Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 16.10.2011

Predigt zu Markus 9:14-29, verfasst von Jochen Cornelius-Bundschuh

 

 

„Alles ist möglich dem, der glaubt!" Wer glaubt, kann verzeihen und um Verzeihung bitten. Wer glaubt, kann einen neuen Anfang wagen, wenn alle zerstritten sind. Wer glaubt, kann von sich selbst absehen und sehen, was die anderen brauchen. Wer glaubt, kann Kranke besuchen und Menschen ermutigen. Wer glaubt, fürchtet sich nicht, kann eigene Grenzen überschreiten und auf Menschen zu gehen, die fremd sind. Wer glaubt, kann Obdachlose zu sich ins Haus laden. Wer glaubt, kann es an einem Sterbebett aushalten und selbst getrost sterben. Glaube versetzt Berge und macht alles neu: Leib und Seele, Körper und Geist und unser das Miteinander. „Wer glaubt, kann alles!"

I

Der Vater des kranken Jungen hat gehört, dass Jesus Menschen gesund macht. Er hat sich aufgemacht. Er hat den Satz von Jesus im Ohr, den dieser schon oft gesagt hat: „Der Glaube hat dir geholfen!" Darauf setzt der Vater seine Hoffnung; er traut Jesus zu, dass er seinem Sohn helfen kann - er traut es auch denen zu, die Jesus folgen. „Macht meinen Sohn gesund! Ihr könnt das!"

Stellen Sie sich die Szene vor: Jesus ist mit Petrus, Johannes und Jakobus auf einen Berg gegangen. Zum Beten, um Ruhe zu finden. Die übrigen Jüngerinnen und Jünger sind unten geblieben; vielleicht stehen sie auf dem Marktplatz, vielleicht ruhen sie sich am Rand des Ortes aus. Sie unterhalten sich; Bewohner aus dem Ort haben sich zu ihnen gesellt. Sie sind im Gespräch. Manche sind neugierig, andere begeistert, einige skeptisch und ärgern sich, dass dieser Jesus so viel verspricht. Alle wollen wissen: Was hat es mit diesem Jesus auf sich?

Da tritt der Vater auf: „Macht meinen Sohn gesund!" Die Gespräche verstummen. Ein Kreis bildet sich; alle schauen und hören. Jetzt wird es ernst. Jetzt wird sich zeigen, was dran ist an ihren Erzählungen. Ob der Glaube an diesen Jesus und sein Reich wirklich neue Kräfte gibt. „Macht meinen Sohn gesund!"

II

Der Sohn ist von Kindesbeinen an schwer krank. Epileptische Anfälle quälen ihn. Er kann nicht reden; er kann sich nicht verständlich machen. Die Eltern mühen sich, reden mit ihm, versuchen ihm gerecht zu werden. Aber sie können ihm nicht helfen. Ohnmächtig müssen sie zuschauen, wie ihr Sohn geschüttelt wird. Wie er in seiner eigenen Welt lebt, zu der sie keinen Zugang haben. Wie er leidet, ohne sich wehren zu können. Wie er zähneknirschend seine Situation ertragen muss.

So eine Krankheit macht einsam: den Kranken, aber auch die Angehörigen. Nie ist der Sohn wie die anderen, nie können sie so leben wie die anderen. Immer gilt es Rücksicht zu nehmen, immer wieder die Blicke auszuhalten, immer wieder zu erklären, auszugleichen, zu vermitteln.

Mit seiner Not kommt der Vater mit dem Sohn zu den Jüngerinnen und Jüngern. Mit seiner verzweifelten Hoffnung stellt er ihn vor sie hin und sagt: „Macht meinen Sohn gesund!"

III

„Aber sie konnten es nicht!"

Hilflos sind die Jüngerinnen und Jünger. Wahrscheinlich haben sie den kranken Jungen angesprochen; vielleicht haben sie ihm die Hand aufgelegt. Nichts ist geschehen. Sie können nichts tun. Dabei hätten sie doch so gerne allen Umstehenden gezeigt: Seht doch, das Reich Gottes ist nah!

