlich. Das sind unsere Volkswirtschaften und politischen Systeme ebenso.

Die Religion müsse sich aus dem öffentlichen Raum heraushalten. So haben manche Politiker gefordert. Die Kirchen müssen ihre Botschaft hinter zugezogenen Gardinen murmeln, wie der Liebende seiner Geliebten im Bett eine zärtliche Liebeserklärung zuflüstert. Hinter diesen Ansichten steht eine engstirnige und verkrampfte Weltlichkeit, die nicht allein unsere Seele auszutrocknen droht, sondern so töricht ist zu glauben, nur eine politische Debatte, die religionsbereinigt ist, könnte für Menschenrechte und Demokratie einstehen.

Wir haben von den Kanzeln von einer geistlichen Krise in der Bevölkerung gesprochen, ohne dass man das ernst genommen hätte. Wir haben laut darauf aufmerksam gemacht, dass Europa gegen Gott Krieg führt. Aber es ist klar, dass die Machthaber an unserer Botschaft überhaupt nicht interessiert sind. Ein geistlich totes Volk besteht aus weit besseren Konsumenten als ein Volk, das begreift, dass nicht die Größe des Hauses oder des Autos oder die Karriere es ist, was das Leben groß macht. Vielmehr etwas so Banales und doch hoch Kompliziertes wie Nähe, Glaube, Liebe, Hoffnung.

Die Wohlstandsgeistlichkeit ist nicht mehr die im schwarzen Talar und mit weißem Kragen. Das hat sich gewandelt: die Geistlichkeit trägt Anzug und Krawatte. Bankdirektoren. Sie konnten den Leuten geben, wonach sie sich sehnten: Paradiese hier und jetzt. Geld für mehr Konsum. Geld für größere Immobilien. Mit ihren Gaben stillten sie den Hunger der Zeit. Noch mehr Geld für den eigenen Konsum. Noch mehr Geld für eine wertbeständige Immobilie.

Weihnachten 2008 haben wir 10 Milliarden Kronen für Essen, Trinken und Weihnachtsgeschenke ausgegeben. Im nächsten Jahr, Weihnachten 2009, als alle davon redeten, dass uns die Krise tief getroffen habe, gaben wir 9½ Milliarden Kronen aus. Vergleichen wir uns mit den armen Ländern der Erde, sind die schlimmen Folgen der so genannten Wirtschaftskrise hier in Dänemark schwer auszumachen. Aber Tatsache ist, dass hässliche, magere Kühe aus den trüben Gewässern der Finanzwelt gestiegen und im Begriff sind, die fetten Kühe aufzufressen. Lasst uns also den wirtschaftlichen Abschwung nutzen, um geistlichen Reichtum zu erwerben.

In der Bergpredigt haben wir heute einige Worte Jesu gehört, die die Dinge zurechtrücken. Das alte Gebot war: Du sollst nicht töten. Doch Jesus verschärft das Gebot. Nicht nur diejenigen, die mit Waffen töten, sind Mörder. Wir alle sind Mörder, denn wir sind wütend aufeinander und schleudern uns harte und verletzende Worte entgegen. Begreifen Sie nicht? Gottes Sohn macht uns gleich. Niemand von uns kann herumlaufen und mit dem Finger auf andere zeigen und zu dem oder jenem sagen: Ich bin ein besserer Mensch als du, denn ich habe nie einen Mord begangen. Das stimmt nicht. Wir sind alle gleich böse und alle gleich gut. Deshalb müssen wir die Finanzkrise nutzen - sie ist im Grund eine menschliche Krise -, um den vergessenen Begriff der Demut in den Blick zu bekommen.

Warum haben wir die Wirtschaftskrise? Sie kam, weil wir nicht demütig waren. Wir hatten keine Angst vor dem, was der Wohlstand in unserem Denken bewirken würde. Wir waren viel besorgter darum, Besitz zu erwerben, als auf das Evangelium zu hören von Glauben, Hoffnung und Liebe. Wir waren auch nicht demütig im Umgang mit Luft und Wasser und mit der Erde. Sie waren nicht Gottes Gaben. Sie waren eine Ressource, mit der wir tun konnten, was uns gefiel. Doch das Schlimmste von allem: Wir waren nicht demütig vor Christus und gegen einander. Wir erkannten nicht an, dass wir sterbliche Wesen sind, ganz und gar angewiesen auf Gottes Gnade und die Anteilnahme unserer Mitmenschen.

Aber jetzt lastet die Krise auf uns. Lasst uns sie nutzen in guter Weise! Es ist an der Zeit, die Demut neu zu entdecken. Zeit, sich mit seinen Feinden zu versöhnen. Zeit, wieder viele Kinder in die Welt zu setzen. Es ist ein demografischer Selbstmord, dass europäische Männer und Frauen so viel Angst davor haben, Kinder zu haben. Und schließlich ist es in erster Linie Zeit, wieder zu glauben, dass da ein Gott ist, der uns liebt. Aber auch den Anspruch an uns stellt, dass wir unseren Nächsten, unseren Planeten genauso wichtig nehmen wie uns selbst.

Amen



Pastor Poul Joachim Stender
Saaby
E-Mail: pjs@km.dk

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