Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 24.06.2007

Predigt zu Lukas 19:1-9, verfasst von Hansjörg Biener

Eigentlich konnte er zufrieden sein. Er hatte es zu etwas gebracht, hatte Geld und das Gefühl von Macht. Doch eines war er nicht: Beliebt und beachtet. Von der Begegnung dieses Mannes mit Jesus erzählt der heutige Predigttext, von Konsequenzen für unser Leben handelt die Predigt.

»Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muß heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn.« (Lukas 19,1-9)

Eigentlich war Zachäus ein erfolgreicher Mann. In einer Zeit, in der fast alle von der Hand in den Mund lebten, gehörte er zu den Reichen. In einer Gesellschaft von Tagelöhnern, die am Morgen nicht wussten, ob sie am Abend etwas verdient hatten, hatte er mehr als das täglich Brot. Ja, er musste sich nicht einmal richtig darum kümmern. Als Chef im römischen Zollwesen hatte er für die Eintreibung des Zolls seine Mitarbeiter. Die bekamen den Zorn der Steuerzahler ab, und Zachäus bekam sein Geld. Also das, was er den Römern weitergab, und das, was für die eigene Tasche bestimmt war.

Jericho ist ein wichtiger Ort der Menschheitsgeschichte, eine der ältesten Städte der Welt. Es liegt in einer Oase. Und das war damals für Reisende und Händler der einzige Ort, wo man sich verproviantieren konnte. Jericho liegt verkehrsgünstig, oder andersherum: Als Reisender kam man kaum um Jericho herum und damit auch nicht um den Zoll. Jericho war für damalige Verhältnisse eine Großstadt. Aber nicht so wie München oder Nürnberg / unsere Großstädte, die laut Definition mehr als 200.000 Einwohner und Einwohnerinnen haben. Wenn Sie die Geschichte von Zachäus nachempfinden wollen, dann denken Sie an einige Tausend Menschen und an Entfernungen, die man problemlos laufen kann. Und so wie man in so einem Ort den Bürgermeister kennt und auf der Straße treffen kann, so wird man auch in Jericho seine Prominenten gekannt haben und durchaus gewusst haben, wer jener kleine Mann namens Zachäus war.

Das also ist jenes Großstädtchen, in das Jesus kommt und das Jesus damit in helle Aufregung versetzt. Ich kann mir im Moment keinen gleichwertigen Vergleich für heute vorstellen. Es müsste jemand sein, der niemanden kalt lässt, der Freunde und Gegner gleichermaßen auf die Straße bringt. (In meinem Leben habe ich so etwas nur einmal erlebt, als es in meiner Jugend hieß: »Strauß kommt«. Da standen dann viele Leute vor dem Rathaus von Neu Ulm, die CSU und die Junge Union ebenso wie die Sozis und die Jusos und die Autonomen mit ihren Trillerpfeifen.) Die Menschen machen sich auf, um jenen berühmten Mann zu sehen, und auch Zachäus hält es nicht in seinem Haus. Auch er begibt sich in das Gewühl der Menge. Und sei's nun »reiner Zufall« oder Absicht der anderen:  Zachäus bekommt den Jesus nicht zu sehen. Die Rücken der anderen, die sieht er, doch Jesus, den sieht er nicht. Wie sich später herausstellt: Die Menschen wissen durchaus, wer der kleine Mann ist. »Oberzöllner«, Chefhai, Oberschröpfer. Und es mag sein, dass die Rücken, die sich da wie eine Wand vor ihm hin und her verschieben, mehr als eine kalte Schulter sein sollen.

