Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag im Advent, 27.11.2011

Predigt zu Lukas 4:16-30, verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen


Jesus liest vor aus dem Kalender. Eine Programmansage. Sie entspricht in etwa dem Familienplaner zu Hause an der Kühlschranktür oder dem randvollen Geschäftsterminkalender. Hier steht alles, was getan werden muss, die Verabredungen, alle Vorhaben.

Der Kalender enthält generell eine Vorstellung von dem, was wir gern machen würden, dem, was wir machen sollten, abgesehen von all dem, was wir einfach nur müssen - den absolut unvermeidlichen Dingen. Im Laufe der Zeit setzen wir Prioritäten, verschieben hier ein wenig und disponieren da um, denn unterdessen hat sich etwas anderes ergeben - mitunter etwas, das eine völlig neue und andere Tagesordnung schafft.

Der Kalender berichtet zumeist nur von den äußeren Geschehnissen, kaum einmal von den inneren Landschaften. Höchst selten steht im Kalender etwas von der Vorfreude, oder von den Tagen im Leben, an denen etwas passiert ist, das die Bedeutung von allem anderen verändert hat, von dem, was war, ebenso wie von dem, was noch kommt.

Vielleicht ist einmal ein Geburtstag oder ein Jahrestag aufgeführt, als Vermerk eines Ereignisses, das schlagartig alles veränderte. Als es eintrat, verwandelte es alles - die Geschichte zuvor änderte sich und die Geschichte hernach. Alles, was gewesen war, schien geradezu darauf zuzulaufen, auf diesen Tag hin. Und alles, was danach geschah, war schon ein Teil der neuen Geschichte.

Doch höchst selten ist dem Kalender zu entnehmen, wie die innere Landschaft aussieht in Bezug auf die Tage und Verabredungen, - ob ihnen mit Ungeduld, Freude und Hoffnung entgegengesehen wird oder mit Angst, mit Verzagtheit und Widerwillen.

Gerade zurzeit ist das deutlicher als sonst. Wenn Sie nur daran denken, was alles auf dem heimischen Kalender steht für die Zeit von jetzt an bis Weihnachten. Es sind emotional aufgeladene Tage, in der einen oder anderen Weise, um dessentwillen, was sie mit sich bringen, - oder um dessentwillen, was sie nicht mit sich bringen; dessentwillen, was wir vermissen oder wonach wir uns sehnen.

Es ist auch eine Zeit, in der anderes geschehen kann als sonst. Es ist die Zeit für Überraschungen, wo unerwartet Neues und unerwartete Gäste plötzlich auftauchen können. Es ist eine Zeit der Hoffnung.

Der Adventskranz brennt. Ich bin froh gestimmt. Ich bin gespannt und hoffnungsvoll, ohne die geringste Ahnung zu haben, was mich erwartet. Ich ahne nicht, was in den vor mir liegenden Tagen geschehen wird, obwohl mein Kalender mir anzeigt, was ich zu tun habe, von jetzt an bis zum Heiligen Abend.

Welche Begegnungen mit Menschen für mich anstehen; was mich tatsächlich erfüllen wird, was mir widerfährt; was ich tatsächlich getan bekomme und was ich ausrichte; was ich verschenke und was ich bekommen werde bis Weihnachten, - ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich froh gestimmt bin, dass ich die Erwartung habe, Güte und Wärme und Licht stehen für mich an, und dass mich das zutiefst berührt! Vermutlich geht es Ihnen genauso. Sie sehen so aus!

Deshalb geht uns auch gerade jetzt die Rede von der Möglichkeit des Wunders direkt zu Herzen. Die Verheißungen treffen uns dort, wo wir am empfindsamsten sind. Freiheit für die Gefangenen und die Unterdrückten, die frohe Botschaft für die Armen, das Augenlicht für die Blinden, - ein Gnadenjahr des Herrn. Das sind gewaltige Worte, gewaltige Verheißungen. Sie werfen uns fast um, wie ein allzu großer und allzu ungestümer Hund.

