Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 11.12.2011

Predigt zu Römer 15:5-13, verfasst von Christine Hubka

 

Vorbemerkung: Als Predigtlied singen wir: Lob Gott getrost mit singen (EG 243) - um das Zitat in der Predigt verwenden zu können.

Der Gott ... der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.

Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen,...

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes. Rö 15,5-13

Lisa fährt in der U-Bahn zum Arzt: Sie sitzt da und schickt ein Stoßgebet zum Himmel, dass alles gut wird.

Andrea sitzt im Bus. Auch sie fährt zum Arzt. Auch sie betet, was so gar nicht ihre Gewohnheit ist: „Lieber Gott, hilf!"

Zwei Stunden später: Lisa ist auf dem Heimweg. In der U-Bahn fällt es ihr schwer still zu sitzen.

Sie möchte ihre Freude hinausschreien: Endlich, endlich bin ich schwanger. Nach so vielen Versuchen!

Ganz von selbst steigt aus ihrem Herz ein Lob auf zu Gott, der dieses neue Leben in ihr schenkt.

„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes ...",

Lange Zeit vor Lisa hat eine andere junge Frau Gott so gelobt.

Andrea sitzt auch wieder im Bus. Auch sie ist überglücklich.

Alle Sorgen, alle Nöte, alle Ängste der letzten Wochen sind von ihr genommen.Auch in ihr klingt ein Gotteslob.

Die Mitfahrenden freilich hören nicht, was in ihr singt und frohlockt: „Gott sei Dank, ich bin nicht schwanger. Die Katastrophe ist an mir vorüber gegangen!"

Wie sollen Menschen Gott loben, einmütig, mit einem Mund, wenn der Grund für das Gotteslob so verschieden sein kann wie schwanger sein und nicht schwanger sein?

Das ist die erste Frage.

Und es gibt noch eine weitere. Eine technische sozusagen:

In welcher Weise kann Gott gelobt werden. Gott, der doch über jede Kritik, daher auch über jedes Lob erhaben ist.

Lob Gott getrost mit singen, verlock du christlich Schar ...

Die technische Seite des Gotteslobs scheint einfach zu sein:

Lob Gott getrost mit Singen.

Eine Entdeckung der Reformation ist das.

Diese Art Lob erhebt sich nicht über den, der über alles erhaben ist.

Diese Art des Lobes ist ein Echo der Lebenslust, die Gott in uns hineingelegt hat.

 

„Aber ich kann nicht singen, ich hab schon als Kind nicht singen können. Ich singe im besten Fall unter der Dusche!"

Wen hab ich jetzt wohl bei diesem Einwand ertappt?

 

„Aber ich kann nicht singen, denn dann kommen mir die Tränen.

Meine Kehle ist wie zugeschnürt, und von der Leichtigkeit des Seins, von Lebensfreude spüre ich grad gar nichts.

Da ist nur Schwere, unendliche dunkle Schwere." Dieser Einwand steht da.

Wer könnte ihm etwas entgegensetzen?

Gott mit fröhlichem Mund loben ist eine Gnade.

Die Beterinnen der Psalmen singen davon.

Aber ich habe auch schon am Friedhof, mit Tränen das Lob Gottes gesungen.

Wie Kinder können wir Gott loben, lachend und weinend zugleich.

 

Gott loben - nicht nur unter der Dusche.

Gott loben -auch mit zugeschnürter Kehle.

 

Wie das geht, schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom:

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Annehmen, ein Wort mit einem weiten Horizont.

Annehmen, ein Wort mit einem großen Herzen.

Nicht tolerieren, irgendwie ertragen.

Einfach still halten, wegschauen, und so tun als ob eh alles in Ordnung wäre. Das führt zu einer Art passiven Erstarrung.

Sondern annehmen.

Im griechischen Original ist da ganz viel Bewegung drin:

Mit anfassen.  An sich ziehen.  Für sich gewinnen.

 

Nehmt einander an.

Traut euch, miteinander in Berührung zu kommen. Fasst einander an.

 

Lisa, die sich so sehnlich ein Kind wünscht.

Und Andrea, die das ganz und gar nicht will.

Was geschieht, wenn sie heute, einander begegnen?

Werden sie einander verachten?

„Du Mutti Typ, du!"

„Du karrieregeiles Frauenzimmer!"

Oder kommen sie miteinander in Berührung. Sodass jede spürt:

Dein Leben ist anders als mein Leben. Deine Wünsche und Hoffnungen sind anders als meine.

Vor Gott ist es möglich und erlaubt, sich ein Kind zu wünschen.

Vor Gott ist es möglich und erlaubt, keine Kinder zu wollen.

 

Vielleicht geht es,

dass Lisa und Andrea einander annehmen.

Bei anderen Lebenswegen ist es viel schwieriger:

Bist du bereit, jemandem, der aus der Haft entlassen wurde, anzufassen.

Ihm oder ihr die Hand zum Gruß zu geben? Ohne sie dir anschließend heimlich an der Hose abzuwischen.

Im Abendmahlskreis mit ihm aus einem Kelch zu trinken.

Quält dich die Neugier, wegen was dieser Jemand „gesessen" ist.

Wenn ja, dann ist die Frage fällig, warum du das wissen willst:

Weil du dann entscheiden kannst:

Dieses Delikt - naja, das ist nicht so schlimm.

Ich nehme ihn oder sie an. Er oder sie ist gar nicht so übel.

Aber jenes Delikt - nein, wer so etwas getan hat ...

 

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

 

Was das im täglichen Leben bedeutet?

Ich glaube von ganzem Herzen, dass vor Gott das Gebet eines Strafgefangenen, eines Langzeithäftlings, genau so viel Wert hat,

wie das Gebet eines Menschen, der noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist.

Ich glaube aus ganzem Herzen, dass Christus geboren wurde, nicht nur für die, die im Gefängnis ihre Strafe verbüßen,

sondern für dich und mich.

Denn jede und jeder von uns sehnt sich danach,

immer reicher zu werden an Hoffnung.

Auch wenn die Hoffnung eines Gefangenen anders ist, als die Hoffnung eines Menschen, der in Freiheit lebt.

 

Dass Gott uns Hoffnung so gibt,  wie es in unser ganz persönliches Leben passt,

das macht es möglich, dass wir Verschiedenen, mit unseren Verschiedenen Lebensgeschichten

Gott einmütig aus einem Mund loben und preisen

Hier in der Gemeinde. Und dort in der Justizanstalt im Gottesdienst.

 



Pfr. i.F. Dr. Christine Hubka
1160 Wien
E-Mail: christine.hubka@gmxat

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