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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 06.11.2011

Predigt zu Lukas 11:14-23, verfasst von Christian-Erdmann Schott

 

Der Predigttext:

Und er (Jesus) trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich.
Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebub, ihren Obersten.
Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.
Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andre.
Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebub.
Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebub austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.
Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.
Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden.
Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.
Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut".

 

Liebe Gemeinde, Rundfunk- oder Zeitungsjournalisten sind es gewesen, die als Erfolgsrezept verkündet haben, bad News are good News, d. h. schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, oder: schlechte Nachrichten sind interessante Nachrichten, sind Aufsehen erregende Nachrichten, sind marktgängig, werden gelesen, werden gekauft. Und wenn wir auf uns, die Abnehmer und Konsumenten der Nachrichten sehen, müssen wir zugeben, dass das sehr wahr ist. Nachrichten über Schlechtes, Böses, Trauriges, Ausgefallenes sind viel interessanter und aufregender als Berichte über das Gute. Die Nachricht „Enkel hilft Oma" ist eher langweilig. Aber die Nachricht „Enkel ersticht Oma" lässt uns aufhorchen, lässt uns nachfragen, beschäftigt uns.

Das zeigt: Das Böse hat durchaus einen Unterhaltungswert. Kriminalromane und ganze TV-Sendungen leben davon. Daneben hat das Böse in der Geschichte der Menschheit aber auch unübersehbar eine tiefe blutige Spur des Leidens und der Gewalt hinterlassen. Diese Leidensspur zeigt neben der Leben gefährdenden, tödlichen Seite des Bösen, auch ihre tragische Komponente. Diese hängt damit zusammen, dass die Menschheit nicht weiß, woher das Böse eigentlich kommt und was es eigentlich ist. Viele Menschen hatten und haben nur das unbestimmte Gefühl, dass mit unserer Welt etwas nicht stimmt, dass irgendwo der Wurm drin ist. Aber wie lässt sich dieses Negativ-Störende benennen? Wo ist es? Wer ist es?

Vor 70 Jahren haben die Nazis den Menschen des Großdeutschen Reiches gesagt: Alles Böse kommt von den Juden. Darum müssen wir sie vernichten. Ihr werdet sehen, eine judenfreie, eine vom arischen Herrenmenschen bestimmte Welt wird eine glückliche Welt sein. Heute wissen wir, dass das eine verbrecherische Lüge war.

Vor 170 Jahren haben Karl Marx und seine Anhänger gesagt, alles Böse kommt vom Besitz. Er macht die einen hartherzig und unsolidarisch, die anderen elend und arm. Nehmt den Besitzenden das Eigentum und ihr werdet sehen, wie gut es allen gehen wird. Nach dem gigantischen Experiment des weitweit gescheiterten Kommunismus wissen wir, was dabei herausgekommen ist.

Vor 200 Jahren, in der Zeit der Aufklärung, sagte man den Leuten, das Böse kommt aus eurer Unwissenheit, Unaufgeklärtheit, aus Euerm Aberglauben. Wir müssen den Menschen das Licht der Aufklärung bringen, sie erziehen und bilden, dann wird es herrlich. Auch das war kein Erfolg. Die Menschheit wurde nicht menschlicher in ihrem Umgang. Im Gegenteil, das 20. Jahrhundert führte zu Brutalitäten, wie wir sie in der Geschichte vorher nicht gekannt hatten.

Vor 300, 400 Jahren meinte man, die Hexen sind der Grund aller Übel. Man hat sie denunziert, gefoltert, verbrannt. Heute wissen wir, auch in einer hexenfreien Welt ist nichts besser geworden.

Zusammengenommen heißt das: Bisher ist es keiner Generation gelungen, das Böse genau zu benennen und durch gezielte Maßnahmen zu beseitigen. In der Sprache des Lukas-Evangeliums heißt das: Wir haben immer wieder versucht, das Böse zu überwinden, aber wir haben nur Böses durch neues Böses, einen Teufel durch den anderen Teufel, durch den Beelzebub, das Unrecht durch den Terror ersetzt. Stets sind wir gescheitert. Martin Luther bringt es sehr nüchtern auf den Punkt, wenn er im Blick auf die ungebrochene Fortdauer des Bösen bekennt: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren" (EG 362,2).