Unsere Hoffnung, unsere Freude und Erwartung ist entschieden kleiner -streichholzschachtelklein - im Vergleich. Wir möchten gern ein paar angenehme Stunden mit denen zusammen verbringen, die wir lieben, und wir möchten gern haben, dass Friede sich einstellt mit den brennenden Kerzen und der Alltag sich annehmbar gestaltet. Ferner möchten wir gern, dass Krankheit, Traurigkeit, Einsamkeit, Streit und Eifersucht und was sonst noch den Weltfrieden bedroht und unser Familienglück, ausbleiben, uns genommen werden. Oder zumindest gelindert, wir getröstet werden und es uns leichter wird, darin und damit zu leben.

So ist das, und daher: Jesus, Gottes Sohn - komm nur herein, na los, mach‘ schon! Geh ein durch die offene Tür und nimm Wohnung, tu deine Wunder, lass uns sehen und spüren, dass sie gerade jetzt geschehen! Dass du der Arzt bist, auf den wir gewartet haben, derjenige, der das Neue bringt! Dann sind wir sogleich dabei, die Welt nach dem Neuen auszurichten und die Aufgaben zu verteilen.

Wir glauben zu wissen, was Gott tun und wo er zuerst Hand anlegen soll. „Ich will..." „Gott soll..." Alle unsere Erwartungen stellen sich auf in Reih und Glied, und wir verwechseln sie mit Glauben und Hoffnung. Jesus derweil fügt sofort hinzu: Das hier ist nicht nur für euch, es geht nicht um deine Erwartungen. Die Hoffnung ist weit größer, sie betrifft alle. Sie ist auch Hoffnung für die Ausgegrenzten; für die, an die du gar nicht denkst. Sie ist auch für die, mit denen du nicht rechnest oder die für dich nicht zählen; ja, sie ist auch für die, denen du sie nicht gönnst.

Es ist eine Hoffnung jenseits des Horizonts der Geschichte. Gottes Verheißungen schließen uns und unsere Geschichte ein. Und..., - und das ist das Wesentliche: und sie gelten dir und mir ganz persönlich, zur selben Zeit. Diese Hoffnung erklingt am stärksten und tiefsten da, wo ansonsten nichts hilft. Wir ahnen, dass sie eine reale Möglichkeit bedeuten könnte, selbst dort, wo wir bloß das sehen können, was unmöglich ist. „Das passiert sowieso nicht", mögen wir denken, wenn uns die Hoffnungslosigkeit im Griff hat.

Und hier geht uns jetzt vielleicht auf, dass die Wartezeit und Erwartungszeit nicht eine Zeit ist, um sich alle erwarteten Herrlichkeiten vorzustellen und sie beiläufig einzufordern. Sie ist eine Zeit, den Kalender mit neuen Augen zu betrachten. Um all das unerwartet Neue zu sehen, Gottes Möglichkeit und Gabe zu erkennen in dem, was kommt.

Es ist die Zeit, mit ausgestreckten Händen da zu stehen, bereit zu empfangen. Mit treuen Händen, die sich über die Möglichkeit freuen, über das Unbekannte, das Unerwartete an jedem neuen Tag. Gläubige, vertrauensvolle Hände, die es wagen, es Gott zu überlassen - auch all das Zerstörte, Vergeudete; das, was nie gewesen ist, und das, was wir verloren haben.

Sieh, er hält immer noch die Geschichte in seiner Hand, sie soll verwandelt werden, vollendet. Die Verheißungen gelten nach wie vor, und Sie und ich können den Kalender in einem neuen Licht betrachten und erkennen, dass da inmitten in der alltäglichen Betriebsamkeit zugleich steht: die frohe Botschaft für die Armen, Freiheit für die Gefangenen und Unterdrückten, das Augenlicht für die Blinden. Siehe, ein Gnadenjahr des Herrn. Siehe! Gottes Zeit ist da, und der Kalender ist voll von seinen Verheißungen.

Amen



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
Ringstedt
E-Mail: amnm@km.dk

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