Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 02.10.2011

Predigt zu Lukas 18:28-30, verfasst von Thomas-Michael Robscheit

 

Der Lohn der Nachfolge

Friede sei mit Euch von Gott unserem Vater, Jesus Christus unserem Bruder und dem heiligen Geist!

Da sprach Petrus: Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.

Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen,

der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.

Liebe Gemeinde,

ich kann mir lebhaft vorstellen, wie begeistert Petrus´ Frau war, als ihr Göttergatte alles hat liegen lassen und diesem Jesus nachgefolgt ist. Petrus hat als Fischer den sicherlich recht bescheidenen Lebensunterhalt der Familie verdient, nun ist er weg! Nicht weil er sich in eine Jüngere oder Hübschere verliebt hätte, sondern höherer Ideale wegen. Ich weiß nicht, ob das für die Frau einen Unterschied gemacht hat, im NT erfahren wir nichts von ihr, dass Petrus überhaupt verheiratet war (übrigens ein interessantes Detail angesichts der Zölibatsdiskussion in unserer katholischen Schwesterkirche und Benedikt XVI, der sich als Nachfolger Petrus versteht!), also, dass Petrus überhaupt verheiratet war, wissen wir nur, weil seine Schwiegermutter erkrankt war und von Jesus geheilt wurde.

Wie mag es den von Jesus in unserem Text erwähnten Kinder ergangen sein, deren Väter oder Mütter sich abgewandt haben um ihre neuen religiösen Vorstellungen auszuleben? Das Verhalten ist asozial und erinnert mich an das Gebaren mancher Sekten unserer Tage! Der zu erwartende Lohn wiegt die Gewissensbisse und das ungute flaue Gefühl im Bauch auf! Wie passt das zu unserem Bild vom lieben Herrn Jesus: leicht verklärter Blick, ordentlich gestutzter Bart und blütenweißes Gewand?

Es passt gar nicht! Dieser Text ist einer der Texte, die ganz deutlich machen, dass christlicher Glaube und seine Werte sich verändert haben und weiter verändern werden! Was uns heute verunsichert und abschreckt, das Auseinanderreißen der Familien und sozialen Netze, war für die Anhänger Jesu und die frühe Kirche gar nicht anders vorstellbar! Am Anfang war das Christentum eine Sekte und hat sich auch so verhalten. Jesus selbst wird in den Evangelien mehrfach zitiert: „Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter" (Mt. 10, 35). Verhalten, wie die Beachtung des vierten Gebotes, sind bei Jesus nur so lange gültig, wie sie den eigenen Glauben zu keinen Kompromissen zwingen. Wie stark sich unsere ethischen Normen von denen Jesus´ entfernt haben, merkt man auch an den Werken der Barmherzigkeit. Schon im Mittelalter gehörte selbstverständlich dazu, die Toten zu bestatten - anders ist eine Gesellschaft auch kaum denkbar! Im NT gibt es dieses Werk nicht, vielmehr herrscht Jesus einen Mann, der seinen Vater bestatten möchte, bevor er alles aufgibt und ihm nachfolgt, an: „Aber Jesus spricht zu ihm: Folge du mir, und lass die Toten ihre Toten begraben!" (Mt. 8,22).

Wie gehen wir mit Texten wie diesen um? Oft werden sie ignoriert, man tut so, als gäbe es das gar nicht. Aber nun, heute, können wir die Augen nicht verschließen, der Predigttext hält uns gefangen: Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.

Also stellen wir uns dem Text! Worum geht es? Menschen, die eng aufeinander bezogen sind, verändern ihre religiösen Blickwinkel, ihre Weltsicht. Maßstäbe, die einmal gegolten haben verlieren ihre Bedeutung, werden manchmal nebensächlich, manchmal sogar falsch. Das muss zu Spannungen führen! Jeder, der Kinder im pubertären Alter hat oder sich an sein eigenes Erwachsenwerden erinnert, weiß, wie selbst kleine Neuorientierungen zu erheblichen Krächen im Familiengefüge führen können. Wie viel mehr, wenn es nicht nur darum geht, ob eine 16-jährige abends bis 22:00 Fernsehen darf oder wenn der liebe Filius länger als drei Stunden am Computer verbringen will. Wenn Menschen neu zum Glauben kommen, ja selbst wenn sie ihn plötzlich ernster, rigoroser leben als ihre (christliche) Umwelt, stoßen auf Unverständnis, Hindernisse und Ablehnung, heute ebenso wie vor 2000 Jahren. Wie sollen sie damit umgehen? Sich verbiegen und anpassen und um des lieben Friedens willen das Brennen in der eigenen Seele verdrängen und ignorieren? Zu versuchen das Feuer der Begeisterung mit der grauen Asche des Alltages und des gewohnten unverbindlichen Trotts zu ersticken? Das bewahrt nach außen das schöne Bild, aber nach innen macht es krank!