Es ist nachvollziehbar, wenn Menschen aufgrund dieser Erfahrungen zu Zynikern werden, nichts mehr glauben und für die Welt nichts mehr erhoffen. Immer wieder sehen sie sich in der Meinung bestätigt, dass es ja doch keinen Zweck hat, gegen das Böse zu kämpfen - am Ende ist es noch schlimmer, wie wir es auch anstellen.

Der christliche Glaube allerdings kann sich mit einer solchen Einstellung nicht zufrieden geben - aus einem einzigen Grund: Weil er auf Gott setzt; weil er davon überzeugt ist, dass Gott - eben weil er Gott ist - stärker ist als alles andere, stärker auch als der Böse. Das bringen wir jeden Sonntag zum Ausdruck, wenn wir im Gottesdienst öffentlich und gemeinsam bekennen: „Ich glaube an Gott, den Allmächtigen..." In diesem Glauben stärkt uns auch die Botschaft Jesu im heutigen Evangelium: Er vergleicht das Böse mit einem schwer bewaffneten Hausbesitzer. Niemanden lässt er in sein Haus. So beherrscht der Teufel die Welt. Er sieht sich als „Fürst dieser Welt" (Martin Luther EG 362, 3). Aber nun kommt einer, kommt Jesus Christus, der Sohn Gottes, in der Kraft Gottes, „bricht dem gewappneten Starken ins Haus" (EG 66,3) und macht allen, die das hören und glauben, klar: Es ist nicht wahr und eine Täuschung, zu meinen, der Teufel sei der unschlagbare Fürst dieser Welt. In Wahrheit hat Gott die Herrschaft nie aus der Hand gegeben und wird sie auch nie aus der Hand geben. In Jesus Christus, den er uns zur Stärkung und zur Orientierung geschickt hat, leuchtet diese gute Macht Gottes auf - zum Beispiel in der Heilung dieses stummen Mannes, von dem hier erzählt wird. Das ist zunächst einmal eine persönliche Zuwendung zu diesem leidenden Menschen, eine Heilung, aber es ist auch eine Demonstration der Macht und Stärke Gottes in der Welt der Stummen und Sprachlosen. Es ist ein Durchbruch von oben, ein Einbruch in das Reich des Bösen, das die Menschen niederdrückt und quält.

Aber wo bleibt dann der Teufel? Ihm ist zwar gezeigt worden, dass er nicht der Herr der Welt ist; er ist seit Jesus Christus deutlich angeschlagen, aber nicht vernichtet. Er ist durchaus noch da und betreibt seine bösen Machenschaften. In diesem Sinn war Jesu Kommen ein Sieg, aber noch nicht der Endsieg. Der Endsieg wird sein am Ende der Zeit, wenn er wiederkommt.

Nach der Ordnung des Kirchenjahres stehen wir jetzt in der Zeit, in der wir unsere Blicke auf das Ende des Jahres, auf das Ende der Zeit, auf das Ende der Welt richten. Dieser Blick ist für uns der Blick in eine gute Zukunft. Wir glauben, dass Jesus Christus dann die Welt sichtbar in Besitz nehmen wird und alles Zweideutige und Verborgene aufhören wird. Insofern glauben wir, dass das Ende von Zeit und Welt dem Anfang entsprechen und Gott sein wird alles in allem, die Herrschaft des Bösen aber nur als Episode nachklingt.

Damit ist auch klar, wo unser Platz als Christen heute ist. Er ist zwischen dem Sieg und dem Endsieg Christi. Für diese Situation rät uns Jesus bei unseren Entscheidungen zu bedenken: Orientieren wir uns am Pessimismus und Zynismus, der für die Welt nichts mehr erhofft. Oder orientieren wir uns an Gott und Jesus Christus, den Mächten, denen die Zukunft gehört? Dasselbe mit den Worten Jesu: Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Amen

 



Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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