Doch Zachäus gibt nicht auf und rennt der Menge voraus. Er sucht sich einen Platz, von dem er bestimmt etwas sehen kann. Er steigt auf einen Baum, wie heute Leute, die ohne Eintrittskarte ein Fußballspiel sehen wollen. Natürlich bleibt nicht verborgen, wie Zachäus da im Baum hängt. Als Jesus vorbeikommt, wird Zachäus sogar zum Mittelpunkt des Aufmerksamkeit. Ich kann es mir nur als Bild des Spotts vorstellen: Zachäus, das Früchtchen, hängt für mich da wie eine reife Frucht zum Pflücken. Und Jesus pflückt die Frucht, die da reif zur Ernte ist. Es ist freilich nicht die Ernte des Spotts, an der sich Jesus beteiligt, sondern eine spirituelle Ernte, denn auch Zachäus soll Gottes Heil erfahren. Zachäus begehrte Jesus zu sehen, und Jesus begehrt, Zachäus zu sehen. Jesus preist nicht nur die Armen selig, er hat auch eine Option für die Reichen. Denn es zählt in geistlichen Dingen nicht eine spezielle Eigenschaft, sondern Jesu Ruf. »Es ist niemand zu groß, es ist niemand zu klein, es ist niemand zu arm oder reich. « Alle brauchen Zuwendung und Gottes Heil, und Zachäus erlebt es in der Begegnung mit Jesus.

Über die Art und die Gespräche, die im Hause Zachäus geführt wurden, erfahren wir keine Details. Gehen wir darum einen Moment auf uns. Dass Jesus auch eine Option für die Reichen hat, das spielt durchaus für uns hier in *-* (unserer Stadt) eine Rolle. Wäre Jesus nur für die Armen da, dann wäre er heute nicht hier. Dann könnten fast alle Gemeinden in Deutschland schließen. Denn durch Fleiß und Verstand, aber auch durch konsequente Ausnutzung anderer, haben wir uns im Westen weit über die Armut der Jesus-Zeit emporgearbeitet. Und das bringt uns weltweit in die Position des Zachäus. (Ich weiß noch gut, mit welchem Pathos auf einer kirchlichen Veranstaltung Brasilianer Brasilien als bettelarmes Land schilderten und vehement 50 Dollar als monatliches Existenzminimum für jeden forderten. Sei es, wie es wolle, bei jener Veranstaltung waren auch Pfarrer aus Ostafrika dabei und wurden ziemlich unruhig. Der offizielle tansanische Mindestlohn lag damals bei 20 Dollar und viele Pfarrer in Tansania hatten nicht einmal den.) Auch der Arme bei uns lebt häufig noch nicht so, wie der größere Teil dieser Menschheit. Dass Jesus auf Menschen wie Zachäus zuging, das mag uns getrost sein lassen, dass Jesus auch auf Menschen im reichen Westen zugeht. Seien sie nun auch nach unseren Maßstäben reich oder auch nur im internationalen Maßstab gut versorgt. Die erste Botschaft der Zachäus-Geschichte in einem ersten Satz zusammengefasst: Auch Du darfst der Zuwendung von Jesus getrost sein, so wie Zachäus sie erfahren hat. Dann suche sie auch wie Zachäus.

Ein zweites ist an der Zachäus-Geschichte bemerkenswert. Jesus geht seinen Weg auch gegen die Stimmung der Mehrheit. Die Menschen murren, als Jesus bei Zachäus einkehrt. »Ausgerechnet bei Zachäus«, murren sie. »Kann er sich nicht denken, wer der Mann da ist?« Zachäus hat Geld und Macht. Doch eines ist er nicht: Beliebt und geachtet. Wenn Jesus den reichen Mann nicht schon an der Kleidung erkennt, spätestens am Haus müsste er sehen, dass er zu einem Zollmann geht. Jesus tut es trotzdem. Die Begründung: Auch einem Zachäus in seiner einsamen Rolle soll die Nähe Gottes begegnen. So sieht Jesus das, und er hält es durch. Zachäus hat einen Ort in der Gesellschaft, aber als Außenseiter. Ähnlich gibt es bei uns viele Menschen, die je nachdem auch Außenseiter sind. Ich denke hier nicht nur an die typischen Außenseiter, wo sich solche Eigenschaften bündeln. Ich denke auch an Menschen, wie sie hier versammelt sein mögen. Kinder, die ver-außenseitet werden, weil sie nicht in der Horde mitrennen und die Auslagen im Supermarkt plündern. Jugendliche, die ver-außenseitet werden, weil sie »bekennende Bibelkreisgeher« sind, wie ich einmal in einer Abiturzeitung gelesen habe. Geschäftsleute, die Nachteile erleiden, weil auch ethische Gesichtspunkte für sie eine Rolle spielen. Die zweite Botschaft der Zachäus-Geschichte lautet: Wenn Jesus zu einem Menschen kommen will, dann bleibt er konsequent. Es mag sein, dass die Gemeinschaft Dich nicht als einen der ihren aufnimmt, es mag sogar sein, daß Du keinen Ort in der christlichen Gemeinde findest, dennoch wird auch bei dir Jesus konsequent sein.

