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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 28.08.2011

Predigt zu Lukas 19:41-48, verfasst von Birgitte Graakjær Hjort


Jesus weinte! Dass Menschen gelegentlich einmal weinen - darin liegt nichts Ungewöhnliches. Kleine Kinder zum Beispiel können weinen, dass die Tränen ihnen nur so über die Wangen laufen. Das geschieht in der Regel mehrmals am Tag, solange sie klein sind. Anders die Erwachsenen, sie sind ziemlich unterschiedlich. Manche weinen nie. Fast egal, was passiert. Es kommt vielleicht ein oder zwei Mal vor in ihrem Erwachsenenleben, dass sie in Tränen ausbrechen. Und dann ist der Umgebung gleich klar, dass da etwas ganz Besonderes los ist. Andere weinen oft. Entweder weil sie leicht über jede Kleinigkeit gerührt sind. Oder weil sie über etwas sehr traurig sind. Für sie ist nichts Ungewöhnliches dabei, zu weinen. Doch dass Gottes Sohn weint - das ist ungewöhnlich! Davon zu hören sind wir ganz und gar nicht gewöhnt. Das ganze Neue Testament erzählt nur zwei Mal, dass Jesus weinte. Wir begreifen also gut, dass etwas ganz Besonderes im Spiel ist, wenn das passiert.

Was hat denn da einen so tiefen Eindruck auf Jesus gemacht, dass er darum sogar weint? Er, der sonst fast nie weinte. Was ist es, was Menschen dazu bringen kann, dass sie in Tränen ausbrechen?

Zu weinen signalisiert, dass man hilflos ist. Wir weinen, wenn etwas geschehen ist, das uns weh tut, und wir können nichts dagegen tun. Wenn wir aufgeben müssen, es zu ändern. - Dass Jesus weint, kommt uns daher umso denkwürdiger vor. Denn er hatte ja die Macht und Autorität, den Stand der Dinge zu ändern. Als Gottes Sohn verfügte er über die Kräfte des Himmels, den Stürmen zu gebieten und Tote wieder lebendig zu machen. Er konnte Krankheiten heilen und Dämonen austreiben. Jesus war stark wie kein anderer! Wenn ER aufgab und zu weinen begann, wie sollen wir anderen damit klarkommen? Es ist ein bisschen so, wie wenn jemand erlebt, dass sein Vater oder ein anderer Erwachsener, den wir normalerweise nicht weinen sehen, plötzlich völlig zusammenbricht. Das macht uns Angst.

Jesus also weinte. Etwas hatte ihn so stark berührt, dass er, der normalerweise nicht weinte, plötzlich den Tränen freien Lauf ließ. Welche beiden Situationen in Jesu Leben aber machten einen derart großen Eindruck auf ihn, dass er die Tränen nicht zurückhalten konnte?

Nun, das eine Mal, dass Jesus weinte, war, als sein Freund Lazarus starb. Jesus sah, wie verzweifelt die beiden Schwestern des Lazarus waren. Sie waren von der Trauer ganz überwältigt. Und um sie herum war eine Menge Leute versammelt, die ebenfalls sehr traurig darüber waren. Jesus sah, wie unerbittlich der Tod die Menschen voneinander trennt. Er sah die Verzweiflung, in der die Überlebenden zurückblieben. In dieser Situation weinte er.

Wir erfahren nicht explizit, warum er gerade jetzt zu weinen begann. Er hatte tagelang schon gewusst, dass Lazarus gestorben war, und er wusste wohl auch, dass er selbst Lazarus wieder zum Leben erwecken würde? So wird es kaum der Verlust des Lazarus, des geliebten Freundes, gewesen sein, der Jesus zum Weinen brachte. Etwas anderes muss diese Reaktion in ihm ausgelöst haben.

Vermutlich weinte Jesus wohl eher darüber, wie brutal das menschliche Leben sein kann, wenn wir jemanden verlieren. Wahrscheinlich war es eine jener Situationen, in der es ihn durch das Herz schnitt, zu sehen, wie ungestüm Trauer und Verlust Menschen ergreifen können. Jesus weinte mit anderen Worten, weil er sah, wie weh es Menschen tun kann, wenn der Tod jemanden auslöscht, den sie liebten. Gottes Sohn weinte aus echtem Mitgefühl mit den Leidenden.

