Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 02.10.2011

Predigt zu Matthäus 6:24-34, verfasst von Lasse Rødsgaard Lauesen

 

„Das geht vorbei", so sagen wir Menschen zueinander, wenn wir das Augenmerk ablenken wollen - von etwas weg zu etwas anderem hin. Das kann im alltäglichen Leben sein, wenn wir einen unserer Verwandten besuchen, der krank ist und sich Sorgen macht, und wir dann, um zu trösten, sagen: „Das geht vorbei, in ein paar Wochen bist du wieder gesund, und dann hast du ganz anderes im Kopf." Oder wir können es zu uns selbst sagen, wenn wir neidisch dastehen und auf ein frisch verliebtes Paar blicken, das dasitzt und nur für einander Augen hat. Wir können dann wohl denken: „Das geht vorüber."

Aber obwohl wir alle wissen, dass das Leben weitergeht, machen wir uns doch alle möglichen Sorgen. Ohne sie können wir nicht leben. Wir sind im Gegensatz zu den Vögeln und den Lilien auf dem Felde denkende Menschen, die Phantasie haben. Die kann uns auf der einen Seite schöne Träume bescheren, auf der anderen Seite aber auch Sorgen und Alpträume über das, was alles schief gehen könnte.

Jesu Aussage, dass wir uns nicht sorgen sollen, geht genau auf diese Frage ein: Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Wer kann seinem Leben auch nur einen Tag hinzufügen, wie sehr er sich auch darum sorgt, fragt Jesus. Das kann niemand, aber die Frage erinnert uns daran, wie wir unser Leben leben. Dass wir oft in unseren Sorgen aufgehen und das Leben zu leben vergessen. Wir gehen vielleicht noch weiter und werden zu etwas anderem als dem, was wir uns vorgestellt haben, weil wir selber zu unseren Sorgen werden.

Stellen Sie sich vor, wir könnten Jesus mit seinen eigenen Worten konfrontieren und dann dabei zusehen, ob denn er es immer gekonnt hat: ganz unbesorgt leben! Wir würden ihm seine Worte vom Nicht-Sorgen vielleicht im Garten Gethsemane vorhalten können, dort, wo die Not am allergrößten war. Uns vorbeischleichen an den schnarchenden Jüngern, hingehen zu Jesus, als er auf dem Boden liegt mit gefalteten Händen, zitternd vor Angst.

Da würden wir ihn mit den Worten konfrontieren können, dass niemand seinem Leben auch nur einen Tag hinzufügen könne, indem er sich sorgt. Nicht nur in unserem eigenen Namen, sondern im Namen all derer, die sich in Ängsten zu Recht um das Leben sorgen. In Vertretung all der Bittbriefe, leben zu dürfen, die in den Schützengräben geschrieben wurden, in Vertretung der Soldaten, die noch immer weit entfernt sterben, ja, für alle Zeiten, in denen Gott abwesend war - jetzt soll er sich seinen Worten stellen.

Wir könnten eine Hand auf Jesu Schulter legen und sagen: „Wer möchte durch Sorgen einen Tag zu seinem Leben hinzufügen?" „Vielleicht geht das vorbei. Morgen wird die Sonne wieder scheinen, oder vielleicht geschieht etwas Schönes." Oder einfach bloß wiederholen: „Du wirst schon nicht sterben."

In dem Moment, wo wir das gesagt hätten, würde er den Kopf wenden und uns mit einem so traurigen Blick ansehen, dass wir gar nicht begreifen könnten, dass wir das sagen konnten. Und uns würde dämmern, dass die Aussage, sich nicht zu sorgen, nie im Sinne einer Lebensphilosophie gesagt worden ist, dass alles, worum wir uns sorgen, nicht existiert, sondern als eine Erfahrung dessen, dass wir dem, wenn es da ist, durch das Sorgen nicht beikommen können.

Wir alle sind dem Leben ausgesetzt, als Eltern von Kindern erst all den Sorgen, die aus dem Mangel an Schlaf herrühren können, und dann, in der Mitte des Lebens, als diejenigen, die sie so weit gebracht haben, dass sie flügge sind, jetzt aber befürchten, sie könnten abstürzen. Oder als jemand, der durchaus weiß, dass eines Tages unausweichlich der Tod bevorsteht, irgendwann wird der Tod unser sein, und wir können keine Spanne mehr zusetzen. An einem gewissen Punkt geht es nicht mehr weiter, und wir müssen begreifen, dass uns alles genommen wird, von dem wir dachten, es sei unser.

