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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 11.12.2011

Predigt zu Römer 15:4-13, verfasst von Sibylle Reh

 

Weihnachten kommen Menschen in die Kirche, die wir hier sonst nicht sehen

Kanzelgruß

Liebe Gemeinde,

Die Herdmann-Kinder waren die schlimmsten Kinder aller Zeiten. Sie logen und klauten, rauchten Zigarren, sogar die Mädchen, und erzählten schmutzige Witze. Sie schlugen kleine Kinder, fluchten auf ihre Lehrer und missbrauchten den Namen des Herrn." So beginnt eine beliebte Weihnachtserzählung von Barbara Robinson. Sie handelt davon, dass eine Gruppe sozial vernachlässigter Kinder mehr aus Versehen in der Sonntagsschule auftaucht und dann sämtliche Hauptrollen des Krippenspiels an sich reißt. Die Gemeinde ist hellauf entsetzt. Die Frau, die die Proben leitet, hat ihre liebe Not, weil sie einerseits mit Kindern, die die Weihnachtsgeschichte bisher nicht kannten und nicht wissen, wie man sich in der Kirche benimmt, ein Krippenspiel einüben muss und andererseits dieses Krippenspiel auch noch gegen den Rest der Gemeinde verteidigen muss. Alle erwarten, dass es das erste Krippenspiel wird, in dem Joseph und die heiligen drei Könige eine Rauferei anfangen und Maria mit dem Kind wegläuft. Nichts von dem geschieht. Es wird ein sehr ungewöhnliches, aber sehr eindrückliches Krippenspiel, eins, in dem Maria keine Heilige ist, sondern einfach eine junge Frau, die unter schwierigen Umständen ein Kind zur Welt bringt und die heiligen drei Könige statt so unnützer Dinge wie Weihrauch und Myrrhe lieber einen Schinken mitbringen. Nach dem Gottesdienst gehen die Menschen erfüllt nach Hause, den Satz des Mädchens, das den Engel spielte, im Ohr: „He, euch ist ein Kind geboren!"

Liebe Gemeinde, Im Advent sind wir in der Kirche noch mehr oder weniger unter uns. Wir, die wir mehr als einmal im Jahr in die Kirche gehen, meine ich. An Weihnachten sieht das ganz anders aus. Da scheinen die Menschen aus allen Winkeln hervorzukriechen, um in unsere Kirchen zu kommen. Die Kirchen können nicht groß genug sein, die Liederbücher reichen nicht. Ich habe es schon erlebt, dass ein Dorfpfarrer den Krippenspielgottesdienst in die benachbarte Reithalle verlegte, um nicht zwei oder drei Gottesdienste im selben Dorf nacheinander halten zu müssen. Keiner benimmt sich so schlimm wie die Herdmann-Kinder in der Erzählung von Barbara Robinson. Trotzdem ärgert sich manch einer unter den regelmäßigen Kirchgängern über die „Weihnachtschristen" die nur einmal im Jahr kommen, die Liturgie nicht kennen und die Lieder nicht mitsingen können. Es gibt regelmäßige Kirchgänger, die die Kirche deswegen an Heiligabend meiden.

Vielleicht haben sich die Juden unter den Anhängern Jesu damals zur Zeit des Paulus ähnlich gefühlt. Sie hatten ihr Leben lang regelmäßig zu Gott gebetet, in den Heiligen Schriften gelesen und sich bemüht, die Gebote und Vorschriften der Bibel einzuhalten, keine unreine Speisen zu essen. Und sie hatten den zehnten Teil von allem, was sie verdienten, freiwillig den Armen gespendet. Sie hatten dies alles getan, um sich auf das Kommen des Messias vorzubereiten. Und nun hatten sie den Messias in Jesus gefunden, und was mussten sie da erleben: Zu ihm kamen auch Menschen, die nie Juden gewesen waren, Gott zuvor nicht verehrt hatten, die sich nie um die Gebote geschert hatten, Heiden eben. Und was mussten sie erfahren: dass diese Heiden zur Gemeinschaft Jesu ebenso zugelassen wurden wie sie selber, dass Jesus auch sie, die zuvor nie nach Gott gefragt hatten, erlöst hatte. Ja es wurde von ihnen nicht einmal verlangt, sich beschneiden zu lassen und die jüdischen Speisegesetze einzuhalten.

Liebe Gemeinde, wenn jedes Jahr so viele Nichtkirchgänger in unsere Kirchen strömen, dann suchen sie doch dort etwas, was sie woanders nicht finden. Nicht auf Weihnachtsmärkten, nicht in Kaufhäusern, sondern nur in der Kirche. Die Fragen, die sich mir aufdrängen, sind: Finden sie bei uns, was sie suchen? Und zweitens: Warum suchen sie es nur an Weihnachten?

