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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2011

Predigt zu Matthäus 10:26b-33, verfasst von Reiner Kalmbach

 

Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde

Reformationsfest am Montag, vermutlich werden viele Gemeinden den Reformationsgottesdienst auf den gestrigen Sonntag vorverlegt haben. Die Versuchung ist gross, aber ich denke, wir sollten ihn ganz bewusst heute feiern. Wer heute den Weg in eine Kirche findet, um an einem Reformationsgottesdienst teilzunehmen, der tut das ganz bewusst, der weiss um was es geht, oder aber, er möchte wissen um was es damals ging und damit Antwort auf die Fragen der Gegenwart zu finden. Was haben wir der Reformation zu verdanken?, wie können wir unser protestantisches Profil schärfen in einer Zeit und Gesellschaft in der die Oberflächlickeit zur Richtschnur des Denkens und Handelns erhoben wurde...?

Oder hier in Argentinien (und anderen lateinamerikanischen Ländern), wo Neopfingstkirchen eine Wohlstandstheologie predigen und die Menschheit in gut und böse, schwarz und weiss eingeteilt wird. Ja, gerade hier in diesem Kontext, lernte ich die reformatorischen Werte und Grundsätze neu schätzen, Werte wie der „freie Wille", oder dass ich für mein tun und lassen mit und selbstverantwortlich bin.

Das heisst doch: meinen Glauben, meinen evangelischen Glauben (!) in Verantwortung zu leben, jenen Glauben, dessen geistige Quelle die Schrift des Alten und Neuen Testaments ist und bleibt. Deshalb sind wir doch hier: wir wollen auf diese Schrift hören. Nun wird uns heute aber mit dem vorgeschlagenen Wort ein schwerer Brocken vorgelegt. Es passt irgendwie nicht zu dem, auf das unsere Ohren und Herzen am Reformationsfest ausgerichtet sind.

Aber nun wollen wir es erst einmal hören, dieses Wort. Es steht im 10. Kapitel des Matthäusevangeliums, die Verse 26b bis 33

Textlesung

  1. Zeugnis geben...

Wer hätte diese Erfahrung nicht schon gemacht: man teilt jemandem etwas „vertrauliches" mit und wundert sich, dass es am nächsten Tag das ganze Dorf weiss. Die Macht des Wortes, Luther wusste darum! Unser Abschnitt ist Teil der grossen „Sendungsrede" Jesu, mit der er die Jünger auf ihren eigentlichen Auftrag vorbereitet. Was ist der Auftrag?, die Jünger sollen predigen, was sollen sie predigen?, das Wort, wessen Wort?, Jesu Wort! Jesu Wort als der fruchtbringende Same der in den Menschen als Glaube aufgeht. Das Wort der Jünger geht von Jesus aus und soll zu den Menschen kommen. Deshalb: „...was ich euch sage..., das redet, predigt es auf den Dächern...!" Und das ist doch schon ein Kerngedanke der Reformation: was die Kirche predigt, hat sie von Christus!, sie hört auf keine andere Stimme, nicht einmal auf ihre eigene...

In Südamerika wachsen die neupfingstlerischen Kirchen und Gruppen wie Pilse aus dem Boden. Ich habe mich lange mit diesem Phänomen beschäftigt. Hier steht der Mensch im Mittelpunkt, mit seinen Wünschen und Gefühlen, sie werden ganz bewusst angesprochen, mobilisiert, Jesus wird zum Objekt degradiert, er „hat" zu gehorchen, er hat zu heilen, zu segnen, ihm bleibt gar nichts anderes übrig. Wer hier das sagen hat ist nicht Christus in und durch sein Wort, sondern der Prediger der die Menge geschickt auf ihre Gefühle anspricht und diese zum kochen bringt.

Nein! Reformatorische Predigt ist anders! Christus ist der menschgewordene Gott, hier ist der Ort in der Geschichte, von dem her der Glaube empfängt, von dem er lebt, und an den er im Erkennen und Annehmen immer wieder zurückkehrt. Deshalb muss alle Predigt, wie unser Wort zeigt, bei Christus ihren Ursprung haben. Hier ist die Quelle, nirgends sonst! Dieses Wort will nicht nur durch uns, seine Jünger und Boten, weitergesagt werden, sondern Er will selbst durch uns sprechen.

