Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 11.12.2011

Predigt zu Römer 15:4-13, verfasst von Eberhard Busch

 

1.

In der Mitte dieses Bibeltextes steht der Satz „Christus hat euch angenommen." Ist das nicht wundervoll? Es gibt Menschen, denen es zustößt, dass sie vielmehr nicht akzeptiert sind. Sie werden abgewiesen, abgeschoben: „Annahme verweigert!" Wir wissen es ja, wie das heute gegenüber so manchen gesagt wird, die an die Türe unseres Landes klopfen: nicht „herein!"; sondern: „Wir brauchen euch nicht! Wir kommen ohne euch aus!" Es ist übel, wenn man „draußen vor der Tür" steht, wie das nach dem 2. Weltkrieg entstandene Drama unter diesem Titel zeigt. Aber - vielleicht sind wir selbst solche, denen das gesagt werden muss: „Ihr seid unannehmbar!" Vielleicht muss man denen, die am energischsten Fremde für unannehmbar erklären, es am direktesten sagen. „Ihr selbst seid unannehmbar !" Doch mitten in diesem Gewirr lässt sich wie eine helle Glocke diese gute Nachricht hören: „Christus hat euch angenommen". Er, der im Unterschied zu solchen Schreihälsen alles Recht hätte, die Türe vor unserer Nase zuzuschlagen, er öffnet seine Türe. Er hat euch angenommen. Nicht nur „euch", auch viele andere, gegen die ihr zugeknöpft seid. Aber mit ihnen zusammen hat er auch euch angenommen.

Wir feiern bald das Weihnachtsfest. Da ertönt erst recht die frohe Botschaft - und hoffentlich machen wir mit unserem Betrieb nicht so viel Lärm, dass wir sie überhören. Es hängt unser Leben daran, dass wir sie vernehmen: die Botschaft, die schon in dieser Adventszeit uns entgegenklingt: „Siehe, ich verkündige euch große Freude". Denn, kurz und gut: „Christus hat euch angenommen." Und das auf unerhörte Weise. Er hat euch angenommen, indem er „Fleisch und Blut" angenommen hat, indem er geworden ist wie unsereins. Wie Paulus es an anderer Stelle sagt (Phil. 2,7f.): „Er wurde gleich wie ein anderer Mensch und der Erscheinung nach wie ein Mensch erfunden; er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tode." So sehr hat sich der Sohn Gottes mit uns verbunden. Davon singen und jubeln die Weihnachtslieder: „Das ewig Licht geht da herein, / gibt der Welt ein' neuen Schein; / es leucht' wohl mitten in der Nacht / und uns des Lichtes Kinder macht." Oder: „Heute geht es seiner Kammer / Gottes Held, der die Welt / reißt aus allem Jammer. / Gott wird Mensch, dir, Mensch, zugute, / Gottes Kind, das verbindt / sich mit unserm Blute."

Die christliche Gemeinde darf das singen, darf sich darüber freuen und das ernstnehmen. Sie weiß, dass sie ganz und gar darauf beruht: „Christus hat euch angenommen." Sie kann sich niemals genug darüber verwundern, dass es wahrhaftig so ist, trotz allem, was gegen sie spricht, gegen ihre Leiter und gegen ihre übrigen Mitglieder. Das ist der Fels, auf dem sie steht, und das der Anker, der ihr schwankendes Schiff hält: „Christus hat euch angenommen." Die christliche Gemeinschaft mag wachsen oder sie mag Mitgliederschwund erleiden, aber weh ihr, wenn sie in ihrer Geschäftigkeit oder in ihren Sorgen vergisst, was im Jahr 1526 die reformatorische Kirche im Schweizer Kanton Graubünden bekannte: „Die Kirche ist aus dem Wort Gottes geboren. In demselben bleibt sie und hört nicht die Stimme eines Fremden." Mit denselben Worten haben 1933 Christen ein Bekenntnis abgelegt, als die Kirchen in größter Gefahr standen, aus dem Tritt zu geraten. Und wir werden uns auch daran halten müssen, dass die Gemeinschaft der Christen nicht sich selbst am Leben halten kann. Auch wenn sie allzu oft meint, das könne sie schon selber. Sie ist darauf angewiesen, dass Gott dieses Wunder an ihr vollbringt: „Die Kirche ist aus dem Wort Gottes geboren."

2.