Und die dritte Botschaft der Zachäus-Geschichte: Gewiss wird die Begegnung mit Jesus nicht ohne Wirkung bleiben. Zachäus, der Chefhai, tritt nach jenem Mahl mit Jesus vor und macht ein großes Versprechen. »Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.« Wir können offen lassen, wie realistisch dieses Versprechen ist. Die erste Hälfte lässt sich verwirklichen, die zweite wahrscheinlich nicht. Wie sollte er alle diejenigen wiedertreffen, die er jemals betrogen hat. Ja, fühlen sich nicht alle Besteuerten von der Steuer übers Ohr gehauen? Ich nehme die Worte des Zachäus als Zeichen, wie sehr ihn die Begegnung mit Jesus bewegt hat. »Jesus kommt zu mir.« und »Jesus hat sich nicht abhalten lassen.« Wer davon bewegt ist, der darf auch mal größere Versprechen machen, als er halten kann. Viel mehr kommt es darauf an, dass Zachäus einen neuen Lebensmittelpunkt gewinnt. In seiner Selbstwahrnehmungr muss er nicht mehr Zachäus, der reiche Zöllner, sein und »der da, der nicht zu uns gehört«. Jesus hat die Armut eines einsamen Mannes gesehen und sich zu dem einsamen Mann gesellt. Und Zachäus antwortet darauf nicht nur mit dem großen Versprechen, sondern auch mit dem Wort »Herr«, »mein Herr«. Und  hierin ist dem Zachäus Heil widerfahren, wie es uns widerfahren kann.

Nicht jeder von uns ist Zachäus, und keiner muss erst ein Zachäus werden, um Jesus zu begegnen. Doch jedem von uns ist zugesagt, dass Jesus zu ihm kommen will. Wie haben verschiedene Weisen im kirchlichen Leben, wo wir erwarten dürfen, dass Jesus dabei ist: Das verkündigende Wort der Predigt, Taufe und Abendmahl, den persönlichen Segenszuspruch durch Auflegung der Hände. Es mag aber auch biographische Wendepunkte geben, wo man ganz persönlich merkt: Hier ist die Stunde, wo sich Dein Verhältnis zu Gott und der Welt entscheidet. Jesus geht zu jedem seinen ganz individuellen Weg, sei es auf der Hauptstraße von Jericho, in der *-straße, sei es am *-weg oder am *-platz. Amen.

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Hinweis zum Weiterarbeiten: Die Predigt bietet an vielen Stellen eine Möglichkeit, im Bezug auf die eigene Stadt, das eigene Stadtviertel, den eigenen Ort als Stütze für die innere Anschauung zu lokalisieren. Man finde die eine Geschäftsstraße, wo das Leben brummt und die jeder Gottesdienstteilnehmer kennt. Man finde die Villen, wo „man" zu wohnen hat, und den „Frauengraben", wo Prostituierte auf die Freier warten. Gerade auch in Klein- und Mittelstädten wird man BürgermeisterInnen, LandrätInnen und Landtagsabgeordneten, so man sie eben tatsächlich am Samstagvormittag auf dem Markt treffen kann, dann ruhig auch den Namen und die Ehre geben.



PD Dr. Hansjörg Biener
Neulichtenhofstr. 7
DE-90461 Nürnberg
www.biener-media.de
E-Mail: hansjoerg.biener@asamnet.de

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