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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag / Letzter Sonntag im Kirchenjahr, 20.11.2011

Predigt zu Lukas 12:42-48, verfasst von Paul Kluge

Lk 12, 42 - 48

Lukas war nach dem Abendessen in den Garten gegangen. Noch war das möglich, und das wollte er nutzen. Der Winter würde ihn lange genug von seinem geliebten Platz unter dem Feigenbaum fern halten. Er hatte sich von seiner Frau unbemerkt – oder hatte sie nur so getan? - einen Becher Wein mitgenommen, um mit dessen Hilfe sein Tagewerk zu bedenken.

Er war an diesem Tag zügig vorangekommen mit seinem Jesus-Buch. Dabei hatte ihm eine Sammlung von Sprüchen geholfen, die er immer wieder zu Rate zog. Teile davon übernahm er wörtlich, andere formulierte er um, und manchmal flossen seine eigenen Gedanken ein.

Lukas hatte an jenem Tag damit begonnen, aus dieser Spruchsammlung eine lange Rede zu komponieren und darin die Lehre Jesu zusammenzufassen. Kleine Gleichnisse hatte er darin untergebracht und gleich gedeutet, und um das Ganze etwas lebendiger zu gestalten, hatte er Jünger und andere Zuhörer Fragen stellen lassen. Die gliederten die Rede und schafften Übergänge von einem Thema zum anderen.

Bevor seine Frau zum Essen rief, hatte Lukas noch schnell notiert, was Jesus über einen Hausherrn gesagt hatte, der nicht weiß, ob und wann ein Dieb kommt: Ein Aufruf zur Wachsamkeit. Dieses kurze Gleichnis, das aus nur einem Satz bestand, wollte Lukas anschließend erklären, und über das Wie jetzt nachdenken. Dafür nahm er erst einmal einen guten Schluck aus seinem Becher und ließ seinen Gedanken ihren Lauf. Durch das offene Fenster hörte er seine Frau in der Küche hantieren.

Er müsste, dachte er, betonen, dass Christen sich nicht zu fürchten brauchten, weder vor zunehmend drohender Verfolgung durch den römischen Staat, durch das „Reich der Welt“, noch und erst recht nicht vor dem Beginn des Reiches Gottes, dem „Reich der Himmel“

Er konnte sich die Angst vieler Christen vor ihrem Ziel nicht erklären, hingegen fand er die Angst vor Verfolgung durch den römischen Staat verständlich und begründet. Doch Angst vor dem Reich Gottes, voller Friede und Gerechtigkeit – weshalb sollte man das fürchten! „Aber so sind die Menschen nun einmal“, dachte Lukas, „die unbekannte Zukunft macht ihnen mehr Angst und Sorge als die bekannte Gegenwart – und sei sie noch so trübe.“

Lukas setzte sich auf eine Bank, die unter dem Feigenbaum stand, stellte den Becher neben sich, lehnte sich gegen den Stamm, faltete die Hände vor seinem Bäuchlein und schloss die Augen. Die Geräusche des Abends verschwammen zunächst, dann verschwanden sie – Lukas schlief ein.

Als er dann seinen Namen hörte, musste er sich erst einmal sortieren. Seine Frau stand in der Tür, im Dunkel hinter ihr stand noch jemand. „Lukas, dein Besuch ist da!“ - „Was für ein Besuch?“ fragte Lukas etwas irritiert zurück. Seine Frau trat einen Schritt zurück,  ein junger Mann trat aus dem Haus in den Garten und Lukas erinnerte sich dunkel: Dieser junge Mann – wie hieß er denn  noch? - war in den Ältestenrat berufen worden und hatte Lukas um Beratung gebeten. Sie hatten sich, vermutete Lukas, wohl für diesen Abend verabredet. 

Die Situation war ihm peinlich. Der junge Mann in sauberer Toga, Lukas in schmuddeliger Tunica; frisch und munter der Gast, verschlafen der Gastgeber; neben Lukas ein Becher Wein, aber kein Begrüßungstrunk für den Besuch.

Leicht ächzend erhob sich Lukas, und er ächzte nicht nur wegen seiner alten Knochen. „Ihr habt mich wohl nicht erwartet?“ fragte der junge Mann etwas pikiert, „aber ich hatte euch doch gesagt, dass ich wegen anderer Verpflichtungen die genaue Stunde nicht angeben konnte.“ - „Ja, ja, ich erinnere mich,“ behauptete Lukas und versuchte sich zu erinnern, „aber ich hatte so viel um die Ohren, dass ich mich noch nicht vorbereiten konnte.“ Er könne auch wieder gehen, schlug der junge Mann etwas ärgerlich vor, auch er habe noch anders zu tun.

Doch da kam schon die Frau des Lukas aus der Tür, brachte eine Schale mit Obst, einen Becher Wasser für den Gast und über dem Arm eine frische Toga für ihren Mann. Ob er denn schon zu Abend gegessen habe, fragte sie den Besuch,  ein schönes Stück Lammfleisch sei noch warm, und ein frischer Salat sei schnell gerichtet. Der junge Mann nahm an, und Lukas bot ihm einen Platz auf der Bank an. Entschuldigte sich noch einmal und war erleichtert, als die Gesichtszüge des Gastes sich entspannten.

