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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2011

Predigt zu Matthäus 10:26b-33, verfasst von Stefan Knobloch

Leben unter neuen Thesen

Die Feier des Reformationstages hat in diesen Jahren einen besonderen Charakter. Wir stehen in der Dekade der Vorbereitung auf das Jahr 2017, das mit jedem Jahr näher rückt. Fünfhundert Jahre sind es dann her, dass Martin Luther mit seinen 95 Thesen zu Ablass und Buße in Wittenberg an die Öffentlichkeit trat. Ein Schritt von nicht zu überschätzender historischer Bedeutung, ein Datum aber auch, an das sich heute Wünsche, Sehnsüchte, Erwartungen knüpfen. Sehnsüchte vor allem ökumenischer Art, dass die beiden (noch) großen christlichen Konfessionen in unserem Land entschiedenere Schritte aufeinander zugehen, indem sie in der Botschaft Jesu Christi ihre gemeinsame Herkunft, ihre gemeinsame Gegenwart und ihre gemeinsame Zukunft erblicken.

Was immer Martin Luther 1517 zu seinem Schritt angetrieben hat, seine Motive dürften nicht weit entfernt gewesen sein, ja, sie dürften dem sehr nahe gekommen sein, was uns heute im 10. Kapitel des Mt-Evangeliums in den Versen 26b-33 entgegentritt. Die Bedeutung dieser Verse umspannt, auf gewiss je eigene Weise, die Zeit Martin Luthers ebenso wie unsere Zeit. Wobei wir heute die gegenüber dem 16. Jahrhundert wahrscheinlich größere Mühe haben, ihre Bedeutung und ihre Aussagekraft für uns zu ermessen.

Wenn wir uns unvermittelt den Versen Mt 10,26b-33 aussetzen, mögen sie uns dunkel, apokryph und wenig lebensnah erscheinen. Sie kommen dunkel und verschattet einher, von einem bedrohlichen Unterton untermalt: „Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird.“ Worauf wollen diese Sätze hinaus? Wovon reden sie überhaupt? Ich denke, die Rede ist hier in Kürzeln und knappen Andeutungen vom öffentlichen Auftreten Jesu und seiner Jünger, von einem Auftreten, das sozusagen Furore machte, das aufhorchen ließ, das bei den Menschen den Eindruck hinterließ, da gehe es nun endlich mal um die wirklichen Fragen ihres Lebens. Um das, was sie bedrücke, voreinander und vor Jahwe. Jesus bringe Licht in ihr Leben, indem er ihnen in ganz neuer Weise – anders als die Schriftgelehrten – Gottes Liebe und Nähe zu ihrem Leben aufzeigte. Das Mt-Evamgelium gebraucht dafür schöne Bilder, die auf die einzigartige Bedeutung der Botschaft Jesu hinweisen. Was Jesus den Menschen im Dunklen sage, das sollen sie ans Licht der Öffentlichkeit bringen. Aus dem ins Ohr geflüsterten Wort soll eine von den Dächern, heute würden wir sagen, von den Medien, verbreitete Botschaft werden.

Doch vor diesem Anspruch rutschte nicht nur damals den Menschen das Herz in die Hose. Vor diesem Anspruch verlässt uns erst recht heute, wenn auch aus anderen Gründen, der Mut. Ja, es ist nicht eigentlich der Mut. Es ist die Großwetterlage, der gesellschaftliche Kontext, es ist nicht zuletzt auch das Erscheinungsbild der Kirchen, das alles zusammen uns heute wenig Motivgründe liefert, uns als Christinnen und Christen für die Botschaft Jesu, für das Reich Gottes einzusetzen. Die Sätze, die das Evangelium angesichts solch ängstlicher Zurückhaltung wählt, scheinen zunächst einmal ganz an uns vorbei zu gehen. Wir sollten nicht die fürchten, heißt es, die – und da wird es schon schwierig, das Gemeinte richtig zu erfassen – die den Leib töten, aber dabei nicht unsere ganze Lebensgeschichte, nicht unser Selbst vor Gott auslöschen können. Wir sollten den fürchten, heißt es weiter, der unseren Leib und unsere gesamte Existenz „in der Hölle“ vernichten könne. Bei einem solchen Satz stockt uns der Atem. Und man sagt sich vielleicht, exakt aufgrund solcher Sätze, die in der Bibel immer wieder begegnen, liege einem an der Botschaft Jesu nicht viel.