Die wunderbare Zuwendung Christi zu uns verbindet uns in seiner Gemeinde. Sie schafft es, „untereinander gleichgesinnt zu sein", wie Paulus schreibt. Gleichgesinnt, das heißt nicht, dass alle Gemeindeglieder dasselbe sagen. So mag es unter einem militärischen Kommando zugehen, aber nicht in der Kirche Jesu Christi. Doch tritt in ihr der Hang zurück, sich in Gegensätzen und in einem Gegeneinander auszuleben, statt in einem Miteinander, in dem alle das gleiche Ziel vor Augen haben. Oder sagen wir: den gleichen Herrn, dem alle dienen. „Ist Christus denn nun zertrennt?", so musste schon Paulus die Streithähne in der Gemeinde von Korinth fragen (1.Kor. 1,13). Nein Christus ist einer und nicht zertrennt. Darum kann auch seine Gemeinde im Aufblick zu ihm nur im Frieden leben. Der Genfer Reformator Johannes Calvin schreibt zu unserem Predigt-Text: „Nur dann loben wir Gott in rechter Weise, wenn wir es einmütig und mit einem Munde tun. Denn vor Gott gilt die Einigkeit seiner Kirche soviel, dass er aus dem Geschrei des Zankes und des Streites die Lobgesänge, die ihm gelten sollen, gar nicht heraushört." Gibt es heute in der Christenheit ernstlich solche Einmütigkeit? Der Berner Pfarrer Lüthi sagte in der Predigt über unseren Text: „Die Kirche, die eins ist im Glauben, Lieben und Hoffen und die aus einem Munde Gott loben darf, diese Kirche bestärkt manch einen unter uns in seinem Heimweh nach der besseren Kirche." Hoffentlich wenigstens das!

Verstehen wir es recht! Es geht wohl um Eintracht, statt Zwietracht. Aber es geht nicht um ein monotones Einerlei. Es geht in der Gemeinde Christi um eine lebendige Vielfalt, um ein Miteinander, das Verschiedenes nicht ausschließt, sondern begrüßt. Wenn Christus auch Andere als mich liebt, wie sollte ich dann nicht ihr Anderssein akzeptieren? Und das ist noch zu schwach gesagt. Unser Bibeltext sagt uns: „Nehmt einander an!" Nächstenliebe heißt ja nicht nur, dass wir den Anderen Gutes zu tun haben, sondern heißt auch: sich die Hilfe Anderer uns gefallen lassen. Ich brauche ja auch die Anderen, um zu leben. „Nehmt einander an!" Vielleicht ist der Andere ziemlich unterstützungsbedürftig oder hat etwas Abstoßendes. Jesus spricht im Gleichnis zu dem gerechten Knecht: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mich getränkt; ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. Denn was ihr einem unter diesen meinen geringsten Geschwistern getan habt, das habt ihr mir getan." Es ist in evangelischen Kirchen üblich geworden, dass ein Pfarrer die Gottesdienstbesucher am Ende mit der Hand verabschiedet, so als wäre er der Hausherr in dem Gotteshaus. Was auch davon zu halten ist, jedenfalls sagt jenes Gleichnis Jesu, dass alle Gemeindeglieder, junge und alte, Frauen und Männer, bei der großen Aufgabe gebraucht werden: „Nehmet einander an."

Tun das Christen nur unter ihresgleichen? Nun, es wäre schon viel, wenn auch nur die Christen untereinander in Liebe verkehren würden. Gibt es unter ihnen nicht seit alters bis in die Gegenwart soviel Härte und Bosheit, dass einem fast übel wird, wenn man sich das vor Augen führt. Im 1. Johannesbrief (4,7) heißt es beschwörend: „Ihr Lieben, lasst uns einander lieben!" Welches Zeugnis würden sie damit ihrer Mitwelt geben, stärker und heller, als viele bloße Worte! Wenn bislang getrennte Nachbarn aufeinander zugehen und sich die Hand geben und ihren Streit begraben, wie würde davon ein Licht ausgehen in ihre Mitwelt. In seinen Abschiedsreden sagt Jesus im Blick auf seine Nachfolger: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe ich auch sie in die Welt gesandt" (Joh. 17,18). Das zeigt an, dass die Liebe, die Christus in ihnen entzündet hat, auch über ihren Kreis hinausdringen soll und hinausleuchten wird. Denken wir noch einmal an das Gleichnis Jesu, in dem er von den Durstigen, und Hungernden, von den Flüchtlingen, den Kranken und Inhaftierten redet. Die Frage kann nicht sein: seid ihr Bedrängten fromme Christen? Die Frage ist allein die: seid ihr in solchem Elend? Dann seid ihr meine Geschwister. Dann will ich euch zur Seite stehen.

