Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 21.08.2011

Predigt zu Lukas 16:1-9, verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen


Dies hier ist eine unmoralische Geschichte von Täuschung und Betrug. Man kann sich nur empören. Wir mögen so etwas, und darum klingt sie auch völlig vertraut - wie etwas, das wir erst gestern gehört haben oder in der Zeitung von morgen lesen können. Etwa wenn der Direktor eines großen Unternehmens Geld unterschlägt, die Firma Verluste macht und der Aufsichtsrat von dem, was da vor sich geht, Wind bekommt. Der Tag der Abrechnung ist da, doch es ist gerade noch Zeit, sich Freunde zu machen mittels seiner Position.

Wirtschaftliche Unehrlichkeit sehen wir immerfort. Die Titelseiten der Illustrierten zeigen die Superreichen mit großen Häusern im In- und Ausland, und sie stehen da in Designerkleidung, mit großen Autos und lächeln. Bald darauf sind sie in einen Skandal verwickelt, sie gehen Konkurs, das Spiel ist aus. Aber nach einiger Zeit sind sie wieder da, stehen vor anderen Häusern, mit einer neuen Geliebten, neuem Lächeln, neuen Freunden.

Manchmal umgibt den Betrüger gar Sympathie. Ein gewisser Respekt ist dem cleveren Gauner sicher. Vor einigen Jahren gab es einmal einen solchen Fall, bei dem teure Geschenke und ein großspuriger Lebensstil Teil der Gaunerei waren. Die Leute mochten den Mann einfach nur, und Sympathie hing ihm noch lange an, nachdem die Illusion geplatzt war und Mann und Millionen sich in Luft aufgelöst hatten.

Aber hier holt uns die Empörung hinterrücks ein. Wir dachten, wir sollten Anstoß nehmen am skrupellosen Betrug des unehrlichen Verwalters, doch stattdessen nehmen wir Anstoß daran, dass der Verwalter wegen seines klugen Vorgehens gelobt wird. Ganz unabhängig davon, ob es der reiche Mann ist oder Jesus, der ihn lobt, es ist ein Skandal - für die Kinder der Welt. Die sich gleich anschließend empören können über ihre eigene Empörung.

Jesus verblüfft uns - wieder einmal! Die Geschichte wird zum Spiegel, der uns vorgehalten wird: Wir stehen direkt davor und sehen uns selbst am Platz des Verwalters - und sind genau auf die Gnade angewiesen, die uns eben noch schockiert hat. Das Empörende an der Gnade ist, dass sie alle gleich macht. Das ist skandalös für uns Weltmänner und -frauen, die gewöhnt sind, zu konkurrieren, verglichen und beurteilt zu werden, um angesehen zu sein.

Schauen Sie sich um, sehen Sie, wie die Kinder der Welt sich abplagen wie die kleinen Esel, um sich am Arbeitsplatz unentbehrlich zu machen, wie sie traben, um das Familienleben in Gang zu halten, und schwitzen, um gut auszusehen; ja, sogar die Freizeit stellt die Anforderung, auf dem Präsentierteller eine gute Figur zu machen durch ein sinnvolles ehrenamtliches Engagement, die richtigen Freunde und reichlich Zeit. (Woher soll das kommen angesichts all dessen, was verlangt wird?)

Die Kinder der Welt stechen einander darin aus. Gleichheit ist kein Prinzip, dem man in einer Gesellschaft huldigen könnte, in der man sich abplagt, so hart abplagt - nur für das Ansehen. Die Frage ist: Warum und wozu tun wir das?

Mancher wird sogleich antworten, es sei doch ein Ausweis des Lebens und ein Gewinn, dass das so ist, - ist es vielleicht nicht gut, dass wir uns nicht mehr nur mit dem Brot auf dem Tisch zufrieden geben müssen und körperlich harter Arbeit von morgens bis abends? Andere werden sich dagegen auflehnen und meinen, sie stünden außerhalb des Wettlaufs, müssten sich nicht dem Leistungsdruck beugen, sondern könnten in ihrem eigenen Tempo leben. Wieder andere können einfach nicht mithalten, - aber auch sie werden bombardiert mit Bildern und Vermarktungsstrategien, die signalisieren, der Sinn des Lebens sei das reiche, prestigeträchtige und schnelllebige persönliche Leben - nur um etwas vorzustellen.

Es sei unterstrichen: „persönlich", denn jeder hat sein Leben, mit seinen Zielen und Träumen - und die Familie und das Umfeld haben einfach bloß Glück, wenn sie zu diesen Träumen passen. Doch darin liegt keine Vision zum Wohl der Gemeinschaft, die eine treibende Kraft ist. Es ist ein individueller Traum, der hier ausgelebt wird - so weit wie nur möglich.

Ich verliere kein Wort darüber, ob das gut oder schlecht ist, ich möchte mich weder als Kulturpessimist noch als saurer Moralist aufspielen. Ich beobachte nur, dass es so ist, und ich sehe mich selbst weitgehend mitlaufen im Hamsterrad. Das Gesetz der Trägheit beherrscht den Lauf der Welt.

