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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 13.11.2011

Predigt zu Lukas 16:1-9, verfasst von Rainer Stahl

 

Liebe Leserin, lieber Leser, liebe Schwester, lieber Bruder,

diese Erzählung, dieses Gleichnis, gibt eine Grundfrage auf, die für alle Gleichnisse Jesu gilt: Ist die erzählte Situation und Begebenheit im Sinne Jesu für unser alltägliches Leben in unserer Welt maßstäblich? Will Jesus also, dass wir unser Leben entsprechend diesem Gleichnis organisieren? Mit Blick auf dieses Gleichnis sagen wir sicher alle spontan: „Nein!" - Wir müssen uns noch deutlich machen, warum.

Aber mit Blick auf andere Gleichnisse würden wir eine Anwendung im täglichen Leben versuchen. Ja, wir transportieren immer wieder die Hoffnung, dass das gelingen könnte. Wir erwarten intuitiv, dass die Gemeinde, die Kirche um sich herum eine solche Welt baut. Ist das realistisch? - Dieser Frage wende ich mich zuerst zu.

Ich wähle eines der bekanntesten Gleichnisse aus. Es steht zwar nicht im Lukasevangelium, darf aber doch als Ergänzung zu dem Gleichnis hier herangezogen werden: Ich meine das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg - Matthäus 20. Es gibt eine Auslegungstradition, die nahe legt, ja: empfiehlt, wirtschaftliche Unternehmungen entsprechend dieses Gleichnisses zu organisieren, nämlich wirklich alle gleich zu entlohnen, jedenfalls im finanziellen Bereich keine Unterschiede zu markieren.

In Grenzen scheint dieses Konzept auch bei kleineren Unternehmungen und Gemeinschaften zu funktionieren. Ich erinnere beispielhaft an die Gütergemeinschaft der Hutterer. Aber auch hutterische Gemeinschaften haben schon die Gütergemeinschaft aufgegeben und ihr Wirtschaftsleben unter stärkerer Beachtung und Zulassung persönlichen Besitzes und Reichtums organisiert!1 Schon diese - und auch andere - historischen Erfahrungen aus der Geschichte der Kirche zeigen, dass die praktische und tatsächliche Umsetzung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg nicht funktioniert. Ausgesprochen kritische Erfahrungen mit totalitären gesellschaftlichen Versuchen der Verwirklichung solcher Anstöße wie der Täuferstaat von Münster, wie die kommunistischen Diktaturen unterschiedlicher Couleur lasse ich jetzt ganz beiseite. Wenn wir denselben Lohn zahlen, egal ob eine Arbeiterin oder ein Arbeiter acht Stunden am Tag gearbeitet hat oder sechs oder vier oder gar nur eine, dann schaffen wir unmögliche Verhältnisse, die längere Zeit nur durch eine Diktatur erhalten werden können. Und wenn diejenigen, die nur eine Stunde arbeiten, sich als ideologische Führer gerieren, die meinen, für ihre ideologische Arbeit - die in Wahrheit niemand braucht - den größten Anteil des Denars „verdient" zu haben, produzieren wir die Ungerechtigkeit par excellence. Weil das nicht lange klappen wird, werden sich Gruppen herausbilden, die für sich Privilegien in Anspruch nehmen, nämlich „Schweine", die „gleicher sind" als alle angeblich „Gleichen".2 Nein, das alles klappt nicht. Und nach dem Scheitern des Staatssozialismus im Moskauer Imperium sollten wir als Christen auch aufhören, solche Hoffnung noch schmackhaft zu machen. Nein, das hat auch Christus nicht gemeint.

Sein Gleichnis über die Arbeiter im Weinberg ist kein versteckter Hinweis auf soziale Reformen und gesellschaftliche Veränderungen, sondern es ist ein Bild für die Welt Gottes, für das Himmelreich, für die Wahrheit, die bei Gott gilt.

Nun wird sich mancher fragen, wozu wir in unserer Welt solche Ahnungen von Gott brauchen - dass er allen, die Lohn bekommen, denselben Lohn geben wird -, wenn wir unsere Welt danach nicht gestalten können. Wir brauchen sie, weil es wichtig ist zu wissen, dass es mehr gibt als unsere Welt. Und wir brauchen sie, weil sie uns die Fähigkeit geben, beispielhaft, zeichenhaft, mit persönlichen Opfern verbunden - aber nicht total und allgemein - schon heute und hier Wirklichkeiten dieser anderen Welt zu gestalten!

Mit dem so gewonnenen Koordinatensystem können wir uns nun an diese problematische Erzählung im Lukasevangelium heranmachen. Sie ist ja eine Erzählung der aneinander gereihten Ungerechtigkeiten und Betrügereien:

Der Eigentümer des Besitzes beginnt schon äußerst fragwürdig. Er reagiert auf die Gerüchte, dass ihn sein Verwalter betrüge, mit der Entscheidung, dass dieser entlassen wird. Aber er lässt nicht prüfen. Er gibt dem Verwalter keine Chance. Er entscheidet unbarmherzig und - würde ich sagen - voreilig.

Was wundert es dann, dass der Verwalter, der Wirtschaftsleiter, betrügerisch reagiert? Er hat keine Wahl. Und er kann nur so betrügen, dass er seinen Chef noch einmal hintergeht: Hatte er schon bisher Geld unterschlagen - wie er das gemacht hat und wie viel, wird gleichwohl nicht gesagt -, so schädigt er den Eigentümer des Besitzes jetzt erst recht: Alle, die jenem etwas schulden - ja nicht ihm; er ist doch nur der Verwalter, also Sklave -, sollen frech die Schuldscheine fälschen!

Das kann nie ein Ratschlag für das Wirtschaften und unser Leben und für die Organisation der Gesellschaft sein! Was will Christus eigentlich sagen? Das muss ich fragen.

Für mich liegt die Antwort im „verständig", im „klug", womit Christus das Handeln des Verwalters kennzeichnet. Er hat „klug" und „verständig" gehandelt - entsprechend dem ungerechten System von Wirtschaft und Finanzen auf der Erde. Und dadurch hat er sich auf der Erde, in unserer Welt, Zukunft geschaffen. Denn nun werden ihm diejenigen, denen er betrügerischen Vorteil verschafft hat, weiterhelfen.

Aber solch eine Welt will Christus doch gar nicht. Für ihn ist das eine Parabel, ein Beispiel, ein Gleichnis. Er fordert uns mit diesem Beispiel auf, nicht etwa entsprechend des Systems der Welt zu handeln, sondern vielmehr schon in unserer Welt entsprechend des Systems, der Regeln des Himmels, der Welt Gottes zu handeln! Schon heute immer wieder, beispielhaft vielleicht diese Woche, so zu leben, wie es die Welt Gottes möglichen machen wird.

Das heißt, z.B. echt etwas für andere abzugeben. Nicht dauernd, nicht laufend, aber einmal eine wirkliche Spende zu geben. So hat ein Freund unserer Arbeit im Martin-Luther-Bund bei einer konkreten Herausforderung gesagt: Die Gesamtkosten für den Altar, die übernehme ich!

Das heißt - und nur das befähigt uns ja so zu handeln, so viel wegzugeben -, wirklich aus dem Bewusstsein heraus zu leben, dass uns Gott täglich unser Leben schenkt. Dass wir nicht zu sorgen brauchen. Darum geht es. Dazu will Christus uns ermutigen.

Amen.



Generalsekretär: Dr. Rainer Stahl
91054 Erlangen
E-Mail: rs@martin-luther-bund.de

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