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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 06.11.2011

Predigt zu Lukas 11:14-23, verfasst von Manfred Wussow

 

Und er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: 

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.

Predigt

Leere Visitenkarte

Ich will nicht indiskret sein. Kennen Sie Herrn oder Frau Beelzebul? Er - oder sie - Entschuldigung - soll sein Unwesen unter uns treiben. Haben Sie vielleicht schon Bekanntschaft machen müssen? Er - oder sie - lässt einfach leere Visitenkarten zurück, mag wohl den Schutz der Dunkelheit und ist flink wie ein Geist.

Dabei hat Beelzebul eine beispiellose Karriere hinter sich: Er war einmal der Stadtgott von Ekron, einer wichtigen Stadt bei den Philistern, wusste sich selbst dem König von Israel anzudienen, ließ sich später „erhabener Fürst" nennen, ohne verhindern zu können, als „Herr der Fliegen" von groß und klein verächtlich gemacht zu werden. Muss wohl alles nicht so rosig gewesen sein, was von ihm kam. Aber kleine Brötchen backen, liegt ihm nicht. Jedenfalls macht er jetzt seinem Namen alle Ehre, hinterlässt leere Visitenkarten und spielt mit uns. Ob wir ihm wohl auf die Schliche kommen? Dem „Herrn der Fliegen"? Was sich so lächerlich anhört, entpuppt sich als eine unendliche Leidensgeschichte. Und ich wollte ein Musical schreiben! Ich wollte Sie schon als Komparsen gewinnen! Ich schäme mich!

Verstummen

Aber ich muss wohl ein wenig mehr erzählen. Zum Team Beelzebuls gehört ein Geist, der schlecht hört, eigentlich auch keine Ohren hat, aber mit einer Behändigkeit sondergleichen Menschen zum Verstummen bringt. Er nimmt ihnen einfach den Mund. Die Worte. Den Mut. Als Meister seines Faches kann er auf einen langen „Lebenslauf" verweisen, einen Erfolg nach dem anderen dokumentieren, nur seine Referenzen lassen zu wünschen übrig. Aus Angst verweigern ihm Menschen ein Zeugnis. Aber das hat er sich selbst zuzuschreiben, schließlich ist er es doch, der Menschen zum Verstummen bringt.

Ich denke jetzt an einen Kollegen. Er hat sich mit kritischen Äußerungen weit vorgewagt und den Mund vielleicht auch zu voll genommen. Das kam nicht gut an. Jetzt hält er sein Maul. Aus Angst. Dabei hat er weder etwas Falsches gesagt noch sich im Ton vergriffen. Der Geist ohne Ohr lächelt. Kleinlaut krieg ich sie alle!

Ich denke jetzt an eine junge Mutter an der Bushaltestelle. Einige dunkelhäutige Mädchen warten auch, haben sich viel zu erzählen und lachen fröhlich. Zwei ältere Herren gefallen sich mit der Bemerkung, früher hätte „man so was vergast". Die Mutter ergreift Partei. Sie wird dann laut überstimmt. Was sie sagt, geht unter. Auch eine Form des Verstummens. Der Geist ohne Ohr lächelt noch breiter. Wen er alles auf seiner Seite hat!

Schließlich kommt mir der alte Pfarrer in den Sinn. Er erzählt, dass er die Predigten nicht zählen könne, die er gehalten habe. Immer gut vorbereitet. Die Gemeinde sei aber immer kleiner geworden. Bewirkt habe er gar nichts. So viele Taufen ... so viele Konfirmanden ... so viele Trauungen ... so viele Beerdigungen. Für einen Nachruf wird's reichen, meint er dann. Jetzt hat der Geist ohne Ohren ein strahlendes Gesicht. Wen er alles klein kriegt! Sogar dann kann ein Mensch verstummen, wenn er viel zu sagen hat.

Eine vierte, fünfte, sechste Geschichte - und so weiter - gibt es auch noch. Die sollten Sie erzählen. Der Geist ohne Ohren treibt sich in Küchen, Schlafzimmern, Kirchen und Parlamenten herum. Immer fein getarnt. Man könnte ihm nicht einmal vorwerfen, keine Argumente zu haben - nur reden kann man mit ihm nicht. Wo er ist, stirbt die Hoffnung. Das freie Wort erlischt. Die Angst macht schweigsam.

Eine große Geschichte fängt klein an

Hier fängt eine große Geschichten klein an. So klein wie: „Er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm." Der böse Geist - unser Geist ohne Ohren - wird ausgetrieben. Nicht einfach nur vertrieben, es muss schon härter kommen: ausgetrieben. Ein schönes Wort, dynamisch und unaufhaltsam. Der erste Satz - oder Halbsatz - findet seine Vollendung in dem zweiten - gar letzten - Satz: „Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme."

Es tut mir leid, dass ich Ihnen gar nichts Näheres von diesem Menschen erzählen kann, dem der Evangelist nur einen, zwei Sätze widmet. Eigentlich ein Unding. Aber was in diesem Satz steckt: „da redete der Stumme"!