Die erste Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Denn einerseits tauchen sie ein ganzes Jahr nicht wieder auf, andererseits kommen sie im nächsten Jahr dann doch wieder.

Dass nicht-regelmäßige Kirchgänger hauptsächlich an Weihnachten kommen, nicht an gewöhnlichen Sonntagen, kann daran liegen, dass die Weihnachtsgottesdienste ein recht niederschwelliges Angebot der Kirche sind. Es kommen dort viele Menschen hin, die sich in der Kirche nicht auskennen, man fällt also nicht unangenehm auf, wenn man sich nicht so gut auskennt. Genauso wenig fällt man aber in seiner nichtchristlichen Umgebung unangenehm auf, wenn man doch Weihnachten in die Kirche will, das tun doch viele.

Nur regelmäßige Kirchgänger tun sich schwer mit diesen Weihnachtschristen, obwohl wir sie eigentlich brauchen. Es ist ja hier nicht so, dass wir Verstärkung nicht brauchen könnten, dass wir sagen, wir sind so viele, dass die Kirche ständig überfüllt ist. Und selbst, wenn wir persönlich sagen: „Weniger ist manchmal mehr", so gilt, dass wir die Einladung Jesu gerne weitergeben sollen. Es wäre bloß schöner, die" Weihnachtschristen" kämen nicht immer alle auf einmal, sondern hübsch verteilt über das Kirchenjahr. Aber nein, sie kommen an Weihnachten, und dann bilden sie die Mehrheit.

Die Geschichte mit den Judenchristen und den Christen aus den Völkern damals zu Beginn des Christentums ging leider nicht so gut weiter. Die Worte des Paulus fanden in dieser Hinsicht leider nicht so viel Gehör. Es ging auch ganz anders weiter, als Paulus ahnen konnte. Zur Zeit des Paulus waren die unangefochtenen Säulen des Christentums die Apostel in Jerusalem, Judenchristen, die täglich im jüdischen Tempel in Jerusalem beteten. Diese Urgemeinde in Jerusalem wurde aber von den Ereignissen des jüdischen Krieges hinweggespült, weil sie damals zwischen die Fronten geriet. Aber auch im gesamten römischen Reich wurden die Judenchristen nach und nach die Minderheit im Christentum, eine Randerscheinung. Bereits 2. Jahrhundert nach Christus machte mit Marcion zum ersten Mal ein führender Christ den Versuch, das Alte Testament nicht mehr als heilige Schrift der Christen zu verstehen, und damit die Herkunft des Christentums aus dem Judentum zu verleugnen. Damals wurde dieses Ansinnen noch von der Mehrheit der Christen abgelehnt, Marcion gilt als Ketzer. Nach und nach geriet aber doch die Herkunft des Christentums aus dem Judentum innerhalb des Christentums in Vergessenheit.

Paulus, sosehr er sich auch in seinen Briefen für die Heidenchristen einsetzt, hätte sicher nicht gewollt, dass es nur noch Heidenchristen gibt. Er wollte nicht, dass sich eine Gruppe gegen die andere durchsetzte, er wollte, dass beide Gruppen miteinander beteten, so wie es in den Texten des Propheten Jesaja angedacht ist, die er zitiert: Alle Völker werden kommen und mit den Juden zusammen Gott verehren.

Vielleicht sind die Weihnachtschristen so etwas wie die heutigen Heiden, die kommen, um Gott zu verehren.

Vielleicht sind aber die heutigen Heiden auch solche Menschen wie die Herdmann-Kinder in der Erzählung, die ich zu Beginn erwähnt habe. In der Geschichte geht die Begegnung der Herdmann-Kinder mit der Kirchengemeinde ja gut aus, als Bereicherung für beide Seiten. Die Kinder haben mit dem Krippenspiel die Anerkennung der Menschen gewonnen und die Gemeinde hat durch das Spiel die Weihnachtsgeschichte neu erfahren.

Es wäre schön, alle würden sich in unseren Kirchen willkommen fühlen und bleiben, denn wie gesagt, wir brauchen mehr Menschen in unseren Kirchen. Für die Adventszeit wünsche ich Ihnen Frieden im Herzen, Frieden mit Gott und Frieden mit allen, die in unsere Kirchen kommen.

(Kanzelsegen)

Amen



Pastorin Sibylle Reh
Strausberg
E-Mail: sreh(at)gmx.de

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