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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 04.09.2011

Predigt zu Matthäus 21:28-32, verfasst von Matthias Petersen


"das gleichnis von den beiden ungleichen söhnen"
das ist
im matthäusevangelium
die überschrift über diesem kurzen abschnitt

aber
so ungleich erscheinen die beiden söhne gar nicht
weitaus treffender wäre:
"das gleichnis von den zwei wortbrüchigen"
denn
man kann beide in der pfeife rauchen

einer sagt
mit treuherzigem blick
ja
("du weißt doch, papa, dass du dich auf mich verlassen kannst!")
und
zieht dann pfeifend seiner wege

der andere quengelt rum
("immer ich – warum nicht der andere?
und ich hab‘ doch gestern schon ...")
und lehnt dann ab

vielleicht hat er ja recht
nein zu sagen
vielleicht war es ja notwendig
dem vater eine grenze zu zeigen:
"ich hab doch mein eigenes leben
meine eigenen aufgaben
meine eigenen belastungen
du lieber himmel
stell doch einfach arbeiter ein in deinen blöden weinberg
und lass mich damit in ruhe ..."

aber
aus irgendeinem grund
er hält sein nein nicht durch
wird wankelmütig
inkonsequent
fällt um ...
und geht dann doch hin  

das ist die beste gewähr
dass sich
in den nächsten tagen
eine neuauflage der
unerquicklichen
auseinandersetzung abspielen wird

weit ist es also nicht her mit diesen beiden jungs
der vater tut mir leid
er hat von beiden nicht viel
mein wunsch
meine hoffnung wäre
dementsprechend
dass meine kinder nicht so werden
dass ihre kinder nicht so werden
dass ihr konfirmanden nicht so werdet
dass wir – die erwachsenen – nicht so sind
sondern anders
klar und grade
dass ein ja ein ja ist
und ein nein ein nein
bettina wegner fällt mir ein
"klare, grade menschen wär'n ein schönes ziel
menschen ohne rückgrat hab'n wir schon zu viel ..."

zum glück
es gibt
zu diesen ersten gedanken
aber noch einen zweiten impuls:

denn
die menschliche wirklichkeit ist eben doch komplizierter
nicht bloß schwarz-weiß
ja und nein
zustimmung und widerspruch
gehorsam und verweigerung
liebe und abneigung
licht und schatten
sondern
das alles liegt dicht an dicht in der menschlichen seele
der mensch ist immer beides
jasager und verweigerer
heiliger und teufel zugleich

mag sein
die anteile sind
von mensch zu mensch
jeweils unterschiedlich verteilt
aber
grundsätzlich ändert sich an dieser tatsache nichts
manchmal gradlinig manchmal wankelmütig
es ist beides wahr
soweit
so gut

warum aber erzählt jesus diese geschichte
holzschnittartig
schwarzweiß?

ein mann
na klar gott
er hat zwei söhne
einer sagt ja und tut nichts
die pharisäer merken genau wer gemeint ist
einer sagt nein und geht dann doch los
fröhliches luftanhalten bei zöllnern und nutten

damit nicht genug
jesus stellt seinen frommen zuhörern eine fiese fangfrage
er zwingt sie in die falle
sie müssen sich selbst verurteilen
müssen
den schmuddelkindern und bordsteinschwalben
einen persilschein ausstellen
"wer hat den willen des vaters erfüllt?"
eine nur scheinbar harmlos-lächelnde frage
die antwort knurrend
zähneknirschend gewissermaßen
naja, eben der andere ...  

versteht ihr
warum sie ihm nach dem leben trachteten
die frommen
die pharisäer
die klugen bibelforscher
die erweckten und von gott begeisterten?

du liebe zeit
sie meinten es doch ernst mit gott
natürlich machten sie fehler
natürlich gab es lücken
natürlich waren sie nicht vollkommen
aber sie gaben sich mühe
nur dieser zimmermann
keine gelegenheit lässt er aus
sie zu demütigen und lächerlich zu machen

aber
jesus ist konsequent
er ist jude
jüdischer lehrer
und
bis heute legt der jüdische glaube sein schwergewicht
nicht so sehr auf die richtige lehre und das richtige bekenntnis
sondern
stattdessen
auf das richtige tun
wenn wir es gelehrt ausdrücken wollen
nicht um orthodoxie geht es
sondern um orthopraxie
das handeln ist wichtiger als die worte
die werke der gerechtigkeit zu tun ist angemessener
als den glauben an die gerechtigkeit zu bekennen.

