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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag / Letzter Sonntag im Kirchenjahr, 20.11.2011

Predigt zu Lukas 12:42-48, verfasst von Ulrich Kappes

 

Liebe Gemeinde,

vor 70 Jahren hielt sich Dietrich Bonhoeffer im Kloster der Benediktinermönche in Ettal auf. Im März des Jahres 1941 wurde ein „Druck- und Veröffentlichkeitsverbot" ihm gegenüber ausgesprochen. In Deutschland lief die Deportation der Juden weiter und ca. einhunderttausend Menschen mit einem sog. „lebensunwerten Leben" wurden trotz kirchlicher Proteste getötet.1

Worum geht es in der Kirche und in der Lehre der Kirche an zentraler Stelle? Bonhoeffer

schrieb auf Zetteln seine Gedanken nieder. Vier Jahre nach seinem Tod setzte sein Freund Eberhard Bethge diese Zettel zusammen und veröffentlichte sie als „Ethik", eine Anleitung zum Handeln aus dem christlichen Glauben heraus.

Bonhoeffer sagt hier, dass jeder von uns Träger eines Auftrages, eines „Mandates", ist.

Wird ein Mensch als Abgeordneter gewählt, erhält er von seinen Wählern ein Mandat, ihre Interessen in allem zu vertreten. Ist ein Mensch ein Christ, so Bonhoeffer, so erhält er von Gott ein Mandat, die „Sache Gottes" in allen Lebensbereichen zu vertreten. Bonhoeffer kennt vier Mandate für Christen: Arbeit, Ehe, Obrigkeit, Kirche.2

Wollen wir „Abgeordnete Gottes" sein, oder spricht hier jemand Forderungen aus, mit deren Vollmundigkeit wir nichts Rechtes anfangen können?

Es ist, liebe Gemeinde, Ewigkeitssonntag. Das Thema der Ewigkeit, das uns ja jeden Sonntag beschäftigt, wird heute verbunden mit dem Gedenken an unsere Entschlafenen. Wir erinnern uns an sie und sprechen von der Ewigkeit, die ihnen verheißen ist.

Werden wir, werden sie in der Ewigkeit vor Gott bestehen? Der Predigttext dieses Sonntages spricht von wahr genommener und nicht wahr genommener Verantwortung und ihren Folgen. Er hat leider eine, wenn ich so sagen darf, teilweise etwas brutale Sprache.3 Jesus sagt Worte, wie wir sie sonst von ihm nicht kennen. Das möge uns, so hoffe ich, nicht abhalten, nach der Botschaft dieser Worte an uns zu fragen.

Lukas 12, 42 - 48

42 Und der Herr sprach: Wer also ist der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzen wird, dass er zur rechten Zeit das Lebensnotwendige austeile? 43 Glücklich der Knecht, den sein Herr bei seinem Kommen so tun finden wird! 44 In Wahrheit sage ich euch: Er wird ihn über all seine Güter setzen. 45 Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen spricht: Mein Herr verspätet sich und kommt nicht, und er begänne die Knechte und Mägde zu schlagen, zu essen, zu trinken und sich zu berauschen, 46 so wird der Herr jenes Knechtes an einem Tag kommen, da er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und er wird ihn entzwei hauen und ihm seinen Teil geben mit den Ungläubigen. Jener Knecht aber, der den Willen seines Herrn gekannt und nichts vorbereitet und nicht nach seinem Willen getan hat, wird schwer geschunden werden; 48 der es aber nicht wusste und tat, was Schläge verdient, nur wenig. Von jedem, dem viel gegeben wurde, wird viel verlangt werden, und von dem, dem sie viel anvertraut haben, werden sie um so mehr fordern. 4

 

Ein Hausherr, eine Art Gutsbesitzer, übergibt einem Menschen seinen Besitz zum Verwalten, während er auf Reisen ist.

