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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 16.11.2011

Predigt zu Matthäus 12:33 – 35 (36 – 37), verfasst von Reiner Kalmbach

 

 

Barmherziger Gott, speise uns mit deinem Wort, dass wir stets in ihm leben. Amen.

Liebe Gemeinde:

Auch wenn in der Volkskirchengeschichte am Bußtag die von der Öffentlichkeit begangenen Verirrungen und Fehler im Mittelpunkt standen, und die christliche Gemeinde an ihrer Stelle und sozusagen solidarisch Busse tat, ist das heute nicht mehr so. Auch könnte es den Anschein haben, dass das Wort, auf das wir heute hören werden, gegen Jesu Widersacher gerichtet ist. Jesus hat sich ja immer wieder mit Pharisäern und Schriftgelehrten angelegt. Wir stünden aber dann in der Gefahr mit dem Finger von uns auf andere zu zeigen. Wir hätten uns wahrscheinlich gerade im Sinne von Jesu Worten erst recht schuldig gemacht. Nein, der Bußtag hat immer mit uns selbst zu tun, mit mir selbst! Busse geschieht immer nur da, wo sie meine Busse ist. Ich soll anders werden, wir sollen es! Nein!, das ist auch falsch...: mir wird, uns wird eine Chance dazu gegeben. Dieser Tag ist eine Gelegenheit: wir können sie nutzen, oder (wieder einmal) verstreichen lassen.

Hören wir nun dieses Wort, ein hartes und deutliches Wort Jesu: es steht im Matthäus-Evangelium, im 12. Kapitel, die Verse 33 - 37

Textlesung

Gerade kommen wir aus dem Monat der Reformation und haben noch den Nachklang der Rechtfertigung allein aus Gnaden in den Ohren, da ändert sich die Tonlage urplötzlich: nun ist von den Werken die Rede, und vom Gericht über die selben, wie schon an den letzten beiden Sonntagen. Und heute gar von den Worten. Eigentlich sagt uns Jesus da nichts neues, wir wissen, was unsere Worte ausrichten können, wir benutzen unsere Worte mal als Balsam, mal als Waffe, mal als Schutzschild, mal als Deckmantel. Aber Jesus geht es um etwas anderes, um den Ursprung unserer Worte, um das „warum" und „woher" sie kommen. Er steckt den Finger in die Wunde und sagt mir: das bist du! Hier steht das Wort im Mittelpunkt, weil Mensch und Wort (Sprache) zusammen gehören: Worte verbinden, trennen, Worte richten auf, oder zerschmettern, Worte versöhnen, oder sie verdammen, Worte segnen und sie zerstören, Worte bauen Brücken zwischen Menschen und Völkern, oder brechen sie ab. Durch mein Wort lasse ich den anderen in mein Herz schauen und suche Zugang zu seinem Herzen. Und wie Gott selbst uns anredet durch und in seinem Wort, so suchen wir Kontakt zu ihm im Gebet, im Gesang, im Bekenntnis, im Dank.

Wir wissen nur zu gut, was ein Wort alles anrichten kann. Das gesprochene Wort kann ich nicht mehr zurücknehmen, ich kann es nur anerkennen und um Vergebung bitten.

Wir merken, Wort und Tat sind nicht so weit voneinander entfernt, wie wir vielleicht denken. Unser Tun besteht zu einem nicht geringen Teil im Reden.

Aber das ist noch nicht alles: da ist vom „nichtsnutzigen Wort" die Rede, im Urtext heißt es „werk-losen", d.h. dass unser Wort oft leeres Gerede ist, oder dass wir mit diesem Wort etwas vortäuschen, von etwas ablenken...Wie oft ist mir so gar nicht zum Gespräch mit anderen Menschen zu mute, würde mich am liebsten irgendwo verkriechen, oder meinem Zorn, meiner Meinung freien Lauf lassen. Statt dessen gehen mir die freundlichen Worte wie geölt von der Zunge.

Vor wenigen Wochen ging bei uns in Argentinien der Präsidentschaftswahlkampf zu Ende. Es erstaunt mich immer wieder, wie es manche Politiker fertig bringen den Leuten das blaue vom Himmel zu versprechen, ohne dabei rot zu werden. Es werden Versprechungen gemacht, obwohl sie genau wissen, dass sie niemals eingelöst werden können. Und das schlimme ist: die Menschen wissen es! Und trotzdem erhält der Politiker der am meisten lügt, die meisten Stimmen.

Unsere Worte „bewirken" immer etwas, unsere Worte „tun". Aber auch: unsere Worte sind leer, sind nur „Schall und Rauch". Die letzten beiden Verse unseres Abschnitts machen es deutlich: wir werden beim Wort genommen! An dem, was wir so klug, so korrekt, so ernsthaft daher reden, wie wir versuchen andere zu manipulieren, Dinge zu vertuschen, unsere Lügen..., wir werden daran gemessen.

Am Anfang lässt Jesus beide Möglichkeiten offen: es mag ja durchaus geschehen, dass Reden und Tun übereinstimmen, dass wir aus unseren Worten „gerechtfertigt" werden: der gute Baum könnte gute Früchte bringen, aus dem guten Schatz (Herzen) könnten auch gute Worte hervorgehen. Aber es könnte auch das Gegenteil geschehen: unsere Schönrede und unser Übel tun stehen sich gegenüber: wir wissen, um was es geht, aber wir tun es nicht. Wir reden von Solidarität, von der bedingungslosen Nächstenliebe, vom Einsatz für die Menschenrechte, ja, wir wissen, wie wichtig all diese Werte sind, aber wir tun sie nicht. Darin liegt unsere eigentliche Schuld.

