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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 13.11.2011

Predigt zu Lukas 16:1-8, verfasst von Friedrich Weber

Liebe Gemeinde,

vor wenigen Wochen habe ich mir in die Landesausstellung Sachsen Anhalts
über "den Naumburger Meister" angesehen. Er war der Schöpfer des Westchores
im Naumburger Dom mit der berühmten Uta und all den anderen eindrücklichen
Stifterfiguren, deren Lebendigkeit und Individualität Menschen seit
Jahrhunderten fesselt.

Die Ausstellung war dabei nicht nur eine Hommage an den Baumeister und
Bildhauer, sondern auch ein Lehrstück über die Handwerkskunst des
Mittelalters. So gab es neben Skulpturen, Bauzeichnungen und
Bleiglasfenstern auch kostbare Handschriften zu sehen. Wenn man diese in
Ruhe betrachtet, die Unicialen, karolingische Miuskeln und atemberaubenden
Anfangsbuchstaben eines jeden Kapitels, dann kann man nicht umhin, zu
bewundern, mit welcher Ebenmäßigkeit die Buchstaben geschrieben sind - so
als gingen sie einher mit einer besonderen Atemtechnik oder gar einer
meditativen Grundhaltung. Dabei sind die Schreibstuben der mittelalterlichen
Klöster sicher keine so behaglichen Orte gewesen, dass man Raum und Zeit
beim Schreiben hätte vergessen können.

Ich stelle mir also vor, dass ein Mönch gleichmäßig, Strich um Strich mit
Hingabe und Andacht seine Tage verbringt, indem er die Bibel abschreibt,
Wort um Wort, Zeile um Zeile, Bogen um Bogen - darauf bedacht, keine Silbe
wegzulassen, das heilige Wort auch nicht im Allerkleinsten zu verändern. Er
wird sich zutiefst denen verpflichtet gefühlt haben, die vor ihm waren und
Wort um Wort, Zeile um Zeile abgeschrieben haben - so kunstvoll wie sie nur
konnten - damit Gottes Wort nicht verloren geht, sondern weitergesagt werden
kann, damit man ihm ansieht, wie kostbar es uns ist.

Und ich stelle mir vor: Wenn einer dann beim Lukasevangelium angekommen ist,
liegen viele, viele Stunden mit diesen Worten hinter dem Schreiber. Manches
wird ihm unverständlich gewesen sein, anderes hart und bitter, manches
Psalmgebet wurde vielleicht aus tiefster Seele beim Schreiben mitgebetet.

Und dann - eines Tages - kam er an "Beim unehrlichen Verwalter."

Warum - so muss sich der Schreiber doch gefragt haben - soll ich auch diesen
Text kopieren? Warum ist er nicht ausgelassen, beiseite gelegt, aussortiert
worden?

Welche Gedanken mögen also jenen durch den Kopf gegangen, die jeden
einzelnen Buchstaben der folgenden Geschichte gezeichnet haben, damit für
uns die folgende Geschichte erhalten und wichtig bleibt:

Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter, der wurde bei ihm
beschuldigt, er verschleudere seinen Besitz.


Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm.
"Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung, denn du
kannst hinfort nicht Verwalter sein."
Der Verwalter sprach bei sich selbst: "Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir
das Amt, graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich wei0,
was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem
Amt abgesetzt werde."

und er reif zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich und
fragte den Ersten: "Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?" Er sprach:
"Hundert Eimer ÖL" und er sprach zu ihm. "Nimm deinen Schuldschein, setz
dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach fragte er den zweiten: "Du aber,
wie viel bist du schuldig?" Und der sagte: "Hundert Sack Weizen." Und er
sprach: "Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig"
Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte,
denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder
des Licht."

Es ist eine verwirrende und ärgerliche, ja eigentlich eine ungeheuerliche
Geschichte. Wir kennen dergleichen aus unseren Zeitungen und Fernsehserien,
die nur so wimmeln von unehrenhaften Typen, die auf ihren Vorteil bedacht
sind und wenn die Sache auffliegt noch schnell einen geschickten
Drehhinlegen...

So etwas wollen wir in der Bibel nicht lesen. Das ist nicht die Art von
Geschichten, die wir unseren Kindern weitererzählen wollen.
Wozu aber ist sie erhalten und immer wieder abgeschrieben und weitererzählt
worden?

Irgendetwas daran muss denen vor uns doch so wesentlich erschienen sein,
dass diese Zeilen nicht irgendwelchen Kanonisierungsprozessen zum Opfer
gefallen sind?
Soll uns ein Spiegel vorgehalten werden? Möglichkeiten, eigene Erfahrungen
hier anzudocken, gibt es viele: Da wird einer bei seinem Chef angezählt und
verliert daraufhin seinen Job. Kein Wort, ob etwas an den Vorwürfen dran
ist. Der Blick nach hinten, die Aufarbeitung dessen was war, spielen keine
Rolle. An der Vergangenheit und all ihren Konfliktfeldern wird sich nicht
aufgehalten, weil die Zukunft alle Kräfte braucht. Ist das wichtig zu
hören - am Volkstrauertag? -   oder ist es nur ein Detail, welches die
Geschichte für ihre Dynamik braucht?
Der Verwalter jedenfalls wehrt sich nicht und das kommt wohl einem
Schuldeingeständnis gleich. Oder ist es die Resignation des
Verwaltungsmenschen, der sich stets und ständig misstrauisch beäugt fühlt
und wenig Hoffnung auf die Objektivität Dritter setzt? Das immerhin kennen
wir ja zur Genüge: Wohl wissend, dass es ordentliche Verwaltung braucht,
verdächtigen wir sie doch gern und schnell, aufgeblasen, schwerfällig und
sowieso undurchschaubar zu sein. All das scheint dieser Verwalter auch zu
ahnen.
Er widerspricht nicht und hält sich an der eigenen Verteidigung nicht auf,
sondern sorgt für seinen Ruf und seine Zukunft. Denn was soll aus ihm
werden?
Verwaltung hat er gelernt. Körperliche Arbeit traut er sich nicht zu.
Betteln mithin auf die Mildtätigkeit anderer will nicht angewiesen sein - es
wäre eine Schande.

