Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2011

Predigt zu Matthäus 10:26b-33, verfasst von Sven Keppler

 

 

I. „Du schaffst das schon!" - Seit einer Woche ist Charlotte furchtbar aufgeregt. In der Grundschule wurden die Rollen für das Krippenspiel vergeben. Und in einem verwegenen Moment hatte sie sich gemeldet. Nun steht es fest: Sie soll die Maria sein. Seitdem hat sie schlaflose Nächte.
Ihre Mutter ist hin und her gerissen. Sie hat Mitleid mit ihrer kleinen Tochter und würde den Druck am liebsten von ihr nehmen. Aber andererseits bewundert sie ihre Courage und möchte das Mädchen gerne stärken. Sie glaubt, dass Charlotte viel lernen kann und dass sie am Ende richtig stolz sein wird.
Um der Tochter Mut zu machen, hat sie ihr ein kleines Bilderbuch geschenkt. Es heißt: „Du schaffst das schon!" Vorne ist ein Pinguinjunges abgebildet. Keck, aber auch ein bisschen verzagt breitet es seine Flossen aus. Es steht an einem abschüssigen Gelände und wird wohl gleich zum ersten Mal schwimmen müssen.
Im Büchlein sind lauter junge Tiere zu sehen, die sich in einer verzwickten Lage befinden: Ein Kätzchen hängt unbeholfen an einem Ast. Ein Welpe ist kopfüber aus seinem Körbchen gepurzelt. Ein Fohlen versucht mit gespreizten Beinen, sich aufzurichten.
Charlotte soll merken: Sie ist nicht allein. Aller Anfang ist mit Mühen verbunden. Aber viele andere haben es schon geschafft. Und wenn es mal schief geht, kann man auch darüber lachen - wie über die niedlichen Tiere bei ihren unbeholfenen Versuchen. „Du schaffst das schon!"

II. Jesus war in einer ganz ähnlichen Situation wie Charlottes Mutter. Er musste seine Jünger auf die Selbständigkeit vorbereiten. Nach seinem Tod würden sie dafür verantwortlich sein, Gottes heilsame Nähe zu verkündigen. Sie würden in bedrohliche Auseinandersetzungen geraten und auf gut organisierten Widerstand treffen.
Vielleicht hätte er ihnen die Aufgabe gerne erspart. Aber eine höhere Notwendigkeit ließ keine Wahl. Was Jesus tun konnte, war, sie zu ermutigen: Ihr werdet das schaffen! Ihr seid nicht allein! Und es wird sich lohnen! Dabei musste er Worte finden, die den Jünger ins Herz gingen. Die ihre Gefühle trafen, so wie das Büchlein bei Charlotte. Im heutigen Predigttext sind diese Worte überliefert. [lesen: Mt 10,26b-33]

Ich gebe zu: Vieles klingt auf Anhieb nicht besonders ermutigend. Schon der erste Satz wirkt eher wie eine Drohung: Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Das könnte die Ermahnung hilfloser Eltern an ihren pubertierenden Jungen sein: Wir sehen zwar nicht alles. Aber verlass dich darauf: Es wird ans Tageslicht kommen. Gott sieht alles!
Was immer Jesus gemeint hat - das jedenfalls nicht. Durch den nächsten Satz wird sein Anliegen deutlich. Was ich euch in der Finsternis ins Ohr sage, dass sollt ihr im Licht auf den Dächern verkündigen. Das ist der Auftrag an die Jünger. Er hat zwei Teile.
Zunächst sollen sie sich etwas sagen lassen. In der Finsternis. Ins Ohr hinein. Es gibt Zeiten der Ruhe, der Einkehr. Still werden. Zur Besinnung kommen. Wenn es Nacht wird und die Aufgaben des Tages zurücktreten. Dann ist auf besondere Weise Zeit, sich auf Gottes Wort einzulassen. Es achtsam zu vernehmen. Zu meditieren, zu verinnerlichen.
Auf diese Weise Gottes Wort zu wahrzunehmen ist die Grundlage von allem. Dabei sagt Jesus nicht, dass die Jünger eine bestimmte Methode anwenden sollen. Eine Technik. Sondern Jesus gibt ein Versprechen: Ich werde euch etwas zu sagen haben, auch wenn ich fort bin. Verlasst euch darauf. Aber ich werde es auf andere Art sagen als bisher. In der Stille werdet ihr und eure Nachfolger die Erfahrung machen, dass ich euch nahe sein werde. Dass ich mich an euch wenden werde.
Der zweite Teil des Auftrags besteht darin, das dann nicht für sich zu behalten. Sondern es weiterzusagen. Öffentlich. So, dass andere es erfahren und davon berührt werden. Dazu sind wir Christen aufgefordert: So wie Charlotte der Maria ihre Stimme gibt, so sollen wir dem Evangelium Gottes unsere Stimme geben. Wir sollen unseren Glauben nicht verheimlichen. Sondern mit anderen Menschen davon sprechen. Im Licht, auf den Dächern. So, dass man es hört.