3.

„Nehmt einander an" - das wird in unserem Text besonders hervorgehoben im Blick auf das Verhältnis der Christen zu den Juden. Dabei wird deutlich, dass dieses Verhältnis für alle weiteren Beziehungen der Christen zu anderen Gruppierungen grundlegend ist. Man kann es auch heute als Christen nur mit Schamröte eingestehen, dass Christen in rauen Scharen sich seit alters der Juden eben nicht angenommen, sondern sie dem Verderben preisgegeben haben. Immerhin ist es gut, dass nun so viele Christen begonnen haben, hier umzudenken und neu zu lernen: „Nehmt einander an!" Vor allem Christus, an den wir Christen glauben, trennt uns nicht von den Juden, wie auch immer die sich zu ihm stellen. Denn er hat sich nicht von ihnen getrennt. Er ist aufs engste mit ihnen verbunden. Er ist ihr „Diener" geworden, sagt Paulus. Und ist er so mit ihnen verbunden, dann können Christen sich auch nicht von ihnen trennen noch ihnen herrisch begegnen. Sie geben sonst ihr Christsein preis. Indem Christus der Juden Diener geworden ist, hat er vor aller Welt erklärt, dass die Juden im Volk Gottes den Vortritt haben vor uns Christen - vor uns, die wir allzu spürbar immer wieder an den Tag legen, dass wir aus den „Heiden" stammen, also aus der Menschheit, die ferne vom Gott Israels leben. Wie Johannes Calvin schreibt (zu Röm. 15,8), erklärt Paulus hier ausdrücklich, „dass Christus das Heil den Juden aus dem [Alten] Bund als ihr Eigentum zugedacht hat".

Christus ist wie den Juden auch den Heiden zugewendet, aber beiden in verschiedener Weise. Er ist, so hören wir, den Juden verbunden „der Wahrhaftigkeit Gottes wegen, um die Verheißungen an die Väter zu bestätigen." Er bestätigt diese Verheißungen wegen der Zuverlässigkeit, wegen der Treue Gottes, die Bestand hat, auch wenn sie es mit Untreue und Unzuverlässigkeit der Glieder seines erwählten Volkes Israel zu tun bekommt. Wenn nach dem Neuen Testament Heiden zum Gottesvolk hinzukommen, dann nicht, weil nun andere anstelle des Israelvolkes erwählt sind. Dann nur, während die Juden die Ersten bleiben in der Familie Gottes. Dann nur, während Israel aufgrund der in Christus festgemachten Treue Gottes erwählt bleibt. Dann nur, weil Gott in Christus seine Barmherzigkeit gleichsam überfließen lässt. In seiner Gnade erbarmt er sich auch der Menschen außerhalb des Volkes Israel, die er aus den Heiden zusammenruft. In diesem Licht bekommt der Ruf jetzt eine unerhörte Dringlichkeit: „Nehmt einander an". Im Dezember 1933 predigte der Bonner Theologe Karl Barth über diesen Text - zu einer Zeit, als die Verpönung der Juden im öffentlichen Raum um sich zu greifen begann, und viele Vertreter der Kirchen folgten nur zu fügsam dem staatlichen Gebot. Der Prediger hörte aber dies aus dem Text heraus: Jesus Christus „sieht uns als Juden im Streit mit dem wahren Gott" (das ist die Übersetzung des Wortes Israel), und er sieht uns „als Heiden im Frieden mit den falschen Göttern, aber er sieht uns auch beide vereint als ‚Kinder des lebendigen Gottes'". Darauf hin können wir beide uns „nur noch die Hände geben". Und, wie es in unserem Text heißt: „Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk (Israel)".

Unser Bibeltext schließt mit Gebetsworten, mit denen wir auch diese Predigt schließen möchten: „Der Gott der Hoffnung erfülle uns mit aller Freude und allem Frieden durch den Glauben, damit wir reich sind in der Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes." Amen

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
37133 Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

Bemerkung:
Römer 15,4-13 (nach der Zürcher Übersetzung)


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