Wozu ist es wichtig, alles zu können oder jedenfalls den Anschein davon zu erwecken? Wer oder was ist das, von dem oder mit dem wir anerkannt werden wollen? Die Psychologie sagt, der Anerkennung, die wir als Kinder nicht erhielten, jagen wir unser Leben lang nach. Jeder ist betroffen, denn unsere armen unvollkommenen Eltern hatten alle das eine oder andere Defizit, sie versagten alle hier und da, indem sie uns nicht anerkannten. Freud stempelt uns alle zu Neurotikern ab, und dank Woody Allen ist es durchaus angesagt, ein klein wenig neurotisch zu sein.

Doch was läuft da falsch, wenn man sich so wahnsinnig abplagen muss für die Anerkennung? Ist es so, dass da irgendwo eine gemeinsame Elternfigur herumspukt? Eine Autorität, deren Anerkennung wir nicht bekamen, - und ist das der Grund, dass wir uns jetzt abplagen müssen, um zu beweisen, dass wir das Leben meistern können? Eine kollektive Neurose?

Im Zusammenhang mit der Tragödie in Norwegen kam die Kollektivschuld zur Sprache als ein zu erwägender Aspekt. Davon haben wir lange nichts gehört. Kollektivschuld ist etwas, worüber wir nur ungern reden. Wir haben sie im Hinblick auf den Klimawandel, die Umweltverschmutzung, die bedrohte Artenvielfalt, den übermäßigen Verbrauch von Ressourcen und die weltweite Armut und Friedlosigkeit; sie lässt unsere Kinder nicht ruhig schlafen und träumen, so dass wir erwägen, sie vor den Nachrichten zu schützen. Wir empfinden eine Kollektivschuld, denn sonst wären wir weniger einfallslos träge in Bezug auf die vielen globalen Probleme. Aber darüber zu reden, das gehen wir nicht an. Nicht wirklich.

Eine kollektive Neurose und eine kollektive Schuld, das sind schwere Fälle! Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns so sehr abplagen, um das persönliche Leben zu meistern? Wir umgeben uns mit Freunden und Sicherheiten, Ansehen und Kontrollmechanismen. Wem sind wir verantwortlich?

Wir sind unerreichbar für das Unverdiente, beinahe unfähig dazu, etwas annehmen zu können. Wer verglichen und beurteilt wird, erwartet der nun nicht im Gegenzug etwas von mir? Ob ich das hier wohl verdient habe? Und wäre es die Ewigkeit, auch sie sie ist zu einem Wettbewerb geworden, einer Frage der Leistung.

Die guten und sich allezeit abplagenden Pharisäer nehmen Anstoß daran, dass die verachteten und gescheiterten Zöllner und Sünder zu Gottes Reich gehören sollen. Die haben das nicht verdient! Gnade ist nicht fair! Gottes Gerechtigkeit ist ungerecht, und es kann doch nicht wahr sein, dass die Liebe keinen Unterschied macht?

Nein, das kann nicht wahr sein! Die Liebe macht einen Unterschied! Sie allein macht den Unterschied! Sie ist es, die etwas schafft aus dem Nichts und eine Zukunft aufbaut aus Ruinen. Sie ist es, die den Blick leuchten macht und den Mund derer vor Freude lachen, die niedergeschlagen waren, wie derer, die sich aufregten.

Gottes Liebe macht den Unterschied - sie ist die Anerkennung, welche die Kinder ernst nimmt. Sie als die klugen Kinder des Lichts ansieht, die zur Verantwortung berufen sind. Kinder, deren Taten Folgen haben für die anderen Kinder. Kinder des Lichts, die die Heimat in den ewigen Hütten mit Freunden teilen wollen und allen anderen deshalb großzügig gönnen können, ebenfalls Kinder zu sein.

Kinder, die begreifen. dass Liebe nicht teilbar ist, aufgeteilt werden kann in größere und kleinere Stücke, als wäre sie ein Kuchen, sondern dass sie stets ganz und vollkommen ist, und zwar gänzlich unverdient. Die ewigen Hütten sind keine Fleißprämie für die mit den einwandfreien Kopfnoten. Die ewigen Hütten sind Erfüllung, die Vollendung all des Vorläufigen, Bruchstückhaften, des Zerbrochenen, Zerstörten, Verlorenen.

Gnade heißt, dass hier selbst die Gescheiterten und Unbrauchbaren, die gebrochenen Herzen, die Verhärteten und Unansprechbaren ein Zuhause haben - nicht zu besonderen Bedingungen oder im Status der Duldung, sondern in der Liebe, die den Unterschied macht für die armen, sich rastlos abplagenden Kinder der Welt, die am Ende erfahren: wir sind Kinder des Lichts.

Amen!



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
Ringsted
E-Mail: amnm@km.de

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