Vier Verhaltensmöglichkeiten eines Verwalters werden geschildert, wie dieser sein Mandat der Hausverwaltung ausüben kann. Ein- und dieselbe Person kann, so das Gleichnis, in vier verschiedenen Weisen ihr Amt ausüben.5

Die erste Verhaltensform wird mit den Worten „klug und treu" überschrieben. Ein Mensch

arbeitet mit großem Geschick, gibt der Dienerschaft zur rechten Zeit, was sie zum Leben braucht. Seiner umsichtigen Art ist es zu verdanken, das das Haus des Besitzers gut verwaltet wird bis zu dem Tag, da dieser zurückkehrt. Er wird nun nicht mehr nur über ein Haus gesetzt, sondern über den gesamten Besitz des Hausherrn.

Die zweite Verhaltensform steht in schärfstem Kontrast zu dem, was wir eben hörten.

Hier rechnet einer ganz und gar nicht mit der Rückkehr seines Arbeitgebers. Er lässt sozusagen alles Böse aus seinem bösen Herzen heraus, schlägt Knechte und Mägde, isst und trinkt maßlos, so maßlos, dass er betrunken ist. Man fühlt sich an einen russischen Roman aus der Zarenzeit erinnert. Der Fürst ist auf Reisen und sein Verwalter benimmt sich wüst und abstoßend.

Gleitet ein Mensch in die dritte Verhaltensform ab, so ist er ein Verwalter, der den Willen seines Herrn zwar kennt, auch weiß, dass er überraschend zurück kommen kann. Er ist aber, wie es heißt, „nicht bereit" den Willen seines Herrn in praktisches Handeln umzusetzen.

Die Psychologen warnen uns davor, wichtige Themen zu verdrängen. Es komme vielmehr darauf an, mögliche Überraschungen im Auge zu behalten, sich ihnen zu stellen und sie ja nicht zu verdrängen. Im dieser dritten Verhaltensform wird stur verdrängt, wird weg geschoben, dass es Rechenschaft vor dem Hausherrn abzulegen gilt.

Die vierte Weise, Hausverwalter zu sein, besteht darin, die Existenz des Hausherrn zu leugnen. Es ist nicht sein Haus, das weiß er, er hat es nicht gebaut, er soll hier arbeiten. Er macht dies, aber er kennt seinen Herrn nicht, seine Vorstellungen und Forderungen und will ihn offenbar auch nicht kennen lernen. Er leugnet schlicht die Existenz eines „Herrn". Herr ist er selber.

Was kennzeichnet den ersten Hausverwalter, die erste Verhaltensform, ein übergebenes Haus zu verwalten?

Wir müssen noch einmal ganz genau hinhören. Seine vorbildliche und von seinem Herrn gelobte Arbeitsweise besteht darin, dass er der „Dienerschaft" zur rechten Zeit ihre Kost - Ration, was auch immer das ist, gibt.

Ein guter Hausverwalter, so die Logik dieses Satzes, kann warten, bis der geeignete Zeitpunkt gekommen ist und dann die Dienerschaft erhält, was sie braucht. Gibt er zu wenig oder kein Essen, hungert oder verhungert die Dienerschaft. Gibt er zu zeitig und zu viel zu essen, so schwindet der Arbeitselan. Es hängt alles vom richtigen Zeitpunkt und von dem richtigen „Teil", den jeder erhält, ab.

„Treu und klug" ist dieser Hausverwalter nicht, weil er gute Arbeitspläne macht, weil er die Belegschaft motiviert, weil er, bereit ist Verantwortung zu tragen. Das wird alles offenbar voraus gesetzt. „Treu und klug" ist er, weil er die rechte Zeit zu finden und die angemessene Ration zu geben in der Lage ist.

Das Gleichnis ist, so wie wir es bisher auslegten eine „Weisheitsrede". Was bedeutet sie?

Ein guter Verwalter seines Lebenshauses:

- gibt von „dem Seinen" ab, wenn es ein Mitmensch zu seinem Leben wirklich braucht;

- spricht das, was zu sagen ist, wenn aus seiner Sicht die Umstände günstig sind;

- greift dann durch, wenn die äußeren Umstände es nahe legen ...

Sein negatives Spiegelbild sind die anderen Verwalter, Menschen mit Unwissen und Unkontrolliertheit.

Wer sagt ihm, wann der richtige Zeitpunkt ist? Geben wir darauf die Antwort, so verlassen wir die Ebene der Weisheitsrede und dringen vor zum eigentlichen.