Auch das könnte gar nicht aktueller sein: Wer heute seinen Job verliert und
keine Anstellung in dem Berufsfeld findet, von dem er was versteht, erfährt
eben dieses Dilemma: Den Lebensunterhalt dort erwerben zu wollen, wo man
nichts als guten Willen einbringen kann, andere besser sind und Erfahrung
haben, scheint wenig erfolgversprechend.
Trotzdem ist es eine Frage der Würde und des Selbstwertgefühls, ob man das
Nötige zum Leben selbst verdienen kann oder erbetteln muss - sei es auf der
Straße oder auf einem Amt. Beides bedeutet ja, vor aller Welt offenzulegen,
dass das eigene Können und Vermögen am Ende ist.
Diese Aussicht dominiert das Denken und Tun des angezählten Verwalters.
Darum sinnt er nach einer Möglichkeit, die Sache zum Guten zu wenden um
Zukunft zu gewinnen und ein erträgliches Morgen zu ermöglichen.

Er tut das - ja wie? Indem er dem was war, einen weiteren Betrug hinzufügt?
Indem er das Vermögen seines Herrn jetzt erst recht schmälert? Oder indem er
die eigene Schuld auf viele verteilt und jedem ermöglicht, seinen
Schuldschein zu manipulieren? Immerhin hackt  ja eine Krähe der anderen kein
Auge aus? Oder ist er tatsächlich ein Schelm und lässt seinen Herrn im
milden Licht dessen erscheinen, der Schulden erlässt?

Egal wie - am Ende ist der Verwalter gut raus. Die windigen Methoden haben
sich offenbar bewährt. Der Herr lobt ihn.
Soll uns das ein Vorbild und ein Geländer sein? Sollen wir es so machen, um
Gott zu gefallen? Wozu erzählt uns Lukas diese Geschichte?

Zunächst muss man wohl festhalten: wir sind am Ende des Kirchenjahres
angekommen. Heute ist Volkstrauertag. Der Tag an dem Menschen innehalten und
all des Unheils gedenken, das wir über andere gebracht haben und sich derer
erinnern, die vor der Zeit ihr Leben verloren haben. Es gibt eine Zeit im
Jahr, die uns darauf festlegt, dass wir nicht rein und gut sind, sondern
vergebungsbedürftig. Am Mittwoch ist Buß- und Bettag und am kommenden
Sonntag Totensonntag. Tage also, in denen wir auf dem Grund unserer
Endlichkeit ankommen und ansehen, was es bedeutet, sterben zu müssen,
endlich und vor allem unvollkommen zu sein.

Insofern ist es konsequent, dass dieser Text eine Figur ins Blickfeld rückt,
die uns nicht angenehm ist - wohl aber ähnlich, eben ein Kind dieser Welt.

Offenbar braucht es gerade das Befremdliche und Anstößige, damit das
Evangelium uns erreicht. Lassen Sie mich deshalb aus aktuellem Anlass einen
kleinen Sprunge machen: Am vergangenen Wochenende begann die diesjährige
EKD-Synode unter dem großen Thema: "Mission Zukunft." Angesichts kleiner
werdender Gemeinden und einer zunehmenden Konfessionslosigkeit - nicht zu
verwechseln mit Religionslosigkeit! - unserer Gesellschaft, schrieb Matthias
Drobinski in der Süddeutschen Zeitung (Mo. 7. 11. 2011, Nr. 256, : "Will die
evangelische Kirche in neuer Weise missionarisch sein ... muss sie, statt
noch betriebsamer zu werden, eine eigene Tiefe finden, eine eigene
Frömmigkeit, einen eigenen Lebensstil - zwischen dogmatischer Starre und der
Auflösung des Gottesgeheimnisses in einer Wellnes-Religiosität, in der Gott
nicht mehr ist als der beste aller Therapeuten. Sie muss sich, statt sich
sicher im eigenen Milieu zu bewegen, der Erfahrung von Fremdheit aussetzen,
die das Kennzeichen alles Missionarischen ist."

Zu dieser Fremdheit gehört, dass Gottes Urteil, seine Logik nicht der
unseren entspricht. Zu dieser Fremdheit gehört, dass Gott nicht unseren
ethischen Maßstäben recht gibt, sondern sie außer Kraft setzt.

Natürlich könnte man - mit früheren Kommentatoren - den Lukastext vom
"unehrlichen Verwalter" glätten und meinen, dass jener, indem er den
Schuldigern Schulden erlässt ,auf die eigene Gewinnspanne verzichtet.

Aber wäre das nicht mehr und nicht weniger, als diese Geschichte an unsere
Vorstellung von Gottes Gerechtigkeit anzupassen?

Ich denke, wir müssen aushalten, dass Gottes Urteil das maßgebliche ist. Er
lobt und tadelt, traut und verlässt sich  - nach seinem Willen. Das mag uns
nicht einleuchten. Das wird auch unserem Blick auf uns selbst nicht gerecht.

Das gehört dennoch zum Evangelium und ist deshalb eine gute Nachricht, weil
in jedem von uns auch etwas von diesem Verwalter ist.

Amen



Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
38300 Wolfenbüttel
E-Mail: info@lk-bs.de

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