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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 23.10.2011

Predigt zu Matthäus 22:34-46, verfasst von Michael Wagner Brautsch


Einige der besten theologischen Gespräche, die ich so habe, finden in der Konfirmandenstunde statt. Die meisten Konfirmanden haben den Mut oder das Interesse, das bei vielen mit zunehmendem Alter abnimmt: Sie wagen es, theologische Dogmen und Lehrsätze in Frage zu stellen und ihre kritische Anfrage zu formulieren an Bilder und Vorstellungen, die wir von Gott haben, von der Dreieinigkeit, von Sünde und Gnade, Vergebung und Feindesliebe usw.

Ich beginne einen neuen Jahrgang des Konfirmandenunterrichts stets so, dass ich mit den Jugendlichen darüber spreche, wie wir Gott wohl verstehen sollen. Wer oder was ist Gott, abgesehen von den Bildern, die wir für ihn haben? Nehmen wir das Vaterunser-Gebet als Ausgangspunkt, dann wenden wir uns mit ihm zu Gott hin als zu einer Vaterfigur im Himmel, der uns das tägliche Brot gibt, der uns erlösen kann von dem Bösen und der die Macht hat in Ewigkeit, um nur ein paar, freilich der wichtigen theologischen Kernaussagen zu nennen. Das ist mehr als genug Stoff für einen Konfirmandenjahrgang.

Um mit dem Letzten zu beginnen - der Ewigkeitsgedanke macht natürlich Probleme. Denn wir Menschen kennen sonst meist nur Bereiche im Leben, die einen Anfang haben, einen Verlauf und ein Ende. In dieser Weise sehen wir alles in unserer Umgebung sich entfalten und zugrunde gehen. Daher denken wir so über die ganze Natur, vom kleinsten Organismus bis zum gesamten Universum: es entstand, es existiert, und es wird wieder vergehen. So sehen wir unsere Umgebung, und so begreifen wir Kulturen und Zivilisationen; das ist tief in uns verwurzelt.

Gott aber ist ewig. Gott war immer da, Gott ist, und Gott wird immer sein. Von Ewigkeit zu Ewigkeit - wie es hier in der Kirche immer wieder heißt. Niemand hat Gott erschaffen, denn Gott war vor der Zeit und vor allen Dingen, und wenn Gott es will, kann alles untergehen, aber Gott selbst wird ohne Ende sein.

Das ist nicht leicht zu verstehen für einen Konfirmanden, und das ist es auch nicht für einen Pfarrer. Wir würden es gern mit dem Verstand erfassen, aber der Verstand kapituliert. Das Gehirn hat keinen Raum für die Ewigkeit, folglich müssen wir sie denn auch woanders suchen. Im Herzen, vielleicht. Dort bewahren wir ja auch die Liebe und die Kunst und die großen Gefühle - all das, was nicht berechnet werden kann und in Formeln gefasst.

Aber da sind noch viele weitere Herausforderungen für den Glaubenden und den Suchenden. Was ist denn mit dem Anfang des Vaterunsers? Ein Vater, der im Himmel wohnt? Die meisten Konfirmanden antworten ohne Zögern mit Ja auf meine Frage, ob Gott ein Mann sei. Selbstverständlich ist Gott ein Mann, denn sonst würden wir Gott ja nicht „Vater" nennen, und wir würden nicht sagen „er" oder „sein". Der Vorschlag, ob man sich Gott nicht als Frau vorstellen könne, wird meist rundweg abgelehnt, und völlig abwegig ist es, wenn ich vorschlage, Gott könnte vielleicht auch schwarz sein.

Gott ist in der Gedankenwelt vieler Menschen ein weißer Mann, und zwar weit über die Konfirmandengruppen hinaus und über alle Altersstufen hinweg. Wenn ich immer wieder einmal als Argument für den Nicht-Glauben höre, dass es unmöglich sei, an einen alten Mann mit langem weißen Bart zu glauben, der in seinem Nachtgewand oben im Himmel sitzt, dann verstehe ich völlig, warum Gott in Seiner Weisheit unter die ersten der Zehn Gebote dasjenige gesetzt hat, dass wir uns kein Bild machen sollen von Ihm.