Vom „Dach aus predigen", d.h. doch, aus den eigenen vier Wänden heraustreten, so dass die Welt ins Blickfeld gerät, so dass die Welt in „hörweite" kommt. Das Wort Christi will in der Welt gehört werden. Unsere (hoffnungslose?) Minderheitssituation darf uns davor nicht abschrecken. Seit über fünfzehn Jahren arbeite ich im Süden Argentiniens. Die reformatorischen Kirchen sind so winzig, dass man sie nicht einmal als „Minderheit" bezeichnen kann. Und hier im Süden sind wir noch weniger, als weiter nördlich. Wir sind hier die „Diaspora in der Diaspora". Vor ein paar Jahren haben wir den Schritt gewagt mit diesem Wort in eine Bierkneipe zu gehen..., dort, wo die Menschen sich treffen. Wir reden über Dinge die uns beschäftigen, die Bibel liegt mitten auf dem Tisch, zuerst sind es drei oder vier Personen, dann setzen sich noch mehr dazu und was wir zu bestimmten aktuellen Themen zu sagen haben, ist für die „Schwarz-weiss-denker" absolut anders, neu, interessant, für manche ein Grund nach mehr zu fragen...

  1. ...ohne Furcht...

Gott gibt auf uns acht! Wenn er sich sogar um Spatzen kümmert, dann erst recht um uns. Darauf will ich vertrauen. Und wenn ich das ernst nehme, kann ich beruhigt (und ohne Furcht) das „tun", was Christus mir anvertraut hat: sein Wort von den Dächern predigen. Mut dazu benötigt man auch heute noch, denn das Wort das wir predigen (sollen) spricht der Welt gegen den Strich. Da stellt sich mir die Frage: tun wir das?, oder suchen wir im Grunde stets die „Ausgewogenheit"...?, ja nicht anecken, nicht zu scharf, nicht zu kritisch..., und schon gar nicht vom „Gericht" sprechen...! Und wie sieht es in meinem privaten Leben aus?, erkennt die „Welt" in meiner Art zu leben, wer mein Herr ist, wem ich letztendlich mein Leben anvertraue...?

Der Abschnitt ist ein schwerer Brocken, sagte ich am Anfang: was ist das für ein Gott, dem wir auf der einen Seite voll und ganz vertrauen, ihn aber, andererseits, auch fürchten sollen? Gottesfurcht und Gottvertrauen aufs engste miteinander verbunden. In unserem Text wird es mehr als deutlich: Menschenfurcht wird durch Gottesfurcht überwunden. Und wieder können wir von Luther lernen, wie das zu verstehen ist. Seinen Mut gegenüber Kirche und Papsttum dürfen wir nicht mit natürlichem Heldentum verwechseln. Luther hat Gott über alle Dinge fürchten gelernt - und nahm ihn -, deshalb ernst! Die Frage die ihn ein ganzes Leben lang umgetrieben hat: wie es mit ihm „vor Gott bestellt" sei, der uns retten, aber auch in der Hölle zugrunde gehen lassen kann. Das Seligwerden versteht sich nicht von selbst. Für Luther war immer die Frage gegenwärtig, die vermutlich in unserer letzten Stunde von allen Fragen des Lebens übrig bleiben wird. Es wird dann nicht mehr darum gehen, ob wir dies und das, was wir uns wünschten, erlangt, ob wir dies und das, was wir erstrebten, erreicht und geschafft haben. Es geht dann darum, wie es zwischen uns und Gott steht.

Deshalb hat Luther in Worms diesen unglaublichen Mut gezeigt: in seiner Antwort auf die Anklage gegen ihn stellte er Gottesfurcht vor Menschenfurcht: „So bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist..."