Aber sie können nichts tun! Es geht ihnen wie den Eltern.

Der kranke Junge verschwindet wieder aus dem Blickfeld. Er tut wahrscheinlich, was er gewohnt ist: am Rande stehen, sich zurückziehen, damit man ihn in Ruhe lässt.

Auch für viele der Umstehenden war damit wohl die Spannung raus. Na, seht ihr, viel Aufregung um nichts. Wäre ja noch schöner gewesen!

Sie wollen gerade gehen, da beginnt ein Streit: die, die schon vorher gezweifelt haben, dass mit Jesus etwas Neues beginnt, gegen die, die Jesus vertrauen und folgen. „Haben wir doch gleich gesagt, dass aus Nazareth nichts Gutes kommt" gegen: Jesus ist der Retter der Welt! Es geht hin und her, heftig und laut!

IV

Dann tritt Jesus auf und der Streit verstummt! Jetzt wird es sich endgültig zeigen. Eine zweite Chance, nun für Jesus selbst. Wenn es seine Gefolgsleute schon nicht können, vielleicht wenigstens er selbst. Wer schon am Weggehen war, kommt zurück. Gibt es doch noch etwas zu erleben?

„Was streitet ihr mit ihnen?" fragt Jesus. Die Jüngerinnen und Jünger antworten nicht: Sie sind unglücklich; sie sind gescheitert; davon wollen sie nicht sprechen.

Da drängt der Vater nach vorn; er schöpft noch einmal Hoffnung: „Es geht um meinen kranken Sohn! Ich will, dass du ihn heilst, du warst nicht da - und sie konnten es nicht!"

Jesus ärgert sich: „O, du ungläubiges Geschlecht!" Und dann: „Bringt ihn her zu mir!" Noch einmal rückt der Junge in den Mittelpunkt des Interesses. Er erträgt das kaum; der böse Geist reißt ihn, wirft ihn zu Boden.

Noch einmal erklärt der Vater das Leiden des Sohnes und der ganzen Familie, noch einmal bittet er: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!" Hilf meinem kranken Sohn, und hilf uns, der ganzen Familie! Hilf uns!

Doch noch immer handelt Jesus nicht; noch einmal wendet er sich an den Vater: „„Du sagst: Wenn du kannst - alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt!" Sogleich schrie der Vater: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!""

V

Statt „Wer glaubt, kann alles!" ein neuer Glaubenssatz: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben."

Ein Satz wie eine Schaukel! Ich glaube, das führt in den Himmel; hilf' meinem Unglauben, das holt mich zurück auf die Erde!

„Ich glaube", da hole ich selber Schwung: ja, ich traue mich, ich vertraue mich Jesus an.

„Hilf meinem Unglauben": nein, ich bin nicht sicher, ob mein Glaube trägt, Zweifel holen mich ein, bremsen mich wieder ab.

Aber in der Mitte der Ruf, die Bitte: „Hilf!" Stups mich an, gib mir Schwung - oder wie auf der Schiffsschaukel: du hast genug Kraft um mich mitzunehmen!

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben", das ist nicht dasselbe wie: „Wer glaubt, kann alles!" Aber es ist ein großer und ein realistischer Schritt auf dem Weg des Glaubens! Es ist vielleicht das, was wir können. Begrenzt, menschlich glauben.

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!" Das öffnet den Blick für neue Lebensmöglichkeiten, für mich selber und für andere! Ich werde gelassener im Umgang mit meinen Grenzen und mit denen der anderen; ich verliere meine Angst davor, Kranke zu besuchen, mich an ein Sterbebett zu setzen. Ich traue meinem Glauben heilsame Kraft zu: „Ich glaube, dass du, Gott, etwas vor hast mit diesem Menschen, der so krank ist; dass du ihn in seinen Möglichkeiten und Grenzen umfängst; dass du dich mir und uns in ihm zeigst! Dass du mir gangbare Wege weist, ihm zu helfen, dass du sein Leid wenden kannst. Ich glaube, hilf meinem Unglauben!" Menschen stehen an Gottes Hand auf, neue Lebensmöglichkeiten tun sich auf, auch wenn mein, auch wenn unser Leben begrenzt bleibt.

