Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2011

Predigt zu Matthäus 10:26b-33, verfasst von Klaus Wollenweber

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Jesus Christus,

Reformationsfeier 2011! –Sind wir in unserem Glauben wie eine feste Burg: sicher, unerschütterlich, glaubensstark und angstfrei? Wie lebt unser christlicher Glaube im beruflichen Alltag? Ist da noch ein Raum der Erneuerung unseres Glaubens an Gott möglich, an den Herrn über Leben und Tod? Was feiern wir?

Die vielen kleinen Probleme und menschlichen Konflikte sind es, die einen großen Teil unserer Lebenskräfte in Anspruch nehmen. Was lange Zeit ziemlich selbstverständlich im Leben war, wird heute so schwierig. Das schlechte Gewissen holt einen immer wieder ein! Wie kann ich in meinem Alltag und in meiner Umgebung zeigen, daß ich mich von dem Gott der Liebe und Gerechtigkeit getragen weiß, auch wenn ich häufiger stolpere und an so vielen Stellen kleine und große Steine sehe und spüre, die mir im Weg liegen?

Reformationstag 2011! – Manchmal denke ich: Gott schweigt. Gott hat sich aus dieser Welt zurückgezogen. Da passieren so viele Katastrophen und da ereignen sich überall so viele unerklärbare Dinge – z.B. Bankenkrise, Eurokrise, Unwetterkatastrophen! Wo ist eigentlich Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt? In schwierigen Lebenssituationen ist es eine zusätzliche ungeheure Belastung, wenn wir in unserem Herzen Gott verlieren und ihn mit seiner Gnade und Barmherzigkeit nicht mehr spüren. In dem Leid und in der Verzweiflung läßt sich bekanntlich Gott ganz schlecht loben und ehren. Für unsere Reformation heute, für die Erneuerung unseres christlichen Glaubens, müssen viele Steine aus dem Weg geräumt werden. Entscheidend ist bei allem das Vertrauen: Menschen müssen neues Vertrauen zu sich, zu anderen und zu Gott gewinnen. Das Vertrauen wiederentdecken und weitergeben, das Gott uns mit unserer Taufe für den Lebensweg angeboten hat, – das ist heute „Reformation 2011“.

In diesem Sinn lese ich den für den Reformationstag 2011 vorgeschlagenen biblischen Text aus dem Evangelium nach Matthäus, aus dem 10. Kapitel die Verse 26 – 33:

„Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern. Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“

 

Liebe Gemeinde, Reformation im Jahr 2011! –Wie hören Sie diese Aufforderung, von den Dächern der Häuser zu predigen, was Sie von Gott gehört haben? Wie soll das heute möglich sein? Wenn wir es dennoch täten: Von der Straße her hören und sehen wir den Menschen gar nicht, der von dem Dach eines Hochhauses herunter den Glauben an den dreieinigen Gott predigen würde. In Palästina zur Zeit Jesu waren die Häuser aus Lehm gebaut und sehr niedrig. Da machte es Sinn, sich auf ein Dach zu stellen, damit viele Menschen einen sehen und hören konnten. Außerdem gab es keine Geräusche von Autos, Motorrädern und Traktoren; denn diese waren noch nicht erfunden; es gab nur Esel als Lastenträger.

Wenn wir dies heute nicht mehr nachmachen können, so paßt doch für uns die andere Aufforderung des biblischen Textes: Tut nichts heimlich! Redet im Licht! Ja, was wir hier in der Kirche tun, kann jeder sehen und hören. Wir feiern den Reformations-Gottesdienst im Licht der Öffentlichkeit; die Türen der Kirche sind nicht verschlossen; jeder Mensch kann sehen und hören, was wir beten, singen, lesen und verkündigen. Sogar die Medien – Rundfunk, Fernsehen und die Presse – zeigen sich aufgeschlossen, Gottesdienste und kirchliche Beiträge öffentlich zu übertragen. Christliche Verkündigung und christliches Leben sind und bleiben keine Sache im Geheimen.

