Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 04.09.2011

Predigt zu Lukas 18:9-14, verfasst von Christian Grund Sørensen


Es heißt, in einer amerikanischen Sonntagsschule habe man einmal eine morgendliche Bibelstunde über die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner mit den Worten beendet: „Lasst uns jetzt die Hände falten und Gott danken, dass wir nicht sind wie dieser Pharisäer" ... :-)

Sind wir etwa alle im selben Boot, oder gibt es mehrere Boote? Gibt es ein Boot, das alle guten Menschen durchs Leben trägt und sie nach dem Leben übersetzt in eine sonnenbeschienene Ewigkeit? Und daneben, wie Charons Fähre, eine elende Barke, die die Unvollkommenen und Sünder in die Finsternis bringt?

Es ist einfach, im heiligen Namen der Demokratie zu erklären, dass doch alle gleich sind, und dann müssten auch alle geradewegs in den Himmel fahren und ins Licht. Aber davon steht nun nichts in der Bibel. Sie spricht von Trennung, sie spricht von Heil und Verdammnis und Gericht und Vergebung, sie spricht davon, dass das ewige Schicksal aller Menschen nicht gleich ist.

Doch heißt das nun, dass wir in zwei verschiedenen Booten durchs Leben fahren? Gute und Schlechte? Richtige und Falsche?

Ja, würden die Pharisäer sagen. „Gott sei Dank, dass ich im richtigen Boot bin: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme."

Was der Zöller sagen würde, das wissen wir eigentlich gar nicht. Er war sich seiner eignen moralischen und menschlichen Fehler bewusst, und er wagt im Gleichnis Jesu gar nicht, sich auf andere als sich selbst zu beziehen: „Gott, sei mir armen Sünder gnädig!"

Der Pharisäer tut das, worauf wir Menschen uns gewöhnlich recht gut verstehen, wir entschuldigen unsere eigenen Fehler und blasen die der anderen auf. Der Zöllner bleibt, wo er hingehört. Er stellt sich seiner Verantwortung und bringt sie vor Gott.

Neulich war ich zum 25-jährigen Jubiläum meiner alten Abiturklasse. Wir trafen uns in geschmackvoller Umgebung: tiefe, weiße Ledersessel in einem Nachtklub in Kopenhagen. Dort machten wir es uns behaglich mit Essen und Wein, und waren uns rasch darüber einig, dass, ja, graue Haare wirklich attraktiv sind. Besonders dann, wenn sie einen Mannes zieren mit ein paar Kilos zu viel auf den Rippen!

Anfangs fielen die Worte, wie man sie erwartet. Auskünfte über Kinder und Status. Doch plötzlich wurde erwähnt, dass einer tödlich an Krebs erkrankt war. Von jetzt auf gleich ging das Gespräch um das Leben, um Kinder und Ehepartner oder keinen Ehepartner und keine Kinder, um Job und Geld und um Konkurs, um Eheprobleme und Krankheit und um lange Ferien und den Himmel und all das, was zum Menschenleben gehört in seiner bunten Vielfalt.

Die Gespräche, in die ich verwickelt war, waren nicht, wie man‘s bei einem 25-jährigen Jubiläum erwarten könnte. Die Leute waren ehrlich und erzählten nicht nur von Erfolgen, sondern auch davon, was schief gelaufen war, und von zerbrochenen Träumen und Hoffnungen. Und auf einmal gab es keinen Grund mehr, sich in den Deckmantel des Gutgehens einzuhüllen - wir konnten einander in die Augen sehen und erkennen, dass wir alle unsere Erfolge und Misserfolge haben. Alle haben wir Hoffnungen, die sich erfüllten, und Träume, die geplatzt sind. Für uns alle ist das Leben ein Cocktail, nicht aus Gin und Tonic, sondern aus Höhen und Tiefen, Verantwortung und Versagen.

Ich denke, wenn wir in der rechten Beziehung zu Gott stehen wollen, dann müssen wir nach der gleichen Ehrlichkeit trachten. Gott sieht sowieso alles, und einst wird es von den Dächern herunter geschrien werden. Warum also uns verstellen? Kirche ist, wie ein englischer Theologe es ausgedrückte, wie „ein Bettler, der einem anderen Bettler erzählt, wo man Brot kriegt."