Wer oder was leitet ihn? Es ist der „Wille des Herrn", den er kennt, den er nicht verdrängt oder gar bewusst ignoriert hat. Das macht den Unterschied zu den anderen, verworfenen Verhaltensformen. „Der Wille des Herrn" lebt in ihm, wie ein Herz im Körper, wie eine Quelle unter der Erde, wie die Kraft eines Magneten, der die Kompassnadel immer in die wahre Richtung zeigen lässt.

Dieser „Willen des Herrn" macht ihm klar, dass dieses Verwalten des Lebenshauses das eine ist. Es gibt die Menschen, die Planung, die Abrechnung, das Werkzeug ... Das hat alles seinen Wert. Es ist aber nicht ‚der Herr', es ist nicht groß, es ist nicht entscheidend. Groß und entscheidend ist der Herr, der vor seinem inneren Auge steht. Diesen Herrn liebt er und seine Wertschätzung geht ihm über alles. Es gilt, sich ein Leben lang vor diesem Herrn zu bewähren ... bis endlich der Tag kommt, da er ihn von Angesicht zu Angesicht sieht.

Wir haben vor knapp zehn Tagen den ökumenischen Martinstag gefeiert.

Martin ist Soldat unter Soldaten und reitet in seiner Kohorte aus. Da sieht er am Straßenrand einen Mann, der zu erfrieren droht. Martin weiß, dass er jetzt oder nie handeln muss, um sich als Mensch und Christ zu bewähren. So teilt er seinen Mantel. Den ganzen Mantel zu geben, hätte bedeutet, er wäre selbst unbekleidet gewesen. Er findet ein Maß des Gebens. Er gibt dem „da unten" den Teil, der auch ihn überleben lässt. Mehr nicht. Martin bleibt auch auf dem Pferd sitzen, er bleibt, wer er ist. Er macht sich nicht dem Bettler gleich.

St. Martin ist aus meiner Sicht eine nahezu perfekte Wiedergabe dessen, was Jesus uns in unserem Bibeltext nahe legen will: Der gute Verwalter seines Lebenshauses ist der, der zur rechten Zeit das Lebensnotwendige austeilt.

Bringe ich Bonhoeffer und dieses Gleichnis zusammen, so heißt es, dass wir in allen vier Mandatsbereichen: Arbeit, Ehe, Obrigkeit, Kirche mit dem Willen Gottes in unseren Herzen gerufen sind, zur rechten Zeit das Lebensnotwendige für die uns anvertrauten Menschen zu tun.

Im Rahmen des „Mandates Obrigkeit" trat Bonhoeffer in den Kreis der Widerstandskämpfer um Oberst von Stauffenberg ein und beteiligte sich, wenn auch nicht in erster Frontlinie, an der Durchführung des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.

Aus der Gefängniszelle schriebt er an seine Weggefährten Hans von Dohnany und Hans Oster als Weihnachtsgeschenk 1944 ein Essay. Darin ist zu lesen:

„Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wasser gewaschen, wir heben die Künste der Verstellung und mehrdeutigen Rede gelernt, ... wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden - sind wir noch brauchbar?"6

Bonhoeffer meinte, sich als kluger und treuer Hausverwalter seines Herrn Jesus Christus verhalten zu haben und darum das Doppelspiel des Widerstandskämpfers auf sich genommen zu haben - um dann zu fragen, ob er für das Leben überhaupt noch brauchbar sei.

Das, liebe Gemeinde, ist es, womit ich das Evangelium vom klugen und treuen Hausverwalter ergänzen möchte. Es gilt alles zu tun, um die aufgetragene Haushalterschaft „klug und treu" zu praktizieren, und es gilt in gleicher Weise, mit Bonhoeffer und anderen, nicht den Blick dafür zu verlieren, dass wir irren und trotz bestem Willen Fehler machen, abgleiten können in jene Verhaltensformen zwei bis vier aus unserem Gleichnis.

Ob am Jüngsten Tag oder nach unserem Tod - das läuft auf das Gleiche hinaus - werden wir in Christus einem Richter begegnen, der will, dass wir hier so leben, dass wir dort einmal „glücklich" sein werden.

    



Pfr. em. Dr. Ulrich Kappes
14943 Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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