Das andere Mal, von dem das Neue Testament erzählt, dass Jesus weinte, war bei der Gelegenheit, von der wir heute gehört haben. Jesus stand hoch oben auf dem Ölberg mit Blick auf ganz Jerusalem. Er stand da und blickte auf die Stadt, die er liebte. Er stand da und sah auf das Volk, zu dem er als erstes gesandt war.

Aber sie nahmen ihn nicht an als Gottes Sohn, der er war. Er war gekommen, um zu ihnen helfen und beizustehen. Sie aber wollten einfach keine Hilfe. Sie waren wie versteinert in ihrer Absage an ihn. Verschlossen und skeptisch. Wenn Gott ihnen helfen würde, könnte das unmöglich durch eine Person wie Jesus geschehen, meinten sie. Er war nicht überzeugend genug. Nicht einflussreich genug. Nicht theologisch korrekt. Nicht genügend anerkannt. Und er bewegte sich auch nicht auf glänzendem Parkett. Sie wüssten selber nicht, was ihnen zum Frieden diene, sagte Jesus. So weinte er über die Stadt Jerusalem. Die große Stadt wollte Gottes ausgestreckte Hand ja nicht annehmen.

Kurz und gut: Das erste Mal, dass Jesus weinte, da war es deswegen, weil er die Verzweiflung der Menschen sah über den Verlust. Seine Liebe zu den Menschen ging so weit, dass es ihn tief traf, wenn sie in Trauer waren und Tod, Leid und Schmerz ohnmächtig gegenüberstanden. Und das zweite Mal, dass Jesus weinte, war, als er eine ganze Stadt, ja ein ganzes Volk sah, das ihn nicht annehmen wollte als den Messias, den Gott gesandt hatte, um ihnen zu helfen, ihnen beizustehen, sie zu erlösen.

Jesus weinte also, weil er Menschen leiden sah. Und er weinte, da sie die Liebe, nicht annehmen wollten, die Gott ihnen gesandt hatte. Das sagt mehr als viele Worte über Gottes tiefstes Sein - dass ER in allen Dingen von der Liebe zu den Menschen getrieben ist. Er ist ein Gott, der sich bewegen lässt von der menschlichen Not.

Das zweite, was uns die heutige Perikope erzählt, ist, dass Gottes Sohn nicht nur tief berührt sein konnte. Er konnte auch wütend werden.

Jesus ging hin über den Tempelplatz. Der Tempel von Jerusalem war eines der schönsten Gebäude in der gesamten Mittelmeerregion. Er war ein Prachtbau. Tausende von Pilgern strömten nach Jerusalem, um den Tempel zu besuchen. Es verschlug ihnen fast den Atem vor Begeisterung, wenn sie ihn zum ersten Mal sahen. Er war ein imposantes Bauwerk. Seine großartige Vergoldung leuchtete und glänzte in der Sonne. Der Tempel war wunderschön und prächtig. Der König selbst hatte ihn bauen lassen und viel Geld dafür aufgewandt.

Es war ein lebhaftes Kommen und Gehen im Tempelbezirk. Menschenmassen. Ein Leben wie in einer anderen Welt. Die Leute kamen von weither mit ihren Tieren, die sie Gott im Tempel opfern wollten. Höchste religiöse Betriebsamkeit, von der man bloß träumen kann. Ein Riesen-Zulauf aus fast allen Bevölkerungsschichten.

Aber als Jesus zum Tempel kam, wurde er richtig wütend. Ja, er bebte sogar vor Empörung. Obwohl der Tempel voller Menschen war, die gekommen waren, um Gott zu opfern - ihn entweder um Hilfe zu bitten oder ihm zu danken für etwas Gutes. Das sah doch alles in allem vielversprechend und gut aus. Gottes Haus war voll. Aber mitten in der ganzen Betriebsamkeit und dem großen Zulauf nahm Jesus etwas wahr, das ihn nun ganz anders reagieren ließ als mit Weinen. Jesus wurde zornig. Wütend. Empört.

