Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 16.11.2011

Predigt zu Matthäus 12:33-37, verfasst von Günter Goldbach

 

Ein Mann, der Herrn Keuner lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert". - „O", sagte Herr Keuner und erbleichte (nach B. Brecht, Geschichten von Herrn Keuner).

Die literarisch Gebildeten unter uns wissen: Das ist einer der Kalendergeschichten von Bert Brecht. Und wir alle wissen: Das ist zunächst einmal eine Alltagsgeschichte. So reden wir uns an. Im Allgemeinen dann, wenn wir eine freundliche Bemerkung machen wollen. Das ist ein Kompliment: „Liebe gnädige Frau, Sie haben sich ja gar nicht verändert!" In der Regel fassen die so Angeredeten das auch so auf und freuen sich darüber.

Herr Keuner aber, in der Geschichte von Bert Brecht so angeredet, erbleichte. Warum? Wollte er sich vielleicht verändern? Dachte er vielleicht, er hätte es geschafft? Musste er erkennen: Es war nicht gelungen? Er war immer noch der Alte geblieben? Der, der er eigentlich nicht mehr sein wollte?!

Liebe Christen, wie ist das: Können wir uns eigentlich verändern?! Von Äußerlichkeiten einmal abgesehen. Wir werden alle nicht jünger und nicht hübscher, sondern älter und kälter, haar- und zahnloser, schrumpeliger und verkalkter. Von so etwas einmal abgesehen: Bleiben wir nicht immer dieselben, wenn man auf das Wesentliche sieht?! Bleiben wir nicht die, die wir nun einmal sind?! Ob wir wollen oder nicht?! Erweist sich das nicht an unseren Worten und Taten?!

I.

Unser Predigttext gebraucht ein Bild: Ein guter Baum bringt gute Früchte. Ein schlechter Baum bringt schlechte Früchte. Logo. Das ist die natürlichste Sache von der Welt. Wie sollte auch ein schlechter Baum etwas anderes als schlechte Früchte hervorbringen können?! Und ein guter Baum - er wird natürlich gute Früchte tragen!

Aber nun ist das ein Bild, ein Gleichnis für den Menschen. Das will sagen: In seinem Reden und Handeln erweist sich der Mensch als der, der er seinem Wesen nach ist. Ein Mensch, der seinem Wesen nach gut ist, redet und tut auch Gutes - natürlicherweise. So wie ein guter Baum gute Früchte trägt: Und ein böser Mensch kann eben auch nur Böses reden und tun. Wie ein schlechter Baum eben zwangsläufig nur schlechte Früchte hervorbringt.

Liebe Christen, nun wird es ernst! Sehen wir dieses Bildwort nicht schon auf uns zukommen als die Frage: Was sind wir selber eigentlich für ein Gewächs?! Guter oder schlechter Baum - angesichts dessen, was wir reden und tun? Daran muss man das ja ablesen können nach dem Gesetz der Logik, dem wir gefolgt sind. Wer sind wir eigentlich?! Und nun nicht nach dem, was wir nach außen hin darstellen. Was wir den anderen vorspiegeln. Sondern nach dem, was wir vor Gott und im Spiegel unseres eigenen Gewissens sind. Was kommt dabei zum Vorschein, wenn man hinter die Fassade greift?

Ist hier nun jemand, der von sich sagen könnte: guter Baum? Angesichts dessen, was er tagtäglich sagt und wie er lebt! Wirklich: guter Baum?! Angesichts der ganzen Boshaftigkeit, die wir so ganz diskret ausspucken? Und angesichts der direkten Beleidigungen, die wir einander zumuten. Wirklich: guter Baum?! Angesichts der vielen kleinen Ungenauigkeiten und auch mancher großer Betrugsmanöver, die wir geschickt in Szene setzen. Angesichts der kleinen heimlichen Treulosigkeiten und auch des großen Treuebruchs, den wir nicht verbergen können. Angesichts vieler neidischer Gedanken wie auch oft genug angesichts krassen Gewinnstrebens. Wirklich: guter Baum?! Angesichts aller Worte und Taten, die wir vor Gott und unserem eigenen Gewissen nicht leugnen können. Wirklich: guter Baum?! Müssen wir nicht vielmehr alle bekennen: Böse Worte und schlechte Taten? Also auch: schlechter Baum? Das heißt: böse von Grund auf?!

Ja, ist es nicht angesichts der Logik dieses Gedankenganges sogar völlig unsinnig, uns zur Besserung zu ermahnen, zur Veränderung aufzurufen? Wir können ja gar nicht anders sein und handeln als wir nun einmal sind! „Non possumus non peccare" = wir können gar nicht anders als sündigen, heißt es im Augsburgischen Bekenntnis unserer Kirche.

Das ist, wenn wir es einmal zusammenfassen, unser scheinbar unabänderliches Verhängnis: Wir müssen scheitern mit unserem Leben! Essentiell, weil wir unfähig sind zum Guten. Und existentiell, weil unser Leben am Ende zerbrochen wird im Tod und im Gericht.