Nun könnten wir lernen unsere Worte im Zaum zu halten, und peinlich darauf zu achten, dass keine Widersprüche zwischen Wort und Tat entstehen (diese „Übung" würde so manchem Zeitgenossen wirklich gut tun...). Aber darum geht es gerade nicht!, es geht eben nicht um die Einhaltung von Verhaltensregeln. Wir sollen nicht unsere Worte und Gedanken zensieren, was würde sich dadurch schon ändern?!

Sondern: es muss in uns etwas geschehen, es muss da drinnen etwas geändert werden. Die Erneuerung muss aus der Mitte, aus dem Herzen kommen.

Und dieser Erneuerung voran geht die Busse, deshalb sind wir heute hier versammelt. Es geht nicht um eine pädagogische, also erzieherische Veränderung, wir sollen nicht die Fassade verändern. Es geht um die ganzheitliche Erneuerung, wie sie nur das Evangelium bewirken kann. Jesus weiß, dass wir unsere Taten nicht von unserem Sein lösen können. Das wäre praktisch. In Südamerika werden wir von Kirchen und Sekten überschwemmt die gerade das predigen: das Böse in dir bist nicht du, es ist der Satan, ergo treiben wir ihn aus und der Fall ist erledigt. D.h. ich bin nicht selbst verantwortlich.

Aus dem Herzen kommen die argen Gedanken, aus der Mitte unseres Seins. Die Tat kann nicht getrennt von unserem Sein gesehen werden. Darum muss die Sünde bis in ihre Wurzeln hinein verfolgt und dann auch mit den Wurzeln ausgerottet werden. Darum geht es Jesus bereits in der Bergpredigt. Ist das Auge böse, dann ist der Leib finster. Die Sünde betrifft den Menschen immer in seiner Ganzheit.

Das sind starke Worte!, aber wenn wir in Ruhe darüber nachdenken, dann werden wir erkennen, dass es so ist.

„Wes des Herz voll ist, des geht der Mund über.", wir wenden dieses Jesuwort als Sprichwort im allgemeinen bei freudigen Ereignissen an. Ja, es stimmt: wer ein volles Herz hat, kann, was er denkt, nicht für sich behalten. Die Frage die in Jesu Wort mitschwingt ist aber: wovon ist das Herz voll?!

Ich kann nur so reden, wie ich bin. Anders reden und anders werden, müsste demnach durch eine „Grunderneuerung", oder gar durch eine „Neuschaffung" erreicht werden: im Herzen und vom Herzen aus! Nur: wie komme ich zu einem neuen Herzen?

Im Grunde gibt uns Jesus in diesem Abschnitt darüber keine Antwort. Er stellt nur fest und zeigt die Konsequenzen auf. Deshalb müssen wir jetzt das Evangelium abklopfen.

Zur Busse kommt es, indem ich erkenne wer und wie ich bin. Und da stehe ich nun, ich armer Tropf..., und höre das Evangelium von der Liebe Christi.

Und dann lasse ich innerlich Bilder und Beispiele an mir vorüberziehen: Jesus und Nikodemus und der Rede von der neuen Geburt, aus dem Geist, von der neuen Kreatur, vom Sterben und Auferstehen...Das heißt doch: etwas kommt von außen und nimmt Besitz von mir. Ich werde nicht einfach nur umgepolt, umfunktioniert, einer neuen Bestimmung übergeben, neue Gedanken, neue Weltanschauung, neue Worte...Nein, Jesus kommt zu mir, sozusagen „von oben", wie es einst am Jordan mit Jesus selbst geschah. Auch an mir geschieht etwas, das nicht „von dieser Welt" ist. Der Glaube ist nicht logisch zu erklären, wie er zu mir kommt, bleibt ein Geheimnis, ein „Mysterium".

Dennoch offenbart sich dieser Glaube in ganz weltlicher Weise: Mein Herz, mit allem, was es erfüllt, hat einen neuen Haltepunkt bekommen, eben in Jesus. Der, der das letzte Wort über mir spricht, ist an mir persönlich interessiert und nimmt mich an, so wie ich bin. Er lädt mich ein, mich ihm fröhlich anzuvertrauen. Indem Jesus für mich ist, ist Gott für mich. Indem Jesus für uns ist, ist Gott für uns! Nichts kann uns mehr von seiner Liebe trennen.

Ich denke nicht, dass mir meine Lebenserfahrung einen Streich spielt: all unsere Aggressivität in Worte verpackt, all die Versuche zu vertuschen, zu demütigen, all die Bosheiten die unserem Munde entschlüpfen, die kleinen und großen Lügen, die Halbwahrheiten, die Versprechungen, all die Worte die Neid offenbaren, Hass (Menschenhass), die verletzenden Worte, kommen doch aus einem Ur-Grund in dem es keine wirkliche Hoffnung, keine wirkliche Lebensfreude geben kann: Gott will aber fröhliche Menschen, Menschen die in Hoffnung leben und diese auch zum Ausdruck bringen möchten. Eben dies können wir sein, wenn wir Christus entdecken. Dazu gehört: Er hat all unsere Sünden vergeben. In diesem Gottesdienst, am Bußtag geschieht es wieder: was uns belastet, wird durchgestrichen. Und: der gute Baum ist eigentlich er, Jesus selbst!

Indem Jesus in unser Leben eingeht und wir ins seine eingehen, entsteht das Neue, das er uns zugedacht hat. Wenn wir wirkliche Freude darüber empfinden können, löst sich alles andere von selbst.

Amen.



Pfarrer Reiner Kalmbach
Allen Patagonien/Argentinien
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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