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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 09.10.2011

Predigt zu Lukas 7:11-17, verfasst von Leise Christensen


Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich einmal einen Film gesehen, der mich stark beeindruckt hat, so stark, dass ich mich noch heute daran erinnere, was wir zum Abendbrot bekamen an jenem Abend und dass ich an der Reihe war mit dem den geblümten Teller, um den mein Bruder und ich aus unerfindlichen Gründen immer stritten, weshalb die Abende, wer ihn wann bekam, genau festgelegt waren. Der Film, den ich sah, war Kaj Munks Drama „Das Wort". Dort kommt eine Szene vor, in der Johannes die kleine Ingeborg aus der Umklammerung des Todes auferweckt und die Worte sagt, über die ich später viel nachgedacht habe, nämlich: „Ingeborg, steh auf, ich sage: Steh auf!"

Es war gar nicht so sehr der Umstand, dass Ingeborg wieder lebendig wurde, für den ich mich interessierte, obwohl das wahrscheinlich die Hauptsache ist, vom Film her gesehen. Nein, es war die Art und Weise, wie diese Worte gesprochen wurden, die ich interessant fand. Nie zuvor hatte ich jemanden so nachdrücklich und eindringlich sprechen hören, wie es der Schauspieler Preben Lerdorff Rye tat. So sprach niemand, den ich kannte in Snoghøj und Umgebung.

Ich übte mich lange in dieser korrekten Aussprache von „Steh auf!", ich sagte „Steh auf!" und sprach zu abgeschnittenen Blumen und toten Vögeln draußen in der Natur. Allein, ich fand heraus, obwohl es das Sprachliche war, woran ich am meisten interessiert war, ich fand schnell heraus, dass die Worte keinerlei Wirkung hatten. Die Blumen blieben abgeschnitten und tot, ebenso ließen die Vögel sich nicht zu einem Gleitflug unter dem Himmelsgewölbe wiederbeleben. Zugleich mit einer andersartigen, anspruchsvollen Aussprache des Dänischen lernte ich also auch, dass der Tod Tod bleibt, gleichgültig, wer was wie dazu sagt.

So allerdings geht es nicht zu in der Geschichte vom Sohn der Witwe zu Nain. Der junge tote Mann steht tatsächlich auf, als Jesus ihn dazu auffordert. Das war sehr gut und wunderbar für seine Mutter, die Witwe, die nur ihn hatte, ihren Augapfel und ihre Zukunftshoffnung.

Dennoch mag die Geschichte von der Auferweckung des Sohns der Witwe zu Nain schnell als anstößig empfunden werden, insofern als wir sehr gut wissen, wie auch ich es als Kind instinktiv wusste, dass Tote nicht wieder lebendig werden. Zumindest dann nicht, wenn sie länger tot gewesen sind als ein paar Minuten. Wir wissen, dass unsere Trauer nicht in Freude verwandelt wird, wenn wir an einem Sarg stehen, denn mit dem Tod ist das menschliche Leben unwiderruflich vorbei.

Wie oft aber würden wir nicht gern erleben wollen, was die Leute an diesen Tag in Nain erlebten? Wie viele Todesfälle würden wir nicht gern rückgängig gemacht haben und den Toten wieder lebendig gemacht haben wollen, und damit zum Kandidaten für ein weiteres schlimmes Mal?

In dieser Hinsicht ist die Geschichte anstößig. In dieser Hinsicht können wir tatsächlich eher Hiob verstehen, der sich über sein Schicksal beklagt und die Kinder glücklich preist, die tot geboren werden - das ist immerhin begreiflich und wiedererkennbar angesichts der dunklen Stunden, die viele Menschen erleben in ihrem Leben.

Solchem menschlichen Wiedererkennen und Verstehen gibt die Geschichte von der Totenauferweckung zu Nain keinen Raum. Doch sie bewahrt stattdessen etwas anderes, das weitaus wichtiger ist. Denn es ist ja nicht so, dass der Sohn der Witwe zu Nain lebendig wurde für alle Ewigkeit, so dass er auch heute noch in Nain herumläuft, inzwischen 2000 Jahre alt. Nein, sein Tod wurde nur für eine Weile hinausgeschoben, wie lange, wissen wir nicht einmal.

