Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 24.06.2007

Predigt zu Lukas 19:1-10, verfasst von Heinz Behrends

Vorbemerkung:
Den homiletischen oder katechetischen Märtyrer haben wir in den 70zigern Zachäus genannt. Für die Rechtfertigung mancher Appelle musste er herhalten.
Der folgenden Entwurf bemüht sich, nahe am Text zu bleiben und ihm meditierend zu folgen.
Für den Prediger am Sonntag vielleicht mehr eine Anregung als ein fertiger Entwurf.

Peter Schlemihl heißt der Mann, ein geistiger Bruder des Zachäus. Er verkauft seinen Schatten, weil er meint, ihn nicht mehr zu brauchen. Er verkauft ihn gegen einen großen Sack Gold, der nie leer wird. Doch dann stellt er fest, dass ihm etwas fehlt. Ohne Schatten weiß er nicht mehr, wo er steht, ohne seinen Schatten hat er keine Orientierung. Steht er im Licht oder woanders? Er sucht, er geht zum Magier und was weiß ich,  wohin noch überall. Ich lasse das Ende der Geschichte von Peter Schlemihl, dem Unglücksraben, einmal offen. Seine Geschichte lehrt mich, was ich alles zu tun bereit bin, ohne zu wissen, welche Folgen das hat. Geldsack gegen Anerkennung und Lebenssinn.
Rauf und runter geht es auch für den kleinen Mann, den Oberer der Zöllner. Zachäus. Er hat sich hochgearbeitet. Aber er ist klein geblieben. Irgendwann ist er da reingeraten, Karriere im Zöllnerhandwerk zu machen. Aufgestiegen und klein geblieben. Suche aufgegeben. Dollarscheine in der Pupille. Aber die Sehnsucht, Gott sei Dank, die Sehnsucht ist geblieben.
Die Neugier. Sie macht ihn zu einer der berühmtesten Gestalten der Bibel.
„Er begehrte, Jesus zu sehen."
Es gibt so ein Gefühl. Du hast alles erreicht. Du hast dafür geschuftet. Du bist erschöpft und leer. Ich will nicht weiter spekulieren. Der Erzähler tut es auch nicht. Er erzählt. Zachäus rennt der Menge voraus. Das kenn ich als Kind, wenn bei uns der Umzug zum Dorffest war.
Die Musik hinter mir, ich renne voraus, soweit, dass ich mir einen Platz suchen kann, auf die Mauer geklettert, mich einrichten und mich in Ruhe auf den Umzug freuen. Kommen Sie hier auch wirklich vorbei? Ja, da vorne um die Kurve sind schon die ersten zu sehen.
Ein kindliches Vergnügen. Der Oberer der Zöllner wird zum Kind und -rauf geht es- steigt auf einen Baum, „um ihn zu sehen."
Wieder das „Sehen". Mit Sehen hat die Geschichte ja schon angefangen. „Siehe, da war ein Mann." Die Augen wollen gereizt und angesprochen werden. Ich glaube, was ich sehe. Wer verloren hat und sucht, sucht mit seinen Augen. Wessen Seele leer ist, sucht die Welt mit seinen Augen ab. Das Sehen ist oft nicht nachhaltig, aber einfacher.
„Er sollte dort vorbeikommen." Der Erzähler bereitet kunstvoll den Kern der Geschichte vor.
Die Begegnung der beiden.
„Als Jesus an die Stelle kam". Gott hat diesen Augenblick inszeniert und gefügt. Er kommt genau an diese Stelle und „sah auf." Mich berühren die Jesus-Geschichten immer sehr, weil Jesus den Bedürftigen sieht. „Und der Vater sah ihn von ferne," den verlorenen Sohn.
Er sieht und es erfasst ihn das Erbarmen. Augen reagieren schnell. Sie erfassen die Welt unmittelbar.
Nun kommt zum Sehen das Hören. Jesus „sprach zu ihm: Zachäus".
Er nennt seinen Namen. Treffender geht es nicht. Ich werde angesprochen und verwandle mich.
Was der Name wirkt, ist mir nirgendwo eindrücklicher bewusst geworden als in dem Film von Kieslowski über das 5.Gebot. Da folgt die Kamera in der Plattenbau-Siedlung von Warschau einem sinnlos herumstreunenden Mann, der schließlich in ein Taxi steigt und in einer menschenleeren Gegend den Taxi-Fahrer brutal ermordet. Er wird geschnappt und zum Tode verurteilt. Ein junger Anwalt, dem die Todesstrafe ein Greuel ist, kämpft um ihn.
Als der Verurteilte vor seiner Hinrichtung zu einem Hofgang nach draußen geht, erblickt der Anwalt ihn von ferne und ruft seinen Namen. Das ganze aufgebaute aggressive Weltgebäude des jungen Täters bricht zusammen. Der Zuschauer ahnt. Niemals in seinem Leben wurde er vorher mit Namen genannt. Offensichtlich die Ursache für sein verwahrlostes Leben. Dein Name, du bist eine Persönlichkeit, ein Geschöpf Gottes. Du mit deiner unverwechselbaren, wenn auch elenden Geschichte, Du.