III. Von diesem Auftrag her wird die erste Ermutigung verständlich. Jesus sagt: Was ihr tun sollt, dass ist vollkommen in der Ordnung. Es ist sozusagen ein Naturgesetz: Was verborgen ist, wird an den Tag kommen.
Dafür gibt es tausend Beispiele: Eine Pflanze hat unterirdisch ihr Wachstum begonnen. Aber irgendwann wird sie ans Tageslicht streben. - Ein Dichter hat lange sein Werk in sich getragen. Manchmal jahrzehntelang, wie der aktuelle Buchpreisträger Eugen Ruge. Aber jetzt ist der Zeitpunkt für die Veröffentlichung gekommen. - Das amerikanische Militär stuft Papiere als streng geheim ein. Aber dennoch werden sie von Wikileaks ins Netz gestellt.
Es ist wie ein Naturgesetz: Was geheim ist, ist von Interesse. Und deshalb wird es seinen Weg ans Licht finden. Auch ihr sollt das öffentlich machen, was ihr in der Stille erfahren habt. Damit stellt ihr euch nicht gegen die guten Sitten. Ihr handelt nicht gegen die Ordnung dieser Welt. Sondern ihr fügt euch ein in das, was in der Natur der Dinge liegt. Darin liegt die Ermutigung. Jesus verlangt nichts widernatürliches von uns. Er will nicht, dass wir aus dem Rahmen fallen. Sondern es ist nur das Natürlichste, dass wir öffentlich von Gott und von unserem Glauben reden.
Das sagt auch die zweite Ermutigung. Wir haben sie gerade schon gehört, um die erste zu verstehen. Was wir im Stillen vernommen haben, sollen wir öffentlich weitersagen. Jesus beauftragt uns damit. Das Ermutigende daran ist: Jesus wird sich uns zuwenden. Wird sich uns mitteilen. Und er selbst gibt uns den Auftrag, das weiterzusagen. Wir haben seine Rückendeckung, wenn wir tun, was er uns sagt.

IV. Der nächste Satz klingt beim ersten Hören wieder nicht besonders aufbauend: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.
Es gibt jedenfalls kein Vertun: Die Situation ist ernst. Das Lampenfieber vor einem Krippenspiel wirkt im Vergleich dazu doch ziemlich harmlos. Und auch die gewisse Peinlichkeit, die es in unserer Gesellschaft mit sich bringt, über innerliche Dinge zu sprechen.
Es gibt Gegner, die vielleicht den Leib töten. Die aber über die Seele keine Gewalt haben. Aber es gibt einen, der mein Inneres genau so wie meinen Körper zerstören kann. Wer denkt da nicht an die aktuelle Verfolgung von Christen im türkischen und arabischen Kulturraum? In Afrika oder Fernost. Die Verfolgung der ersten Christen wiederholt sich in ihrem Schicksal. Kirchen werden angezündet. Die religiöse Praxis wird unterdrückt. Und das öffentliche Bekenntnis, zu dem Jesus ermutigt, ist mit großer Gefahr verbunden. Wer denkt hier nicht auch an Martin Luther und sein Auftreten vor dem Kaiser - und den Stellvertretern des angemaßten Stellvertreters Petri?
Wer in solcher Bedrängnis steckt, der hört vielleicht eher den Trost, der in Jesu Worten steckt: Eure Verfolger haben ihre Grenzen. Eurem Inneren, Eurer Seele, können diese Unterteufel nichts anhaben. Das kann nur der wahre Teufel. Aber dem wird Gott euch nicht überlassen, wenn ihr Jesus treu bleibt. Das ist der Zuspruch: Wer Gott die Treue hält, der kann zumindest in seinem Inneren, in seinem Glauben, in seiner Seelenkraft nicht zerstört werden.

V. Nun kommt ein tröstliches, liebliches Bild, das mich ein wenig an das Büchlein von Charlotte erinnert. Denkt an die kleinen Spatzen! Putzige, kleine Vögelchen. Gott beschützt sie. Er lässt sie fliegen lernen und sorgt dafür, dass sie nicht einfach vom Himmel fallen. Was für diese kleinen Sperlinge gilt, das gilt erst recht für dich. Gott behütet dich, wie er selbst die kleinsten Wesen in seiner Schöpfung beschützt. Man hört es geradezu: Du schaffst das schon!
Und zum Abschluss die vielleicht größte Ermutigung: Es lohnt sich! So, wie du dich öffentlich zu Jesus bekennst, so wird sich Jesus auch zu dir bekennen. Vor Gott, wenn es darauf ankommt. Deshalb musst du keine Angst haben: Jesus ist treu.
Schade eigentlich, dass diese Ermutigung wieder durch die Wendung ins Negative unterstrichen wird. So schließt die Aufmunterung mit einer Drohung: Wenn du Jesus verleugnest, wird er auch dich verleugnen. Auch am Ende steht der Ansporn, der in der Furcht liegt.
Charlottes Mutter würde das so wahrscheinlich nicht tun. Würde nicht sagen: „Denk daran, wie du uns alle blamierst, wenn du deinen Text nicht kannst. Man wird dir nie wieder eine große Rolle geben." Viele Generationen sind so erzogen worden. Und viele ehrgeizige Eltern greifen wahrscheinlich heute noch zu solchen Mitteln. Durch Druck zur Höchstleistung - viele Sportlerinnen und Sportler kennen das. Die Methode Magath.
Mir persönlich hätten die anderen Ermutigungen gereicht. Aber vielleicht ist es ja doch angemessen, an den Ernst des Auftrags zu erinnern. Es geht um letzte Dinge, um Leben und Tod. Gott die Treue zu halten - auch öffentlich - ist die wichtigste Aufgabe, die wir haben. Zu ihr will uns Jesus ermutigen, mit den unterschiedlichsten Mitteln - damit jeder sich angesprochen fühlen kann. Amen.

 



Pfarrer Dr. Sven Keppler
33775 Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

(zurück zum Seitenanfang)