Worum es ihm den ginge, fragte Lukas seinen Besuch, und erfuhr, dass der junge Mann als Gemeindeältester demnächst im Gottesdienst predigen solle. Er hörte von der Sorge des jungen Mannes um die Zukunft der Gemeinde. Besonders, was Paulus über die nahe Wiederkunft des Herrn geschrieben habe, führe zu Verunsicherung und Zweifel. Immer mehr Menschen stürben mit enttäuschter Erwartung, und viele Lebende rechneten schon gar nicht mehr mit seiner Wiederkunft. „Sie richten sich in dieser Welt ein, als gäbe es keine andere“, sagte der junge Mann, „und sie vergessen darüber, sich auf die andere Welt vorzubereiten.“

Lukas wusste darauf nichts zu sagen und schwieg, den Blick in die Ferne gerichtet. Der Besuch hob ein herabgefallenes Blatt auf und drehte es zwischen Daumen und Zeigefinger. Als Lukas sich schließlich räusperte, schnipste er das Blatt weg.

„Mir scheint,“ begann Lukas, „unsere Leute, also, wir Christen vergessen, dass wir durch unser Bekenntnis zu Jesus, dem Christus, und durch die Taufe bereits Bürger und Bürgerinnen des Reiches Gottes sind. Dass wir in dieser Welt ein Zeichen setzen können und sollen für eine andere, bessere Welt. Dass diese andere Welt ein lohnendes Ziel ist, auf das wir uns freuen dürfen.“

„Doch unsere Leute haben Angst vor der Zukunft“, warf der junge Mann ein, „das ist doch ein Zeichen von kleinem Glauben!“

Das sei es wohl, bestätigte Lukas, und er könne sich das zum Teil aus den gegenwärtigen schlechten Zeiten erklären, zum Teil aber auch daraus, dass manche den Apostel Paulus nicht ganz verstanden hätten.

„Wie meint ihr das?“ fragte der Gast, „Paulus schreibt doch nichts, das einem Angst machen kann!“ Lukas stimmte zu und führte aus, dass manche Prediger einzelne Paulusworte benutzten, um damit den Gemeindegliedern Angst zu machen; Angst mache die Menschen regierbarer. Der Kaiser, seine Beamten und Soldaten zeigten das ja tagtäglich. „Wer herrschen will, kann von Rom viel lernen“, beendete Lukas seine Ausführungen, denn seine Frau brachte das Essen für den Gast. Damit der nicht allein essen müsse, hatte sie auch für ihren Mann noch eine kleine Postion zubereitet. Dankbar strahlte er sie an.

Während des Essens fuhr Lukas fort: „Ich finde in den Briefen des Paulus zwei unterschiedliche Vorstellungen. Die eine ist die, dass unser Herr kommt, um sein Reich aufzurichten. Diese Vorstellung lese ich auch in den Schriften der Väter. Die andere Vorstellung ist, dass wir – Lebende und Tote – zu ihm gehen. Und mit dieser zweiten Vorstellung kann, wer will, durchaus Angst erzeugen. Man kann sie aber auch als Befreiung verstehen, als Erlösung von allem, was das Leben in dieser Welt unter der Knute Roms so schwer macht. Und das solltest du, das sollten wir alle betonen, dass die Herren dieser Welt kommen und gehen, unser Herr aber kommt!“

Lukas schlug sich mit der Hand vor die Stirn, und sein Besuch sah ihn verwundert an. „Ich muss gerade an vorhin denken, als du ankamst. Du hattest mit Recht erwartet, dass ich auf deinen Besuch vorbereitet gewesen wäre. War ich aber nicht, und die Situation war mir sehr unangenehm. Meine Frau hat die Situation dann gerettet. Vielleicht ist das ja ein guter Vergleich für ein Leben als Christ: Immer auf das Kommen unseres Herrn vorbereitet sein.“

„Mir fällt noch etwas dazu ein“, ergänzte der Gast, „Besonders die in der Gemeinde Verantwortlichen sollten sich an deiner Frau ein Beispiel nehmen und dafür sorgen, dass unsere Leute immer das bekommen, was sie brauchen: Trost und Zuspruch, Mut und Zuversicht, Stärkung und Vergewisserung. Dass sie keine Angst haben, sondern fröhlich leben.“

„...und ruhig sterben“, ergänzte Lukas, „denn das Sterben gehört zum Leben. Manchmal denke ich, die Leute haben mehr Angst vor dem Sterben als vor dem Tod. Man sagt ja, dass beim Sterben wichtige Ereignisse des Lebens noch einmal an einem vorüber ziehen. Das kann schmerzhaft sein wie Schläge, das kann wie eine Gerichtsverhandlung sein mitsamt Verurteilung oder Freispruch. Das es manche davor graut, kann ich mir sehr gut vorstellen.“

Der junge Mann meinte, dass er, um ehrlich zu sein, manchem Zeitgenossen ein solches Gericht durchaus wünsche. „Aber“, fügte er hinzu, „als Christen brauchen wir uns davor nicht zu fürchten. Denn unser Glaube sagt uns: Durch Christus sind wir bereits  freigesprochen. Und damit können wir frei von jeglicher Angst sein.“

„Sag lieber: Könnten“, korrigierte Lukas, „sonst erzeugst du Angst vor der Angst. Aber du hast Recht: Unser Glaube kann uns viel Angst nehmen, Angst vor dem Leben und Angst vor dem Sterben. Doch lass uns ins Haus gehen, es wird kühl und der Tag hat sich geneigt.“

 

 

 

 

 



Landespfarrer für Diakonie a.D Paul Kluge
Leer (Ostfriesland)
z.Zt. Kaliningrad
E-Mail: paul-kluge@t-online.de

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