Wir können uns an die Geschichte von Jesus erinnern, als er der Frau begegnete, die beim Ehebruch, bei der Untreue ertappt worden war. Sie hatte ihre Ehe verraten und größten Kummer verursacht. Jetzt sollte sie gesteinigt werden... Vertreibt das Böse aus eurer Mitte [vgl. 1. Kor 5,13]. Aber keiner war rein genug, um den ersten Stein zu werfen. Keiner konnte, wie der Pharisäer, aus ehrlichem Herzen sagen: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie all die anderen..." Und sie mussten die Steine zu Boden fallen lassen und weggehen.

Hier in der Kirche können wir den Kopf zur Seite drehen und einander anschauen. Lassen Sie es uns für einen Moment tun...

Sie sitzen alle hier im Kirchenschiff, im selben Boot. Gibt es hier jemanden, der nicht ist wie die anderen? Ja, manchmal können wir uns das gut vormachen. Wenn ich ärgerlich bin, weil jemand seiner Verantwortung nicht nachgekommen ist, dann kann ich schon denken: Ja, aber ich, ich mach‘ immer alles? Und dann komme ich ins Nachdenken, wenn die Liedernummern erst in letzter Minute kommen, und ich vergessen habe, eine Predigt zu schreiben, die noch ins Deutsche übersetzt werden muss... Und dann packt mich eine mir gut stehende Demut.

Es gibt nicht zwei, sondern nur ein Schiff, das durch die Welt fährt. Auf ihm sind Gute und Schlechte. Da ist der Zöllner, der zu Gott flehen musste: „Sei mir armen Sünder gnädig!". Da ist die Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde, und sie, die Jesu Füße [salbte und] mit ihrem Haar trocknete.

Da ist das Kirchenvolk. All wir Unvollkommenen, Nichtperfekten, kleinen Sünder, Halbegoisten und Viertelfrommen. Das Schiff heißt Gottes Gnade, und auf diesem Schiff können wir fahren. Denn die Beschreibung von uns auf dem Schiff entspricht der Art und Weise, wie Paulus den Menschen beschreibt, im Römerbrief, Kapitel 3: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben."

Hier passt der Zöllner hinein, der in Ehrfurcht vor Gott nicht einmal wagte, sein Haupt zum Himmel zu heben. Aber kein Pharisäer, der meint, er könne sich absichern ohne Gottes Gnade, an Bord zu kommen auf diesem Schiff. „Gott, ich danke dir, weil ich nicht bin wie die anderen Menschen, die kleinen Gauner, die moralisch Zweifelhaften, die mit immer neuen Partnerschaften oder wie der Pfarrer da. Ich trinke nur Öko-Kaffe aus fairem Handel, und ich unterstütze dauerhaft ein Patenkind."

Aber Gott sieht alles - auch wenn Er nicht petzt! Jakobus schreibt (2,10): „Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist schuldig geworden", sie alle zu übertreten. Der Punkt ist: Mit Gott gibt es nur eine Möglichkeit, durchs Leben zu fahren, nämlich die auf dem Schiff der Gnade. Es ist Noahs Arche, die aus denselben Balken gebaut ist, an denen Jesus Christus sein Leben gab. Dort ist Platz für uns alle, die Nichtperfekten - und die doch auch von Zeit zu Zeit gute und große Dinge tun für andere.

Unten im Wasser geraten die Pharisäer der Welt ins Stocken, während sie auf ihre eigene Schwimmfähigkeit vertrauen und gar kein Interesse an der Rettungsleine haben, die Jesus auswirft. Sie vertrauen auf sich selbst, sie vertrauen auf ihre Überzeugungen und Werte - aber nicht auf Gott.

„Gott sei Dank, dass wir nicht sind wie dieser Pharisäer!" Das können wir tatsächlich gern sagen. Gott sei Dank, dass wir sehen können, dass so viel Zöllner in uns ist, dass wir wie er sagen müssen: „Gott sei mir armen Sünder gnädig!" Und begreifen, wir sind damit eingeladen an Bord des Schiffes der Gnade. „Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden."

Für die neue Arche Noah, das Schiff der Gnade, gibt es nur eine Art von Fahrschein. Freifahrscheine.

„Gott sei mir armen Sünder gnädig!" Amen.



Pastor Christian Grund Sørensen
DK-9610 Nørager
E-Mail: cgs@km.dk

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