Es ist schwer, von Gott nicht als von „ihm" zu sprechen. Denn „sie" oder „das" und „es" ist auch nicht besser. Gott ist kein Übermensch, und Gott ist kein Gegenstand. Und in der Tat wohnt Gott im Himmel, oder in den Himmeln, aber das ist ein Himmel mit großem H, nicht der Himmel, zu dem wir hinaufschauen können, mit Sonne, Mond und Sternen, Wolken und Blitzen, Vögeln, Flugzeugen und Satelliten.

Aber wenn Gott sich nicht dort oben befindet, im blauen Himmel, warum sagen wir dann, dass Gott im Himmel ist (dem mit dem großen H)? Weil der Himmel (der mit dem großen H) nur der Name für den Ort ist, an dem Gott ist. Den Ort, an dem Gott ist, nennen wir Himmel, und den Ort, der am weitesten weg ist von diesem Himmel (dem mit dem großen H), nennen wir Hölle. So einfach wie der Himmel der Ort ist, wo Gott ist, so ist die Hölle der Ort, wo Gott nicht ist.

Die Hölle ist nicht das Totenreich, sondern die Hölle ist der Gott ferne Ort. Irgendwo weit weg von der Erde vielleicht, aber gewiss auch momentan gegenwärtig unter den Menschen, dort, wo der Liebe (das ist ein anderer Name für Gott) keine Chance gegeben wird. So können Himmel wie Hölle Orte auf der Erde sein (und sie sind es), aber sie können auch Orte sein, die wir nicht erreichen können.

Und wozu nun all diese Konfirmandenstunden-Sprüche? Weil es in den Bibeltexten für den heutigen Tag darum geht, zu verstehen, wer Gott ist. Der alttestamentliche Text aus Jesaja beginnt: „Mit wem wollt ihr denn Gott vergleichen? Oder was für ein Abbild wollt ihr von ihm machen? - Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei? spricht der Heilige." (Jes. 40,18-25)

Nun, mit wem oder was sollen wir Gott vergleichen? Ein Vater im Himmel lässt sich auf Anhieb gut gebrauchen - und es ist ja sogar Jesus selbst, der uns das Vaterunser-Gebet gelehrt hat, aber das Bild hat durchaus auch seine Grenzen. Denn wenn wir Gebet und Gottesbild nicht immerzu verinnerlichen in unserem Herzen, wo die Bilder all dessen, was nicht gemessen und gewogen werden kann, aufbewahrt sind, dann enden vielleicht auch wir bei den Ungläubigen, die an einen alten weißen Mann mit Bart nicht glauben können, der oben in den Wolken sitzt.

Mit wem wollen wir Gott vergleichen? Die Frage ist rhetorisch, und die Antwort darauf lautet selbstverständlich, dass es niemanden und nichts gibt, was vergleichbar ist mit Ihm oder wie Er. Gott ist in jeder Hinsicht: einzigartig. Gott kann nicht durch eine Skulptur dargestellt werden, ein Bild oder ein Relief, und tun wir es trotzdem (und das ist nun das, was wir ausdrücklich nicht dürfen), dann machen wir uns der Gotteslästerung schuldig, denn dann beschreiben wir Gott nicht nur - wir schränken Ihn ein. Was wir beschreiben, schränken wir regelmäßig ein, weshalb es mit Bedacht an anderer Stelle in der Bibel heißt, unsere Rede sei Ja-ja und Nein-nein. Alles andere wird uns zum Gericht.

Im Evangelien-Text nach Matthäus ist Jesus wieder einmal in eine Diskussion mit den einflussreichen religiösen und politischen Parteien seiner Zeit geraten - den Sadduzäern und den Pharisäern. Sie wetteifern darin, eine mächtige und kräftige religiöse Botschaft in einer möglichst kurzen, prägnanten Aussage auf den Punkt zu bringen. Zu jener Zeit war das ein weit verbreiteter und beliebter Wettstreit unter den Gelehrten.