Kann man diesen Eindruck noch geradebiegen, wenn Jesus das Wort „Hölle“ im Munde führt? Versuchen wir es. Wir dürfen in Mt 10,26b-33 nicht die Relationen außer Acht lassen. Es geht Jesus in Mt 10 nicht darum, uns die Hölle anzudrohen. Wäre er in seinem Auftreten so von den Menschen wahrgenommen worden, dann hätte sich wohl kaum einer für ihn interessiert. Ihm geht es vielmehr darum, dass seine lebenshaltigen Worte, seine Worte des Lebens, weitergetragen werden, weiterhallen. Sie werden auch auf Ablehnung stoßen, belächelt, ignoriert werden, oder gegen sie wird mit brutaler, das Leben gefährdender Gewalt vorgegangen werden. Aber sie stehen im Zentrum von Mt 10. Um sie dreht sich alles. Nicht um die Hölle. Gewiss bleibt die Andeutung stehen, dass, wer Jesu Lebensworte liegen lässt, sie für wertlos erachtet, mit seiner ganzen Existenz möglicherweise auf Grund gehen kann.

Wir lesen und hören die Bemerkung von der Hölle mit unseren Ohren, deshalb droht sie ein Gewicht zu bekommen, droht sie in den Vordergrund zu treten, wo sie gar nicht hingehört. Die kompositorische Logik in Mt 10,26b-33 ist klar: Stellt euch der Botschaft Jesu! Glaubt an sie! Habt keine Angst! Das verstärken noch die folgenden Sätze: Ihr unterscheidet euch doch von kleinen Spatzen. Bedenkt: Selbst wenn die vom Himmel fallen, geschieht das nicht ohne den Vater im Himmel. Ihr aber: Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Wenn schon für jedes Haar gesorgt ist, dann begreift, dass Gott um euch rundherum besorgt ist. Das gilt dann eben auch für die mit dem lichten Haar. Ihr seid keine Spatzen vor Gott, will Jesus sagen. Und er appelliert darin an uns, seiner Gottesbotschaft Vertrauen zu schenken.

Nach diesen Zwischentönen, die der menschlichen Ängstlichkeit, dem menschlichen Kleinmut geschuldet waren, nimmt Mt 10 das Hauptthema wieder auf: Was ich euch gesagt habe, das tragt weiter, das bringt unter die Leute. Wer sich zu mir vor den Menschen bekennt, zu dem werde auch mich vor dem Vater im Himmel bekennen. Wieder folgt zwar spiegelbildlich die Gegenfolie, auf der aber wiederum nicht der Nachdruck liegt, nämlich, wer sich nicht zu Jesus bekenne, zu dem werde auch er sich vor dem Vater nicht bekennen. Mit „Bekenntnis“ ist unser Einsatz gemeint, als Christ und Christin zu leben, was wir gewiss immer nur in Abstrichen tun. Und es klingt für uns noch herausfordernder bzw. überfordernder, wenn wir bedenken, dass dieses Bekenntnis inhaltlich meint, unser Leben an der Person Jesu auszurichten.

Worauf würden wir dann aufmerksam? Auf die unglaubliche Nähe, in der Jesus sein Leben zu Gott, seinem Vater, gestaltete. Er konnte sich blindlings in ihn fallen lassen. Er suchte ihn immer wieder in Gedanken und Worten, in Phasen des Gebetes. So fand er in ihm seinen eigenen Boden. Exakt dasselbe meint unser Wort „glauben“: Tritt fassen, Lebensgrund haben, in Gott. Und so weniger in den Sorgen des Alltags zu ertrinken, die uns über den Kopf wachsen.

Und das zumal heute. Kaum haben wir die Wirtschaftskrise der Jahre 2008/09 überstanden, kaum haben wir uns wieder eingerichtet in den vermeintlich gesicherten Verhältnissen unseres Lebens, da begleiten uns nicht nur schon wieder die Sorgen um die Euro-Stabilität. Nein, da zeichnen sich erneut dunkle Wolken eines wirtschaftlichen Abschwungs ab, möglicherweise steht uns eine weltweite Rezession bevor, mit Folgen, die bis in unseren Alltag und in unsere Zukunft hineinwirken. Von diesen Problemen sind wir schnell so umzingelt und in Beschlag genommen, dass das all unsere Kräfte fordert. Ohne dass wir wüssten, mit welchem Ergebnis. Sind wir aber dann nicht, in moderner Gestalt, Opfer jener Furcht geworden, vor der uns Mt 10 heute warnt? Fürchtet euch nicht …!

Es ist leichter gesagt als getan. Aber es kommt immer wieder darauf an, bildlich gesprochen, den Hebel umzulegen. Uns zu fragen, ob die Grundrichtung unseres Lebens, unseres Glaubens als Christ, als Christin noch stimmt. Müssten wir uns unter dem Eindruck des Reformationstages nicht fragen, ob wir nicht wie Martin Luther unser Leben unter neue Thesen stellen sollten?

 



Pater Prof.Dr. Stefan Knobloch
Passau
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