Ein Mensch, der still geworden ist, dem die Worte ausgegangen waren, der nichts mehr zu sagen hatte, dem nicht einmal eine Hoffnung verblieb - er redet! Alle Angst ist wie weggeblasen. Das vorsichtige Abwägen weicht einem mutigen Wort. Es ist auch nichts mehr zu berechnen und abzuwägen - er redet!

Ich sehe, wie ein Mensch aus seinem Versteck kommt. Auf einmal sind Worte da. Mit jedem Wort wächst das Leben. Das Zutrauen. Der Mut. Und die Liebe zur Wahrheit. Es muss ein Gedicht geschrieben werden, ein Lied, eine Sage über Generationen hinweg. Ein Mensch redet! Nein, dieser Verstummte, zum Schweigen verurteilte - redet! Ein Wunder - ohne viele Worte. Man kann es in einem, in zwei Sätzen erzählen. Zumindest kann Lukas das. Er, der sonst um kein Wort verlegen war, der eine Geschichte größer als die andere erzählte - kommt mit wenigen Worten aus. Es reicht gar ein Wort, das Schweigen für immer zu brechen. Das wird sogar der Geist ohne Ohren hören! Sein Lächeln ist einem bösen Grinsen gewichen. Er hat wohl alles verstanden.

Ich werde auf der Hut sein!

Den Teufel mit Beelzebul austreiben

Jesus, der es mit bösen Geistern aufnimmt, wird jetzt bezichtigt, mit Beelzebul gemeinsame Sache zu machen. Das geht wohl mit dem Teufel zu, pflegen wir zu sagen, wenn etwas Unmögliches möglich wird. Interessant, wofür der Teufel dann doch immer noch gut ist. Jedenfalls höre ich aus dem Märchen den wütenden Zwerg: Das hat dir der Teufel gesagt.

Mal abgesehen davon, dass uns der Evangelist ein geflügeltes Wort, ein „Sprichwort" schenkt - „den Teufel mit Beelzebul austreiben", bringt er uns auf überraschend neue Gedanken. Logisch:

Wenn Teufel durch Teufel vertrieben werden, böse Geister durch Beelzebul - dann sind sie uneins! Uneins mit sich. Ein zerstrittener Haufen. Aber ihr Reich zerfällt nicht, solange die Machtverhältnisse nicht durchschaut werden. Es ist das Böse, das sich wie eine breite Front aufstellt - undurchschaubar, undurchsichtig. Wenn ich doch einmal den Blick dahinter wagte! Ich würde sehen, dass alle Angst umsonst, alle Deckung unnötig, alles Schweigen sinnlos ist. Ich kann mich hinstellen - und Paroli bieten. Mit nur einem Wort: schweigt! Das Böse ist zwar gerissen, aber feige. Seine Stärke ist, die Schwächen auszunutzen, die Menschen ihnen bieten. Das tun sie erfolgreich. Das macht sie erfolgreich. Bis wir darüber reden. Im Namen Gottes. Nicht frei reden zu können - oder zu dürfen - ist eine Machtfrage. Wenn Jesus einen Verstummten heilt, wird auch eine Machtfrage geklärt - es wird Ostern. Der Tod wird überwunden. Lukas erzählt eine Ostergeschichte: „Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme."

Im Mittelalter hat man dem Bösen, den bösen Geistern beängstigende und einschüchternde Gestalten gegeben, Furien und Fratzen. Unsere Vorfahren haben etwas ins Bild gebracht, was sonst nicht zu sehen war, sie haben ihre Angst gemalt und - gleichzeitig das Bedrohliche gebannt, ihm ins Gesicht gesehen. Macht bekommen die Geister erst, wenn sie verschwiegen und übersehen werden.

Soll ich Ihnen sagen, wie dankbar ich Lukas bin? Das kleine Streitgespräch, das er überliefert, nimmt den bösen Geister n den Nimbus, eine geballte Macht zu sein. Und Beelzebul ist am Ende dann doch nicht mehr als - „Herr der Fliegen".

Im Evangelium muss sich Beelzebul gefallen lassen, vorgeführt zu werden. Es geht nicht, dass er nur seine leeren Visitenkarten zurücklasst, sich im Dunkel der Nacht versteckt und ansonsten von keinem gesehen werden will.

Ich will nicht indiskret sein. Kennen Sie Herrn oder Frau Beelzebul?

Das letzte Wort über die bösen Geister

Vielleicht erinnern Sie sich jetzt, dass ich vorhin ein Musical über den „Herrn der Fliegen" schreiben wollte. Ich bat sogar um Entschuldigung, Sie als Komparsen gewinnen zu wollen. Ich fürchtete, den richtigen Ton nicht treffen zu können. Nachdem unser Herr diesem Pack den Schleier vom Gesicht gerissen hat, können wir unsere Geschichten aber singen, tanzen, in ein Spiel der bunten Lichter und Kostüme bringen. Viel zu wenig, Komparsen zu werden - die Hauptrollen sind frei! Die Menge wird sich verwundern!

Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.

Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.

Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.

Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

(Röm. 14,7-9)

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn

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Pastor Manfred Wussow
Aachen
E-Mail: M.Wussow@gmx.de

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