Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 11.12.2011

Predigt zu Römer 15:5-13, verfasst von Anita Christians-Albrecht

 

Als Kind habe ich mich immer auf die Adventszeit gefreut, liebe Gemeinde. Advent, das war etwas Besonderes. Da gab es viel, was es das ganze Jahr über nicht gab: Jeden Morgen war ich gespannt auf meinen Adventskalender; ein ganz einfacher war das nur, mit Bildern hinter den Türchen. Im Haus war es warm und gemütlich, und nachts habe ich geträumt von dem, was ich mir zu Weihnachten wünschte.

Inzwischen hat sich viel verändert. Dominosteine und Spekulatius gibt es schon seit September und in den Blumenläden dudeln am Totensonntag Weihnachtslieder.

Advent - das wird immer anstrengender, sagen viele: Eine Weihnachtsfeier jagt die nächste, die Stadt ist voll und auch in den letzten 13 Tagen vör Weihnachten gibt es noch jede Menge zu tun.

3. Advent - der Count-Down läuft. Wer nun noch nicht alles bedacht und seine Pakete noch nicht gepackt hat, der packt es vielleicht gar nicht mehr,

Advent - darauf will ich nicht verzichten, sagen andere: Kekse backen mit unseren Kindern und Enkeln, Weihnachtslieder, Punsch und Kerzen und nach einem kalten Spaziergang ein warmes Zuhause.

Advent - das ist, wenn wir merken: Auch unsere Seele hat Hunger; auch sie braucht etwas: Ruhe, gute Gedanken, Zeit, etwas Schönes zum Freuen und ganz viel Liebe.

Vielleicht ist das der Grund, warum die Menschen in der Adventszeit zur Kirche gehen. Mich wundert das jedes Jahr wieder. Was haben wir denn schon zu bieten? Gegen all das Glimmern und Glittern draußen in der Welt kommen wir doch gar nicht an: Ein paar einzelne Kerzen auf dem Adventskranz, schöne Lieder und viele ernste Worte: Nicht ‚Friede, Freude, Lebkuchen', sondern ‚Mit Ernst, ihr Menschenkinder', wie wir es gerade als Wochenlied gesungen haben. Oder: ‚Bereitet dem Herrn den Weg!'.

Ob wir doch mehr brauchen als Glühwein und Stollen? Ob wir das meinen, wenn wir uns eine besinnliche Adventszeit wünschen? Dass wir Zeit haben und nachdenken können über das, was wirklich zählt und wirklich wichtig ist?

Lange habe ich gedacht, dass es reicht, wenn ich mir regelmäßig Zeit nehme, eine Kerze anzünde und gute Musik höre. Das alles gehört dazu, keine Frage. Und ein Weilchen kann man sich das sogar auch einreden, dass die Welt wunderbar ist und die Menschen es schaffen, dass sie in Frieden miteinander leben.

Aber meistens werde ich aus einem solchen Adventstraum ganz schnell wieder herausgerissen. Meine Kinder zanken sich mal wieder oder ich schalte den Fernseher an und die Bilder von Not und Tod und Hunger und Katastrophen verfolgen mich. Und dann ruft vielleicht auch noch eine Freundin an und erzählt mir, dass sie sich von ihrem Mann trennen will. Ich werde dann wieder darauf gestoßen, dass wir es im Kleinen und im Großen nicht schaffen, dass wir Frieden halten in dieser Welt.

Der Zuckerguss, mit dem wir in der Adventszeit gerne alles verzieren, wird hart und bricht.

Wie gut, denke ich manchmal, dass auch unsere Bibel das Leben kennt und kein Heile-Welt-Buch ist. Auch als ich mir den Predigttext für heute aus dem Römerbrief ansah, habe ich das wieder gedacht. In den Zeiten des Paulus war anscheinend auch nicht alles Gold, was glänzte. Es ging manchmal hoch her in seinen Gemeinden, und auch die Christen in Rom hatten einen großen Streit.

Worum es ging? Nun, Rom ist eine Weltstadt und darum gehören auch zur Gemeinde ganz verschiedene Leute. Das größte Problem aber ist: Viele Mitglieder waren Juden, so wie Jesus und seine Jünger auch. Und sie hielten sich immer noch zur jüdischen Gemeinde und achteten ihre Gesetze und Feiertage. Aber auch Menschen, die vorher keine Juden waren, ließen sich vom Evangelium ansprechen und taufen, Heiden, wie man sie damals nannte. Diese beiden Gruppen, die Juden- und die Heidenchristen waren sich nun nicht einig. Die einen essen kein Schweinefleisch und halten den Sabbat, die anderen können damit nichts anfangen. Was soll das noch? fragen die einen. Ihr habt keine Ahnung, meinen die anderen.

Was hat das mit uns heute zu tun, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Aber so weit weg ist das alles gar nicht: „Und so einer will Christ sein?!", diesen Satz hat der eine oder andere von Ihnen sicher auch schon einmal gesagt oder zumindest gedacht: „So einer will Christ sein und kommt mit seiner Frau nicht zurecht, betrügt das Finanzamt und geht nur Weihnachten zur Kirche ..." Auch in unseren Gemeinden kommen Menschen zusammen, die ganz und gar verschieden sind und ganz verschiedene Vorstellungen haben, was im Leben und im Glauben wichtig ist.