VI

Jesus treibt den bösen Geist aus. Noch einmal schlägt dieser böse Geist zu und wirft den Kranken mit aller Macht zu Boden. War die Medizin zu stark für den jungen Mann; ist er zerrieben worden im Kampf auf Leben und Tod? Der Junge liegt da. „Er ist tot!", sagen die Leute.

Da nimmt ihn Jesus an der Hand, richtet ihn auf und er steht auf. Ostern mitten im Leben: „Siehe ich war tot und bin lebendig." Die gleichen Worte wie in den Osterberichten verwendet Markus: aufrichten und aufstehen. Neues Leben entsteht - durch den Tod hindurch!

Danach verschwinden der Junge und sein Vater aus dem Blickfeld. Es wird nicht erzählt, was aus ihnen geworden ist: Ob der Junge nun sprechen kann? Was die Mutter gesagt hat? Ob er in der Lage war, einen Beruf zu ergreifen, zu heiraten, eine Familie zu gründen? Oder ob er ‚nur' besser mit seinen Behinderungen leben konnte, so wie ein Rollstuhl fahrender Pfarrer einmal geschrieben hat: Ich kann auch als Rollstuhlfahrer in Christi Geist leben und seine Gnade erfahren.

Wir erfahren nichts darüber, wie es weiter geht. Markus sagt nur drei Worte: Er stand auf. Er hat wieder Anteil am Leben! Er lebt, in den Grenzen seines menschlichen Lebens.

VII

Am Ende leert sich die Szene; der Streit ist zu Ende, der Sohn vom bösen Geist befreit, der Vater im Glauben gestärkt. Nun sind sie unter sich: Jesus und die, die ihm nachfolgen.

Noch immer sind sie traurig oder ärgern sich über ihr Unvermögen. „Warum konnten wir ihn nicht austreiben?" Warum können wir nicht helfen, nicht heilen? Warum scheitern wir an unserem Auftrag? Warum können wir nicht allen die Kraft unseres Glaubens zeigen?

Die Antwort von Jesus bleibt geheimnisvoll: „Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten."

Ob die Jüngerinnen und Jünger damit kritisiert werden? Ihr habt euch selbst zuviel und dem Heiligen Geist zuwenig zugetraut! Ihr habt vor allem eure Glaubensmacht demonstrieren wollen und dabei mich und den Leidenden aus den Augen verloren!

Ich verstehe diesen Satz so, dass Jesus die Glaubenden zum betenden Handeln und handelnden Beten ermutigt. Beten, das ist wie Handeln unter Vorbehalt. Wer betet, weiß, was er oder sie will. Und weiß zugleich, dass es nicht in der eigenen Hand liegt. Wer betet, findet sich nicht mit dem Unglück und der Not ab. Wer betet, bleibt dran wie der Vater, lässt sich nicht abschrecken von Misserfolgen, sucht mit Kraft und Fantasie immer weiter nach neuen Lebensmöglichkeiten des Glaubens. Und weiß doch, dass der Erfolg nicht garantiert ist, nicht in seiner Hand liegt.

Für mich wird mit diesem letzten Satz der Vater des kranken Jungen zum Vorbild des Glaubens, zum Vorbild der Gemeinde: Er hat Mut, er macht sich auf, er tut etwas und kennt zugleich seine Grenzen. Er hofft und müht sich für seinen Sohn, für sich, für seine Familie. Er bittet und bettelt, er betet zu Jesus: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben." Und macht die unglaubliche Erfahrung: „Wer glaubt, kann alles!"

Amen.



Kirchenrat Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
76133 Karlsruhe
E-Mail: jochen.cornelius-bundschuh@ekiba.de

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