Da Gott einer ist und da Er mit nichts verglichen werden kann, ist es logisch, dass die Anbetung Gottes sich ohne Einschränkung auf Ihn konzentrieren soll und muss. „Von ganzem Herzen, von deiner ganzer Seele und mit all deiner Kraft" - sagt Jesus mit einem Satz aus dem Alten Testament. Es kann keine größere Liebe geben als die, die man für den einzigartigen Gott empfindet und ihm bezeigt. Insofern ist es nur zu verständlich, dass dieser Vers an erster Stelle steht, wenn man das höchste Gebot im Gesetz benennen soll.

Jesus jedoch macht etwas Neues. Denn Er sagt, dass es ein weiteres Gebot im Gesetz des Mose gibt, das diesem gleich ist. Nämlich: den Nächsten zu lieben. Wäre Jesus lediglich in einem sprachlichen Duell mit anderen Schriftgelehrten darauf gekommen, wäre es bloß eine Provokation gewesen. Aber Jesus bleibt nicht bei der Rhetorik stehen - Er verwirklicht sie durch sein Handeln. Das zeigen alle Auseinandersetzungen, die er mit den Schriftgelehrten führt rund um die Mahlgemeinschaft und die Reinheitsgebote und die Frage nach dem rechten Verständnis des Sabbats. Wenn das Gesetz auch von Gott gegeben ist, so darf es doch niemals dazu benutzt werden, dass es der Liebe zum Nächsten im Wege steht.

Wer ist Gott, wie sollen wir ihn verstehen? Und wer ist Jesus, und wie sollen wir Ihn verstehen? Die zweite Diskussion, die im heutigen Evangelium enthalten ist, handelt im Grunde von Jesu eigener Autorität. Er selbst spricht die Frage an, ob der Christus der Sohn Davids ist (was die Frage einschließt: Oder ist er Gottes Sohn?).

Jesus teilt die Vorstellung seiner Zeitgenossen, dass es David war, der die Psalmen geschrieben hat im Buch der Psalmen im Alten Testament. David, der alte große König in Israel, er, der als Knabe den Goliath erschlug und sich nicht nur als ein großer Heerführer erwies, sondern auch als bedeutender Musiker und Dichter. Aus seinem Geschlecht soll der Erlöser kommen, und wir erinnern uns aus dem Weihnachtsevangelium daran, dass Josef und Maria zur Volkszählung nach Bethlehem mussten, in die alte David-Stadt, denn Josef war aus Davids Geschlecht. Und da Josef als Ziehvater Jesu erscheint, ist die Linie von Jesus zu David gesichert, und man könnte darum wohl sagen, Jesus, oder Christus, sei Davids Sohn.

Der Messias aber wird zur Rechten Gottes sitzen, und David nennt den Messias „Herr", weshalb er Davids Sohn nicht sein kann. Also hat Christus eine größere Autorität als David, und in Jesu Verkündigung hat Er auch eine größere Autorität als Mose, der das mosaische Gesetz niederschrieb - das ist der Schluss aus dem ersten Teil des Evangelientextes, der Diskussion über das größte Gebot im Gesetz.

Wenn Jesus davon ausgeht, dass der Psalmendichter David von Ihm (also Jesus) spricht, da Er zur Rechten des Vaters sitzen wird nach der Himmelfahrt, dann sagt Er auch, dass Er selbst göttlicher Natur ist oder Anteil an ihr hat. Und genauso betont Paulus in der heutigen Epistel aus dem 1. Korintherbrief, dass durch Christus auch Seine Nachfolger Anteil an dem erhalten haben, was mit anderem nicht verglichen werden kann. „Ihr habt keinen Mangel an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus" - schreibt er.

Für das Gehirn ist das eine Herausforderung, für das Herz ist es eine Entlastung. Es gibt nichts über und niemanden neben Gott, denn Gott ist einer und nichts kann man vergleichen mit Ihm. Der Verstand kapituliert, und die Weisen machen sich zum Narren. Und so soll Paulus das letzte Wort haben, denn niemand hat von diesen Dingen (dem Rätsel des Kreuzes und anderer schwieriger Theologie) besser gesprochen als er:

Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.

Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind. (1. Kor. 1,20ff.)

Amen



Pastor Michael Wagner Brautsch
Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

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