Was tun, wie sich verhalten? Jesu´ Antwort ist radikal, asozial - und gesund für die Seele. Jesus hebt das Gesetz nicht auf, selbstverständlich soll man Vater und Mutter ehren, selbstverständlich soll man nicht die Ehe brechen, aber das Gesetz hat auch seine Grenzen! Denken sie an das Ähren-raufen am Sabbat: Der Mensch ist nicht für das Gesetz gemacht, sondern das Gesetz für den Menschen! Es ist nur folgerichtig, dass Jesus seine Anhänger auffordert, dort, wo es um das Heil der Seele geht auch schmerzhafte Schnitte zu machen. Damals im entstehenden Christentum waren diese schmerzhaften Schnitte auch mit dem Verlust der eigenen Familie verbunden. Menschen, die einem wichtig waren, aber deren Lebensweg in einer anderen Richtung verlief, als der eigene, weil die religiösen Blickwinkel nicht mehr zueinander passten.

Ja, damals, aber wie sieht das heute aus? Heute sind wir doch alle Christen, außerdem sind wir viel toleranter! Tatsächlich? Ich kenne viele Familien, in denen es immer noch problematisch ist, wenn ein Partner evangelisch und ein anderer katholisch ist; Beziehungen, zwischen Christen und Atheisten, in denen immer wieder Spannungen aufbrechen. Aber Sie haben Recht, so drastisch wie damals zur Zeit von Petrus und Andreas ist es heute meisten zum Glück nicht mehr.

Ist der Text dann heute bedeutungslos? Erinnerung an ein Stück Kirchengeschichte? Ich denke nicht! Denn das, wovon Jesus spricht, bezieht er zwar auf die Familie, aber das Problem ist weitaus größer: dass unsere religiösen Werte von der Umwelt nicht getragen werden, beschränkt sich ja keineswegs auf unsere Familie, viel häufiger betrifft das unsere Arbeitsstelle, die lieben Kollegen, unsere Nachbarn und Vereinsmitglieder. Und plötzlich gewinnt die Aussage Jesu, ja die Ermunterung, eine ganz andere Dimension! Mir fällt der schwere Stand, den ich als Kind und Jugendlicher wegen meines Glaubens gegenüber Lehrern hatte, wieder ein, der Druck, der auf Menschen ausgeübt wurde, wenn sie zur Kirche gingen, die Lächerlichkeit und der Spott, mit dem Zeitgenossen Christen immer wieder zu überziehen pflegen. Ich denke an Menschen, die Arbeiten verrichten, von denen sie eigentlich wissen, dass die Ergebnisse nicht mit ihren eigenen Wertvorstellungen von Ehrlichkeit zusammen passen. Ein junger Mann, der sehr erfolgreich bei einer Versicherung gearbeitet hat und der nicht damit klar kommt, dass er Produkte verkaufen soll, die seinem Empfinden nach Betrug sind.

Nein, liebe Gemeinde, der radikale Satz Jesu hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Noch immer stehen wir Christen vor der Frage, wie verhalten wir uns, wenn unsere Umwelt uns verbiegen will, uns lächerlich macht oder zwingt gegen unser Gewissen zu handeln?

Der junge Mann bei der Versicherung hat gekündigt, viele haben in der DDR ihre Karriere geopfert um sich nicht verbiegen zu müssen, ich hatte in der Klasse nicht nur Freunde. Und nun kann ich nur von meinen Erfahrungen sprechen: Im Rückblick war es besser, auf Freunde und Ansehen bei den Lehrern zu verzichten, und mir selber treu geblieben zu sein!

Jesu Satz ist eine Einladung, eine ausgestreckte Hand, mit der er uns helfen will, den schmerzhaften Schnitt zu machen, die Hand, die uns über einen Graben helfen will. Springen aber, muss jeder selber.

Und der Friede Gottes, der größer ist als alle unsere Vernunft und Vorstellungskraft, bewahre Eure Herzen und sinne in Christus. Amen



Pfarrer Thomas-Michael Robscheit
Kapellendorf
E-Mail: pfarramt@kirchspiel-kapellendorf.de

(zurück zum Seitenanfang)