Paulus selbst ist eigentlich auch kein besonders verträglicher Mensch gewesen. Immer wieder ist er mit anderen aneinander geraten, weil er seine scharfe Zunge nicht im Zaum halten konnte. Für die beiden Gruppen in Rom aber hat er einen ganz einfachen Rat: „Nehmt einander an", sagt Paulus. Und zeigt mit zahlreichen Bibelzitaten, dass beide Seiten für Gott gleich viel wert sind-

Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat! Manchem mag dieser Spruch bekannt vorkommen. Als Trauspruch wird er immer wieder gerne genommen.

Dass Menschen aufeinander zugehen und sich die Hand reichen, dass sie aufeinander hören müssen statt übereinander herzuziehen, dass sie versuchen sollen zu verstehen, was im anderen vorgeht und zu begreifen, warum er so ist und nicht anders -- das klingt einfach. Das ist aber sehr schwer. Wie viel Streit verdunkelt allein wieder diese Feiertage, wie viel Angst, dass es Streit geben könnte. Tagtäglich kommen wir bei der Arbeit, in der Familie, auf der Straße mit anderen Menschen zusammen, ‚Jeder ist normal, bis du ihn kennenlernst', hieß einmal ein Buch, und so ist es wohl auch, Je näher du einem anderen Menschen kommst, desto mehr erfährst du von ihm und du begreifst, dass er manchmal eher wunderlich ist als wunderbar..

Paulus weiß das, er ist Mensch genug, ein Hitzkopf noch dazu. Und doch hält er uns noch einmal die Grundlage unseres Glaubens vor Augen: Denkt doch an den Grund, schreibt er, auf dem Ihr, beide Seiten, steht. Denkt doch an das, was Jesus Christus für Euch getan hat.

Dass Christus uns angenommen hat, das ist das, was wir besondern in der Advents- und Weihnachtszeit feiern, jedes Jahr neu. Der große Gott, vor dem wir als Menschen eigentlich nur Angst haben können, weil wir nie so sein können, wie er uns haben will, dieser große Gott kommt zu uns Menschen und wird einer von uns. Er kommt als Kind in diese Welt.

Warum tut er das? Warum verzichtet er darauf, sich durchzusetzen? Warum macht er sich selbst kleiner als er ist? Dafür, so erzählt uns eine Geschichte, gibt es nur einen Grund:

Ein kleiner Engel war sehr enttäuscht, als er von der Erde wieder in den Himmel zurückkehrte, Er hatte versucht, den Menschen in der Adventszeit die Ankunft des Herrn zu verkünden. Aber wegen all ihrer ach so wichtigen Vorbereitungen für das Fest hatte niemand Zeit, ihm zuzuhören. Nur fragte er einen weisen, großen Engel. ‚Warum geht Gott zu den Menschen und wird einer von ihnen, wenn keiner nach ihm verlangt?' ‚Das ist selbst für uns Engel nicht leicht zu verstehen', war die Antwort des anderen, ‚doch Gott liebt die Menschen. Und wer liebt, der kann nicht anders!'

Gott hat uns so lieb, dass er nicht anders kann und Mensch wird, Darum geht es im Advent.

Und das hat auch Paulus begriffen: Christus nimmt mich an. Und darum kann ich das auch: andere annehmen, andere gelten lassen, es in Frieden mit ihnen versuchen.

Praktisch aussehen kann das so: Wenn Frau Meyer und Frau Schmidt, die sich schon seit Jahren nicht mehr grüßen, am dritten Adventssonntag zusammen in der Kirche sitzen, ist damit nicht plötzlich alles gut.

Beide aber hören die Worte, beide verstehen, dass dieses ‚Nehmt einander an!' etwas mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat, beide singen die schönen Adventslieder und spüren eine tiefe Sehnsucht in sich. Und auch wenn sie nach dem Gottesdienst beide wieder nach Hause gehen, in verschiedene Richtungen - ich glaube doch, dass da etwas in Gang gekommen ist und dass beide zehren von dem, was in dieser Stunde passiert ist. Von dem Frieden, van dem sie etwas gemerkt haben, von dem Wissen, wie das Leben sein könnte.

Ich glaube, das meint Paulus mit dem Wort, das er in unserem Predigttext immer wieder betont: Das Wort Hoffnung. Viermal taucht es auf - wie eine Klammer, die alles andere zusammen hält.

Die Hoffnung, sagt Paulus, verbindet in der Gemeinde Juden und Heiden, Starke und Schwache, Reiche und Arme, Junge und Alte. Die Hoffnung, dass Gott hält, was er verspricht, dass da einer ist, der unser Leben und unsere Welt heil macht und am Ende auf jede Frage eine Antwort weiß.


Auch die Menschen damals haben sich gesehnt nach Trost und Hilfe und Kraft, nach einer guten und gerechten Welt. Da sind die Menschen gleich geblieben über alle Jahrhunderte hinweg. Und Paulsu zeigt uns auch noch heute, wo unsere Sehnsucht gestillt werden kann.

Wir haben uns viel vorgenommen für diese Tage bis Weihnachten: Ein schönes Fest soll es werden, daran liegt uns etwas und dafür tun wir etwas. Aber wichtiger als all unser Hetzen ist doch dies: Dass wir mal Pause machen und nach innen schauen. Gott hat sich auf den Weg gemacht zu uns. Er hält immer wieder nach uns Ausschau.

Und was will ich denn anderes, was brauche ich denn anderes, als dass einer mich annimmt, so wie ich bin, als dass ich weiß: Meine Hoffnung hat einen Grund.

Wenn ich es mir recht überlege: Ich freue mich immer noch auf und über die nächsten Tage und Wochen!

Amen.



Pastorin Anita Christians-Albrecht
31303 Burgdorf
E-Mail: Anita.Christians-Albrecht@t-online.de

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