Da sind Tausende auf der Straße, aber dein Name wird laut gerufen.
„Steig eilend herunter." Rauf ging es, jetzt geht es runter, wieder mit beiden Beinen auf der Erde. Eilend. Komm her, los, überleg nicht lange. „Ich muss heute in deinem Haus einkehren." Heute. Es gibt ein Heute. Einen Augenblick, an dem sich alles versammelt und entscheidet. Wenn Jesus einkehrt, ist Heute.
Kannst du das Heute zulassen, auch wenn du das Glück ersehnst? „Ein Mensch, der nicht jeden Tag eine Stunde hat, ist kein Mensch," sagt die rabbinische Weisheit. Raum geben, und sei es für die pure Neugier. Völlig zweckfrei.
Und runter geht's. Der kleine Mann, wie ein Kind klettert er eilig herunter vom Baum.
Nichts muss er vorweisen. Keinen gepflegten Vorgarten, keine aufgeräumte Stube. Keine Vorleistung. Im Gegenteil, an seinen Händen klebt noch das schmutzige Geld, verdient durch den Zwischenhandel. Erfolg und Mühe deiner Arbeit sind keine Eintrittskarte.
Nicht mal eine besondere Haltung wird gefordert. Schon gar nicht Buße. Nicht mal eine christliche Gesinnung oder ein Taufschein werden gefordert.
Was zu sagen ist, das geschieht. Sie kehren ein. Das provoziert alle, die sich mühen im Leben.
Aber es bleibt dabei: Vor allem anderen kommt die Gnade, die Güte.
Mit Moral-Predigten holst du niemanden vom Baum. Das wissen wir von den heranwachsenden Kindern. Die Liebe allein macht es.
„Komm, Herr Jesus , sei du unser Gast." Wenn er bei mir einkehrte?  Was findet er bei dir vor?
Noch wichtiger: Wie findet er mich vor? Prall vor Energie, gelangweilt, verloren?
Zerbrechlich? Ich kann das gut vertragen, dass jemand mich sucht. Meinen Namen ruft.
Und sei es im Gebet. „Wir nennen jeden Morgen in unserem Gebet den Namen eurer Tochter," sage ich zu meinem Kollegen. Mit 16 ist ihre angeborene Hörbehinderung schleichend zu einer Taubheit geworden. Er schaut mich an, Tränen steigen in seine Augen. Es tut gut, wenn ich gesehen und genannt werde. Die Güte überwältigt Zachäus.
Doch das muss einfach provozieren. „Als sie das sahen, murrten sie." Die Zuschauer sehen auch, aber es ist ein anderes Sehen. Neid schaut aus ihren Augen.
Zachäus beeinflusst das nicht. Unter der Güte ist er selbstbewusst geworden. „Er trat vor den Herrn." Aufrecht, ihm ein Gegenüber geworden. Liebe und Güte lassen einen Menschen wachsen. Ehrgeiz macht klein.
Aus der Gnade kommt die Gerechtigkeit. Zachäus gibt zurück, was er legal, aber unrechtens erworben hat. Die Hälfte seines Besitzes, das Vierfache von allem Ergaunerten gibt er zurück.
Niemand hat ihn dazu aufgefordert.  Der Anstoß, die Liebe kommt von außen, doch die Veränderung muss aus mir selber kommen. Alles andere ist Unsinn, kurzlebig. „Die christliche Botschaft hat zwei Säulen, sagt Fulbert Steffensky diese Tage in einem Gespräch mit einem erfolgreichen Werbe-Fachmann. Das zweite ist die Gnade. Du kannst Fragment sein. Du muss nicht, wie die Werbung dir manchmal vorschwindelt, ein ganzer Mensch sein, ein jugendlicher, ungebrochener Mensch. Das erste ist die Gerechtigkeit. Es gibt keine Gotteserkenntnis ohne Gerechtigkeit.
Aus der Erfahrung der Gnade wächst die Haltung der Gerechtigkeit. So ist es bei Zachäus. Darum sagt Jesus am Ende zu ihm. „Heute ist deinem Haus Heil wiederfahren." Du bist Abrahams Sohn. Du gehörst zu mir.
Verkauft Zachäus sein Haus. Ändert er seinen Beruf? Nein, er folgt Jesus auch nicht nach.
Er lebt weiter als Zöllner, aber verändert.
Der Sammler der Jesus-Geschichten, Lukas, fügt der Erzählung die Quintessenz an. Der Menschensohn ist gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist."
Und ich schließe ganz fromm: Christus sucht dich, ob du im Erfolg steckst, ob erschöpft oder leer. Er schaut dich an. Du steigst herab auf seine Augenhöhe und saugst seine Güte auf.
Oder du lässt ihn vorbeiziehen und weitergehen. Dann hast du den Augenblick verpasst.
Und wirst weiter -ohne deinen Schatten- dein Zuhause suchen. Vielleicht ein nächstes Mal wirst du dich ansprechen lassen. Vielleicht.



Heinz Behrends
Superintendent
Entenmarkt 2
37154 Northeim

E-Mail: Heinz.Behrends@evlka.de

(zurück zum Seitenanfang)