Das Wichtige an der Geschichte derweil können wir konkret an etwas so Banalem wie unserem Kirchenkalender ablesen. Der heutige Sonntag ist der 16. Sonntag nach Trinitatis, und dieser Sonntag liegt genau in der Mitte zwischen Ostern in diesem Jahr und Ostern im nächsten. Der 16. Sonntag nach Trinitatis ist so etwas wie Ostern im Kleinen: Er soll uns an die Fortsetzung der Geschichte vom Sohn der Witwe zu Nain erinnern.

Jesus und die große, frohe bunte Menschenmenge, die ihm und den Jüngern folgte, kamen gerade zum Stadttor von Nain. Dort war es, dass sie der betrübten, bedrückten Prozession begegneten, die die Witwe und ihren toten Sohn umgab. Diese beiden Gruppen - sie wurden zu einer, vereint in der Freude angesichts der Auferstehung, als der Sohn der Witwe sich von seiner Bahre erhob.

Sie haben wahrscheinlich die Umrisse des Stadttors von Nain sehen können, als sie dort standen. Und ich frage mich, ob das Stadttor nicht durchaus ähnliche Umrisse hatte wie ein anderes Tor oder ein anderer Durchbruch: der Durchbruch nämlich der Felsenhöhle, die sich am Ostermorgen als leer erwies, weil hier eine große Auferstehung geschehen war.

Jesus tut in unserer Geschichte das Unsagbare - er erweckt einen Jungen wieder zum Leben. Er hat Mitleid und die Fähigkeit, den Toten ins Leben zurückzurufen. Das ist großartig für die Mutter, das ist großartig für das Dorf, das ist großartig für die Jünger. Aber ist es großartig für uns?

Ja, das ist großartig auch für uns, obwohl wir nichts ähnlich Spektakuläres erlebt haben und kaum erleben werden! Auch dann nicht, wenn wir lange Spaziergänge machen und zu toten Blumen und Vögeln im formvollendetsten Dänisch sprechen. Die Geschichte vom Sohn der Witwe zeugt nämlich nicht davon, nicht in erster Linie zumindest, dass Jesus ein Wundertäter war; sie zeigt vielmehr, dass der Tod in Jesus seinen Meister gefunden hat. Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, damit er jeden einzelnen Tod auf Erden überwinde, sondern zur Überwindung des Todes selbst.

Man könnte schon sagen, dass der Sohn der Witwe Glück hatte, ausgerechnet Jesus zu begegnen, als er tot dalag, aber das ist nicht wirklich der Punkt. Wichtig ist nicht das Glück, sondern die Hoffnung. Denn das kleine Ostern heute am 16. Sonntag nach Trinitatis erinnert uns daran: Gott ist bei seinen Menschen bis in alle Ewigkeit.

Das Großartige in der Geschichte ist, dass Gott uns die endgültige Antwort gibt auf Hiobs Klage über Unglück und Sinnlosigkeit, ja, den Schmerzensschrei aller Menschen, in diesem Text. Nicht der Tod hat das letzte Wort und im Leben das Sagen. Das hat Gott.

Gott weckt nicht unsere Toten aus dem Sarg auf, wenn er hier in der Kirche steht, aber er erweckt unseren Lebensmut, so dass wir hinausgehen können und wieder leben - so, wie es auch Hiob widerfuhr in der Geschichte über ihn. Und schließlich, am jüngsten Tag werden wir alle von den Toten auferweckt. Das ist unser Glaube.

Dass der Jüngling im heutigen Predigttext wieder zum Leben erweckt wird, ist ein Zeichen für die Macht der Auferstehung. Es ist so großartig, dass es über alles hinausgeht, auch über unsere Sprache und unseren Verstand. Es muss geglaubt werden. Ganz einfach.

Mitten im Leiden erlebt die Witwe die Kraft der Auferstehung, und auch wir sollen sie erleben, wenn wir die Geschichte von Hiob und dem Sohn der Witwe zu Nain hören. Dass dies so ist, wissen wir, denn Jesu Grab war leer. Er ist auferstanden.

Ich will mit den Worten Hiobs schließen: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und keinen anderen."

Amen.



Lektor Ph. D. Leise Christensen
Løgumkloster
E-Mail: lec@km.dk

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