Überall waren Stände aufgestellt. An einigen Ständen wurden Tauben verkauft, die gurrten. Sie sollten als Opfergaben für Gott dienen. An anderen Ständen konnten die Fremden ihr Geld in die Münzen umtauschen, die zur Entrichtung der Tempelsteuer gültig waren. Das Klirren der Silbermünzen erscholl rund um den Tempelplatz. Es herrschte ein schwunghafter Handel. Und manche von denen, die an den Ständen standen, verdienten große Summen mit dem, was sie verkauften.

Als Jesus das alles sah, sagte er gerade heraus, was er davon hielt. Eine RÄUBERHÖHLE nannte er den Ort und schrie laut: Ihr habt den Tempel zu einem Basar gemacht! Er machte kurzen Prozess und jagte alle Händler fort. Weg mit der ganzen Bande.

Dann sagte er, der Tempel solle ein Bethaus sein. Er solle ein Ort sein, an dem Menschen ihr ganzes Leben in Gottes Hand legen können. Aber die Finanzjongleure hätten ihn zu einem Marktplatz gemacht. Alles schwirre vor Betriebsamkeit, die die Aufmerksamkeit vom Eigentlichen ablenke. Und das Eigentliche am Tempel sei, ein Ort zu sein, wohin die Menschen kommen können, um zu Gott zu beten und sich selbst in seine Hand zu geben. Gottes Haus solle nicht dazu missbraucht werden, dass man mit ihm ein gutes Geschäft macht. Das war Jesu Meinung dazu. Niemand soll Geld damit verdienen, dass Menschen einen Ort brauchen, zu dem sie gehen können, um zu Gott zu beten und das Evangelium zu hören. Gottes Haus soll nicht zur Geschäftsidee werden.

Lasst uns Jesu Kritik am Tempeldienst so aufnehmen, dass sie uns zu einem scharfzüngigen Votum wird im Diskurs darüber, wie wir heute Kirche sein können! Seine Kritik soll für uns zum Anlass werden, selbstkritisch zu sein: Dass wir gemeinsam überlegen, ob es vielleicht in unserer Kirche etwas gibt, das stört und dem im Weg steht, dass sie als Bethaus dient; und ob wir in all unserem religiösen Betrieb eventuell Gefahr laufen, das Wesentliche zu vergessen?

Unsere Kirchen sind ja ebenfalls schöne und schmucke Gebäude. Mancherorts gar imponierende Bauwerke. Wir haben erlesene Kunst an den Wänden und großartige Orgeln. Wir Pfarrer kleiden uns teuer und tragen noch edlere Talare. Wir haben eine breite öffentliche Unterstützung für die Staatskirche und an den meisten Orten gute Aktivitäten.

Wenn die Kirche sich als Gotteshaus erweisen soll, muss sie ein Ort sein, wo es Raum gibt für Besinnung und Gebet. Ein Ort, wo wir Gottes Stimme zu uns sprechen hören durch Jesu Wort und die Sakramente und wo wir selber uns hinwenden zu Ihm im Gebet. Ein Ort, an dem wir gemeinsam vor Sein Angesicht treten in der Stille.

Die Kirche muss ein Ort sein, den wir aufsuchen, um Kraft zu schöpfen für den Alltag, und an dem wir Mut finden, schwere Entscheidungen zu treffen, die wir nur in Gottes Hand legen können. Hierher dürfen wir kommen mit dem, was uns betrübt und schmerzt. Hierher dürfen wir auch mit unseren größten Freuden kommen und Danke sagen.

Die Kirche ist mehr als alles andere ein Haus des Gebets. Und ein Ort der Besinnung. „Das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn", berichtet Lukas. Die Menschen hingen Jesus an, um ihn zu hören. Wenn sie zum Tempel kamen, um zu opfern, wollten sie hören, was Jesus zu sagen hatte, wenn er lehrte.

Möge die Kirche ein solches Bethaus für uns sein! Möge sie ein Ort sein, an dem wir uns besinnen auf Jesu Rede und Lehre. Ein Ort, zu dem wir kommen können, um Gottes Sohn anzuhängen, und nicht genug davon bekommen können, mehr zu hören.

Amen.



Pastorin Birgitte Graakjær Hjort
Århus
E-Mail: bgh@christianskirken.dk

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