Denn das erfahren wir ja auch in unserem Predigttext: Wir müssen Rechenschaft abgeben am Tage des Gerichts (v 36). Also: Vor Gott werden wir verurteilt für alles Böse, das wir gesagt und getan haben. Obwohl wir doch eigentlich gar nicht die Wahl hatten zwischen Gut und Böse! Wir konnten doch gar nicht anders handeln, als wie wir sind! Es konnte doch gar nichts anderes herauskommen bei unserer Disposition!

Dennoch schuldig? - Ja! Weil wir das Schuldig-sein am Schuldig-werden nicht leugnen können! Weil wir, obwohl wir so sind, wie wir sind, dennoch für die eigene Existenz verantwortlich zeichnen!

Liebe Christen, wenn man diese Gedanken zu Ende denkt: Können sie einen nicht zur Verzweiflung treiben? Erweist sich nicht als wahr, was schon auf den ersten Seiten der Bibel steht (1. Mose 3, 5): Es ist lebensgefährlich vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen zu essen? Kann, wer davon isst, etwas anderes erkennen al sich selbst in der unrettbaren Gefangenschaft des Bösen? Hat nicht Martin Luther recht, der es klassisch so formuliert hat:

„Dem Teufel ich gefangen lag, / im Tod war ich verloren, / mein Sünd' mich quälte Nacht und Tag, / darin ich war geboren. / Ich fiel auch immer tiefer drein, / es war kein Guts am Leben mein, / die Sünd hatt' mich besessen.

Mein guten Werk die galten nicht, / es war mit ihn' verdorben; / der frei Will hasste Gott's Gericht, / er war zum Gut'n erstorben; / die Angst mich zu verzweifeln trieb, / dass nichts denn Sterben bei mir blieb, / zur Hölle musst ich sinken" (EG 341, 2+3).

II.

Aber nun müssen wir eine Gegenrechnung aufmachen. Und das ist jetzt kein billiger Trick. Es ist bei Licht besehen unsere einzige Chance, unsere letzte Hoffnung. Wer gebraucht denn eigentlich dieses Bildwort von dem guten und dem schlechten Baum? Das ist ja der, der in diese Welt gekommen ist, nicht um uns ein unabänderliches, auswegloses Schicksal bekannt zu machen. Da ist doch der, der gekommen ist, um uns zu retten! Uns zu befreien aus der Gefangenschaft des Bösen!

Dabei können wir uns ganz sicher sein: Jesus hazt schon gewusst, was mit uns los ist. Er hat natürlich gewusst: Unsere bösen Worte und Taten sind kein bedauerlicher Betriebsunfall, sondern „Frucht", Offenbarung unseres gottlosen Wesens. Jesus hat sich gewiss keine Illusionen darüber gemacht, aus bösen Menschen könnten gute werden - wenn man sie nur deutlich genug ermahnt; wenn man ihnen nur eindringlich genug die drohende Konsequenz des göttlichen Gerichts vor Augen hält. Jesus hat bestimmt gewusst: Das alles nützt gar nichts!

Aber Jesus hat etwas von sich selbst gewusst: seine Herkunft aus Gott, also aus der Quelle des Guten. Und er hat seinen Auftrag gekannt: durch stellvertretendes Leiden ein Lösegeld zu bezahlen für die Befreiung des Menschen aus der Gefangenschaft des Bösen. Das nennen wir in der Kirche die iustificatio impii propter Christum = die Rechtfertigung des Gottlosen um Christi willen. Das bezeichnen wir als forensische Rechtfertigung: Also das fremde Gute, den Tod und das Leiden seines Sohnes, will Gott uns zugute halten. Und wenn wir uns das gefallen lassen, dann will er uns nichts anderes (!) als eben dieses Gute anrechnen. Gnade soll vor Recht ergehen! Das ist das ganze Heil!

Und dieses Heil ist nicht nur ein zukünftiges und jenseitiges. Es ist schon jetzt, schon hier zu haben! „Non possumus non peccare": wir können nicht anders als sündigen - ich habe das schon aus unserem lutherischen Bekenntnis zitiert. Dieser Satz geht noch weiter: „Non possumus non peccare, nisi renascantur per baptismum et spiritum sanctum" = Wir können gar nicht anders als sündigen, es sei denn, wir werden noch einmal geboren durch die Taufe und den Heiligen Geist! Wir können andere, wesenhaft andere Menschen werden durch die Verbindung mit Christus!

III.

Umkehren, Buße tun heißt also nicht: unsere Worte und Taten ändern wollen. Das packen wir gar nicht! Umkehren, Buße tun heißt Gott bitten, er wolle um Christi willen einen neuen Menschen aus uns machen! Den Wesensgrund unseres Seins wolle er verändern! Damit hat er auch schon angefangen. Das Wichtigste ist schon passiert: in der Taufe. Und nun kommt es darauf an: Der neue Mensch, der gute Baum, muss in uns wachsen! Die guten Früchte ergeben sich dann ganz von selbst.

Liebe Christen, das ist eine wunderbare Sache, das ist das Evangelium, die frohe Botschaft am Bußtag:

„Gesegnet ist der, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht der Herr ist. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hinstreckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchte er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern bringt ohne Aufhören gute Frucht". Amen.

 



Dr. Dr. Günter Goldbach
49088 Osnabrück
E-Mail: guenter.goldbach@uni-osnabrueck.de

(zurück zum Seitenanfang)