Das war es, was Jesus am eigenen Leib zu spüren bekam im Garten Gethsemane. Dass der Tod existiert, dass er so oder so kommt, und dass es dann unerheblich ist, sich um das Leben zu sorgen. Und so würde er uns an all das erinnern, was wir haben und empfangen, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre - die Lilie auf dem Feld, die Vögel, die ihr Nest in unserem Garten bauen, alles, was man für nichts erachtet, bis man in der Gefahr steht, es zu verlieren.

Jesus war wie wir dem Leben preisgegeben und konnte seinem Leben nicht einen Tag hinzufügen, und zeigte uns damit, wie wir unser Leben in dem Glauben leben können, dass wir in Gottes Hand sind. Wir alle stehen in Gottes Hand, wir sind nicht auf dem Weg hin zu Gott, sondern er ist bei uns alle Tage. Und besser als jeder von uns kennt Gott das Leiden der ganzen Welt. Bei jeder Katastrophe, die über uns hereinbrach, hat sein Herz mit den vielen Hilferufen leben müssen und all dem Elend, das sie über eine jede Familie gebracht hat.

Gott ist mit uns in der Dunkelheit, er ist mit uns in allem Sorgen. Aber wenn Jesus sagt, dass wir unserem Leben nicht einen Tag hinzufügen können durch das Sorgen, dann deswegen, weil er es begriffen hatte, in dem Gedanken zu leben, dass er sterben würde. Jesus lebte in Dankbarkeit für alles, was ihm das Leben gab, dessen ungeachtet, dass wir vom Leben hinübergehen in den Tod.

Wer von euch kann seinem Leben einen Tag hinzufügen, indem er sich sorgt? fragt er uns. Wir wissen, dass er Recht hat, und sorgen uns trotzdem. Denn wagen wir denn zu glauben, dass er auch dort ist, wo wir uns nicht vorstellen können, dass er da sei? Dass er bei uns ist im Tod, der früher oder später unsrer sein wird und über den man sich nicht hinwegtrösten kann mit einem „Das geht vorüber"?

Das Evangelium sagt uns allen zu, uns sich sorgenden Menschen, dass wir unserem sterblichen Leben nicht einen Tag hinzufügen können, doch er wird sein ewiges Leben hinzutun zu dem unsren. Denn Jesus ist auferstanden und war lebendig am Ostermorgen, als die Frauen das Grab leer fanden. Sie waren betrübt und niedergedrückt von Trauer, als sie zum Grab kamen, gingen jedoch von ihm weg mit der Botschaft des Engels: Fürchtet euch nicht! Jesus ist auferstanden von den Toten.

Am zweiten Ostertag erlebten die Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus, dass sie von Jesus begleitet wurden; sie hörten seine Auslegung der Schrift und kehrten sogleich nach Jerusalem zurück, um den anderen von Gottes Wort zu erzählen. So entstand die christliche Kirche, als eine Gemeinschaft von Menschen, die angehalten werden mitten im Leben und sich hinwenden zu Gott, um dort ihre Sorgen abzulegen und seine Auferstehung zu empfangen.

Wir wagen es kaum zu glauben, dass der Tod überwunden ist, und erhalten daher zusammen mit allen menschlichen Worten Jesu lebendige Worte, die wirksam sind, wenn er uns auch heute noch zusagt, dass wir uns nicht sorgen sollen. Denn wir können nicht einen Tag zu unserem Leben hinzufügen, er aber wird sein ewiges Leben hinzutun zu unserem.

Das lebendige Wort schafft und erhält uns als christliche Gemeinde, und hier besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Leben, das wir leben, und dem Leben, das er gelebt hat. Er ist das Wort, das uns sagt, wir sollen uns nicht sorgen, denn wer kann seinem Leben einen Tag hinzufügen. Und wir dienen ihm allein so, dass wir uns nicht sorgen um uns selbst, sondern um den Nächsten, den er uns anvertraut hat, uns um ihn zu kümmern.

Wir sind Gottes Gemeinde und glauben, dass Gott in unserem Leben wirkt und uns in unserem Nächsten begegnet. So können wir die Not lindern, wenn wir ihr begegnen, und zeigen, dass wir, obwohl die Welt sich am besten aufs Niederreißen versteht, uns gut eine Welt vorstellen können, in der ein jeder Mensch mit dazu beiträgt, das Reich Gottes aufzubauen. Denn wir halten uns an den, der sein ewiges Leben hinzugetan hat zu unserem sterblichen.

Amen.



Pastor Lasse Rødsgaard Lauesen
Odense
E-Mail: lrl@km.dk

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