jesus öffnet eine tür für alle
die zweifel an gott haben
eine offene tür für alle zweifler und distanzierten
für alle kritiker und unentschlossene n
grundsätzlich
niemand soll ausgeschlossen sein von gottes liebe und nähe
auch wer nein sagt
er hat damit die türen noch lange nicht endgültig zugeschlagen
den willen des vaters tun
das kann auch jemand der ansonsten zu gott nein sagt oder gesagt hat
das handeln ist entscheidend
nicht das reden

aber
was bewegt den nein-sager-sohn eigentlich
so plötzlich
sich anders zu entscheiden?

das gleichnis redet
so die deutsche übersetzung
von reue
das wort hat aber
im griechischen urtext
noch einen ganz anderen klang als im deutschen
es beschreibt einen tief greifenden sinneswandel
totale umkehr
dem wort haftet etwas radikales an
ein alles oder nichts
jesus setzt dabei die bereitschaft
und die fähigkeit!
des menschen voraus
alles was bisher galt
infrage zu stellen
völlig neu anzufangen
auf alle
bisherigen
sicherungen und selbstverständlichkeiten zu verzichten
radikale umkehr
eine "umkehr zum leben"

so eine umkehr ist schwer
die kommt nicht einfach so dahergeflattert
umkehr setzt mehr voraus
als nur die einsicht auf einem falschen weg zu sein
umkehr erfordert viel mut
viel selbstbewusstsein
den mut
das scheitern eines bisherigen weges einzugestehen
den mut
von anderen als wankelmütig verlacht zu werden

es ist allemal einfacher
unter der behauptung konsequent zu sein
an falschen entscheidungen festzuhalten
umkehr dagegen erfordert schonungslose ehrlichkeit
nüchterne bestandsaufnahme der wirklichkeit
den willen und den mut zur veränderung
und das kann nur wer darauf vertrauen kann
bei diesem seelischen salto mortale fall ich nicht ins leere
fehler benennen und korrigieren
das kann nur
wer vertrauen kann
dass gott ihn nicht fallen lässt

umkehr hat darum eine menge mit vertrauen zu tun
das ist ein wesentlicher punkt
solches vertrauen wünsch ich mir
für uns
unsere kinder
für unsere familien
für unsere kirche
auch für unsere politiker
ganz besonders auch für die

im geist des jesus von nazareth
ein klima des vertrauens leben
in dem menschen ermutigt werden
auch zu ihrem versagen zu stehen
es zu benennen und umzukehren
auf einen weg der zum leben führt

ich will das hier noch mal konkretisieren:

ja-sagen und nichthandeln
nicht nur zur zeit jesu war das eine volksseuche
heute nicht weniger

ich bin es leid und müde
politische sonntagsreden zu hören
zum thema umwelt und klima und frieden
zu gerechtigkeit und frieden und menschenrechten
um dann noch wieder
in der regel nach der wahl
lahme ausreden zu hören
das einknicken vor den lobbies und den mächtigen

aber auch unsere kirche
in der nachfolge jesu christi
wir predigen vergebung und neuanfang
wir verkünden den mittellosen wanderprediger aus nazareth
aber wer hinter die kulissen dieser bekenntnisse blickt
der entdeckt
macht und intrige
wie in jeder politischen partei
in jedem wirtschaftsbetrieb
auch unser denken ist
wesentlich
geleitet von "ökonomischen zwängen"
und nicht von der not des nächsten

und auch das muss gesagt werden
in ihrem
eurem
meinem leben
da sieht es genauso aus
ja sagen und nein tun
da hat sich
seit jesus das gleichnis erzählte
wenig geändert

geändert hat sich auch an dieser erkenntnis nichts
manchmal sind es gerade die verbalen verweigerer
die
ohne große worte
letztlich doch zur umkehr gelangen
und den willen gottes tun auf dieser erde
der ehemalige skinhead
der jetzt mit jugendlichen arbeitet
um ihnen seinen weg zu ersparen
der überzeugte atheist
der sich
bis zur selbstaufopferung
müht um die "geringsten unter jesu schwestern und brüdern"

umkehr zum leben
für uns alle wünsche ich mir
dass wir wegkommen von den großen worten
dass wir uns auf den weg machen zur engagierten tat
getragen von dem vertrauen
dass uns gottes liebe nicht fallenlässt
und dass wir dabei nicht vergessen
dass wir
immer und überall
die anteile beider brüder in uns tragen
absolute eindeutigkeit ist uns nicht beschieden
wir sind menschen und keine engel

und soviel steht für jesus fest
der vater möchte gerne beide brüder im weinberg haben
inklusive der schwestern
weil er nämlich alle braucht
die frommen und die nicht-so-frommen
die naiven und die querdenker
die konservativen und die vorwärtsdrängenden

seine liebe zu uns allen soll uns die freiheit und den mut geben
die umkehr zu wagen
die umkehr zum leben

amen!



Propst Matthias Petersen
Plön
E-Mail: petersen.m@arcor.de

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