In Deutschland gibt es viele alte christliche Kirchen, die einer festen Burg gleichen. Sie sind oftmals Orte der Erneuerung, der Ruhe und Besinnung, an denen sich Menschen aus der Unruhe und dem Lärm der Straßen zurückziehen. In den Kirchen ist man geschützt vor dem, was draußen so alles passiert. Manchmal sind Kirchen auch ein Zufluchtsort für Menschen, die verfolgt werden, zum Beispiel für Ausländer, die aus Deutschland in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollen, weil sie für Deutschland keine Aufenthalts-genehmigung mehr haben. Wir brauchen immer wieder solche Orte der Erneuerung und Begegnung, des Asyls und der öffentlichen Verkündigung.

Reformation 2011! – In den Häusern rings um unsere Kirchen wohnen so viele Menschen einsam, unbekannt, aneinander vorbei. Manche sehnen sich nach Begegnung und Gespräch - und finden nichts! Meist sind sie innerlich hin und her gerissen zwischen selbst gewählter Isolation und dem Wunsch nach Gemeinschaft. Sie würden am liebsten über einen Ort verfügen, wo sie ihre Angst und Einsamkeit herausschreien könnten.

Sind unsere kirchlichen Räume und unsere christlichen Wohnungen Zufluchtsorte für diese Menschen? Können wir Schutz und Geborgenheit bieten?

Jesus ermutigt seine Jünger mit dem Hinweis auf die kleinen Vögel, die Spatzen. Wenn Gott schon für die Vögel sorgt, wie viel mehr weiß Gott von unserer Sehnsucht und unserer Angst, von unserer Gewissensnot und Einsamkeit, von unseren Enttäuschungen und unserer Hoffnung. Gott kennt uns gut und leidet mit uns. Jesus Christus hat alle Tiefen des Lebens am eigenen Leib durchgemacht. Deshalb kann er uns so gut begleiten und uns zum Leben Mut machen. Deshalb fordert er uns auf, so hellhörig und aufmerksam zu sein für das, was zwischen den vielen Worten der Menschen an Sorge und Schuldbewußtsein mitschwingt. „Darum fürchtet euch nicht!“, sagt Jesus. Kommt heraus aus den Mauern eurer Verängstigung. Laßt uns Reformation 2011 als Ende der Angst und der Gewissensnöte feiern. Denn Gott vergibt und befreit und schenkt den Menschen einen Neubeginn. Mit Martin Luther können wir sagen und bekennen: Wir sind freie Christenmenschen!

Reformationstag 2011! – Jesus hat seine Worte an seine Jünger gerichtet, als er sie in die Städte und Dörfer aussandte. Und nach einiger Zeit sind sie dann wieder zu ihm zurückgekehrt. Sie waren also nicht immer in der Geborgenheit und beschützenden Nähe ihres Herrn und Meisters. Sie mußten hinaus in die Welt gehen und ihren Glauben dort bekennen, bezeugen. Wir können das gut auf uns heute übertragen: Es kann nicht bei der Ruhe und Geborgenheit hier im Gottesdienst bleiben. Wir müssen wieder in den Alltag hinausgehen; wir müssen hören, wenn andere Menschen draußen rufen und nach Gottes Liebe fragen. Was Gott in Jesus Christus für uns getan hat, ist keine Sache des angenehmen Wohnzimmers; es geht um Tod und Leben. Sagt weiter, daß Gott in Jesus Christus ein neues Angebot des befreiten Lebens macht! Ruft es hinaus, so daß kein Mensch verzweifeln muß!

Unsere Lebensgeschichte bleibt ein mühsamer Prozeß des wankenden Bekennens. Dennoch ist es ein Weg des offenen Bekenntnisses zu dem gestorbenen und auferstandenen Jesus Christus. Wir haben weder einen harmlosen noch einen privaten Glauben an Christus, sondern wir sind auf unserem Lebensweg mit vielen anderen Menschen zusammen; wir gehen gemeinsam und vertrauensvoll den steinigen Weg Jesu Christi mit dem Ziel, vollkommen Gott nahe zu sein. Denn das verspricht Jesus in diesem biblischen Text uns Menschen: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater“. Wie Christus und der Vater eins sind, so gehören wir Nachfolger Christi in Gottes Gemeinschaft - schon jetzt und zukünftig. Deshalb können wir uns mutig als evangelische Christen bekennen - vor allen Menschen, überall. Wir haben nichts zu verleugnen und nichts zu verheimlichen. Wir können frisch und mutig miteinander christlich leben und singen: „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen; er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen.“ 

Amen

 

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen



Altbischof Klaus Wollenweber
Bonn
E-Mail: Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

(zurück zum Seitenanfang)