Als ich die Verse aus unserem Abschnitt las, musste ich spontan an Dietrich Bonhoeffer denken, an Martin Luther King, Mandela, aber auch an Willy Brandt und seinen Kniefall in Warschau. Hier in Argentinien haben während der letzten Militärdiktatur viele Geistliche und Laien verschiedener Kirchen ihr Leben riskiert, manche mussten ihren Einsatz für die Menschenrechte sogar mit diesem Leben bezahlen...Wer seinen Glauben „glaubwürdig" leben will der wird immer wieder mit der Frage Luthers konfrontiert werden. Christ sein heisst gegen den Strom anschwimmen. Und das gelingt nur, wenn ich mit Gott - Vater in meinem Leben rechne, wenn ich die Gewissheit habe, dass ich einst, wie ein kleines Kind, ihm in die Arme laufe...

  1. ...vor den Menschen

Christus will sich zu mir, zu uns bekennen...Bekenntnis hat mit „kennen" zu tun. Er kennt mich und wird mich nicht verleugnen, er wird sagen: diesen Menschen kenne ich, mit all seinen Fehlern, Schwächen und liebenswerten Seiten. Vor langer Zeit habe ich mich ihm zu erkennen gegeben und er hat mich nicht verleugnet, er hat sich in seinem Leben zu mir bekannt.

Die Jünger werden in die Welt gesandt, um dort ihren Herrn zu bekennen und zu bezeugen. Sendung und Bekenntnis gehören zusammen. Die Mitmenschen sollen merken, sehen, spüren, dass wir zu Jesus gehören. Jesus will, dass wir ihn vor den Menschen bekennen, nicht dass wir uns schämen und den Eindruck erwecken, als hätten wir mit diesem Jesus nichts zu tun. D.h. wir sollen unseren Glauben vor der Welt verantworten!

Das Sprichwort „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm" ist ein schönes Beispiel das uns zeigt, wie das mit dem predigen, Zeugnis geben und bekennen zu verstehen ist: eine ganz bestimmte Geste des Sohnes, das Lachen der Tochter, weist direkt auf den Vater, die Mutter hin. Unser Sohn studiert gerade Soziologie, er diskutiert gerne, manchmal sucht er geradezu die Konfrontation mit der anderen Meinung..., wer uns beide kennt, sagt: „...ganz der Vater..."

Ich gebe zu, dass ich manchmal Freude und sogar so etwas wie Stolz empfinde..., er bekennt sich mit seinem Verhalten, seinen Gesten und Worten zu seiner Herkunft, er will sie nicht verleugnen.

Warum fällt es uns so schwer unseren Glauben, auch ausserhalb der Kirchenmauern, zu bekennen? Wir scheuen keine politische Auseinandersetzung, wir gehen auf die Strasse und demonstrieren gegen oder für etwas, ich weiss, dass mein Nachbar links oder rechts wählt...Aber wenn es um den Glauben geht, dann wollen wir nicht auffallen, das ist reine Privatsache..., ist es das?, kann, darf es das sein...?

Neulich fragte ich während eines Hausgottesdienstes: warum glauben wir?, nach einer längeren Pause sagte jemand: „...ich glaube, weil mir vor langer Zeit jemand von Jesus erzählt hat..." Und genau darum geht es: Zeugnis geben, predigen in Worten und Taten, Christus als unseren Herrn und Retter in der Welt bekennen, uns zu ihm bekennen, ohne Furcht vor den Menschen..., das hat mit einer Lebensentscheidung zu tun, mit der „Option für das Reich Gottes".

Wir empfangen das Heil nicht im Schlafe, sondern in der bewussten Entscheidung des Glaubens an Christus. Dass genau dieser Christus sich zu uns vor dem Vater bekent ist nicht das Ergebnis unserer besonderen Anstrengung, sondern: wir haben uns zu ihm bekannt..., mehr braucht es nicht. Jesus ist unser Fürsprecher. So haben wir keinen Grund uns zu fürchten.

Amen.

 



Pfarrer der Evang.Kirche am Río de La Plata Reiner Kalmbach
Patagonien – Argentinien -
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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