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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 11.12.2011

Predigt zu Römer 15:4-13, verfasst von Jorg Christian Salzmann

 

I

Die Mahnung des Apostels Paulus ist deutlich: Nehmt einander an! Dahinter stehen handfester Streit und Meinungsverschiedenheiten. Doch ausgerechnet im Advent von Streit und Meinungsverschiedenheiten in der Gemeinde reden - was soll denn das?

Der Streit, gegen den der Apostel Paulus schreibt, betraf sogar ziemlich grundlegende Dinge des Glaubens. Da waren diejenigen Christen, die vorher Juden waren, und dann die Nichtjuden. Zwei ganz unterschiedliche Gruppen; die einen, die Judenchristen ganz geprägt von der Bibel und der Verehrung des Gottes Israels, und die anderen, die Heidenchristen weitgehend ohne diesen ganzen Hintergrund, so dass die Kluft zwischen beiden nicht nur in Fremdheit begründet war, sondern auch zu ganz unterschiedlichen Weisen der Frömmigkeit führten.

Die einen verehrten dankbar in Jesus Christus den lange versprochenen und erwarteten Messias und hielten ansonsten in vielem am althergebrachten Glauben mit seiner Lebensweise fest. Für die anderen bedeutete Jesus die Umwälzung ihres ganzen bisherigen Lebens, neuen Sinn, den Zugang zu einem bislang den Juden vorbehaltenen Gott und die große Freiheit der Kinder Gottes.

Ganz praktisch wurden die Konflikte zum Beispiel sichtbar, wenn es um das Essen ging: So selbstverständlich, wie die Heidenchristen Schweinefleisch aßen, so unmöglich war das für die Judenchristen. So selbstverständlich, wie diese die Arbeitsruhe am Sabbat einhielten, so wenig kümmerten sich die anderen darum. Kein Wunder, wenn es zu Streit kam, kein Wunder, wenn der Apostel mit seinem Brief versucht, Spannungen abzubauen und Wege des Miteinander aufzuzeigen.

Aber noch einmal: Warum sollen wir uns im Advent mit solchen Problemen auseinandersetzen? Wäre es nicht viel besser, einfach von Harmonie zu hören und davon, dass Jesus Christus allen Streit überwindet? Es gibt doch genug Streit in dieser Welt und wahrhaftig auch genug Streitereien bei den Christen. In der Weihnachtszeit ist die Sehnsucht nach Frieden besonders groß. In der Tat mahnt ja auch der Apostel zur Einigkeit und empfiehlt, dass wir einander annehmen. Wenn das aber so einfach wäre!

II

Es stellt sich also die Frage, wie das möglich ist, einander annehmen, auch und gerade dann, wenn man sich eben nicht sowieso schon mag und gut versteht. Paulus gibt die Antwort in der zweiten Satzhälfte seiner Aufforderung: Nehmt einander an - wie Christus euch angenommen hat.

Das kann man auf zweierlei Weise verstehen. Einmal so, dass Christus unser Vorbild ist. Er sah von sich selbst ab und stellte nicht das eigene Wohl, sondern das der anderen in den Mittelpunkt. Das kann eine gute Lebensmaxime sein. Denn wer so handelt, wird erleben, dass das Leben viel besser von der Hand geht als wenn man immer nur darauf bedacht ist, den eigenen Standpunkt durchzusetzen und den eigenen Vorteil zu nutzen. Es lohnt sich, andere Menschen ernst zu nehmen und sie anzunehmen. Wenn du auf die anderen zugehst, dann kommen sie womöglich auch dir entgegen. Verhärtete Fronten weichen auf, es kommt zum Miteinander statt zum Gegeneinander. Allerdings: eine Garantie dafür gibt es nicht, und es bleibt die Frage, woher wir die Kraft und die Risikobereitschaft nehmen können, den ersten Schritt zu tun und vielleicht auf Eigenes zu verzichten.

Eine Antwort darauf ergibt sich aus der zweiten Möglichkeit zu verstehen was das heißt: Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat. Nämlich gar nicht in erster Linie, dass Christus unser Vorbild ist. Sondern vor allem so, dass wir die Angenommenen sind. Christus hat dich angenommen, ohne dass du eine Vorleistung bringen musstest. Er hat dich aufgenommen in die Familie Gottes trotz allem, was es an dir auszusetzen gibt.

Daraus ergibt sich dreierlei: Erstens hat Christus nicht nur dich angenommen, sondern auch die anderen. Als die Angenommenen sitzen wir im selben Boot; es ist keiner besser als der andere. Zweitens kannst du dich nicht verlieren, indem du andere annimmst; denn egal wie die anderen reagieren, du bleibst von Christus und von Gott angenommen. Drittens: Angenommen Sein verleiht Kraft. Wer nicht darum kämpfen muss, angenommen zu sein, der hat Kräfte frei. Wer im Innersten gewiss ist: Ich bin bei dem gut aufgenommen, auf den alles ankommt, Gott ist mein Freund; wer so gewiss ist, dem fließt Mut zu, ja auch Risikobereitschaft. Weil Christus uns angenommen hat, können wir es wagen, auch die anderen anzunehmen.

Das gilt im Alltag, das gilt gerade aber auch, wenn es Streit gibt. Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten werden damit nicht zugekleistert; aber statt verbittert den eigenen Standpunkt durchzusetzen, kann ich auch akzeptieren, dass es andere Standpunkte gibt. Wer den anderen annimmt, muss ihn im Streit nicht vernichten; vielmehr kann man gemeinsam nach Lösungen suchen. Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat - so kann der Advent eine Zeit des einträchtigen Miteinander werden.

III

Paulus schreibt an zwei Christengruppen und macht ihnen klar, dass sie beide von Christus gewollt und angenommen sind. Dafür bezieht er sich nicht einfach nur auf Jesus Christus, sondern er greift auf die Heilige Schrift zurück. Damit wird deutlich: Judenchristen und Heidenchristen sind schon immer beide von Gott gewollt und angesprochen. Er hat beide von Anfang an im Blick. Deshalb ist Christus die Erfüllung der Verheißungen an Israel, aber er ist auch der Grund und Anlass dafür, dass die Heidenvölker Gott loben, so wie es schon längst gesagt war: freut euch ihr Heiden, mit seinem Volk, lobt Gott, seid dankbar, dass der Spross aus dem Hause Isais, dass der Davidssohn auch für euch da ist: der Messias und Erlöser für alle.

Das ist der andere Grund, warum wir im Advent dieses Pauluswort hören. Im Adventslied ist das so ausgedrückt: „Was der alten Väter Schar höchster Wunsch und Sehnen war und was sie geprophezeit, ist erfüllt in Herrlichkeit." Der Trost Israels ist da, die Hoffnung aller Menschen ist zu uns gekommen. Er hat uns angenommen und mit Gott versöhnt. Ja, Gott selbst ist zu uns gekommen und hat erfüllt, was er so lange schon versprochen hatte. So nehmt einander an und lasst euch versöhnen, was immer euch trennen mag. Denn Christus hat euch angenommen. So sei Gott gelobt und gepriesen.

 



Prof. Dr. Jorg Christian Salzmann
Oberursel
E-Mail: dr.jchr@jmsalzmann.de

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