Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christnacht, 24.12.2011

Predigt zu Lukas 2:1-14, verfasst von Eva Tøjner Götke


Er war harte Arbeit gewohnt. Ja, er fühlte sich als Sklave seiner Arbeit.
Er meinte überhaupt, dass das Leben hart gegen ihn war.
Dass der HERR stark gegen ihn war.

So versenkten ihn seine Gedanken immer tiefer in die Finsternis.
Sie zogen ihn immer tiefer in sich selbst.
Und jetzt war es geschehen, dass Trine ihr Kind zur Welt bringen sollte.
Die Aussicht, dass da noch einer zu ernähren war und dass man Zeit haben musste, für ein Kind zu sorgen - Zeit, die auf Kosten der Arbeit ging -, diese Aussicht machte, dass er sich noch mehr Leid tat.

Jan Andersson saß draußen im Schuppen, und Regen tropfte auf ihn herab. Auch nebenan, im Geburtszimmer, war er unerwünscht.
Er fühlte sich verachtet und übergangen.
Einen Moment dachte er, wenn bei der Geburt irgendwas passiert - ja, so tief war er gesunken -, wenn etwas passieren sollte, dann würde ihm das nichts ausmachen.
Aber er hatte nicht es ausgesprochen.
Denn jetzt klang der Schrei von drinnen, und er konnte sich denken, was das zu bedeuten hatte.
Hinein ging er.
Jetzt war der Raum gefegt und geschmückt, eine weiße Tischdecke lag auf dem Kaffeetisch, und der Tisch war mit dem feinen Porzellan gedeckt.
Er konnte den Gedanken nicht unterdrücken, dass es diesmal so aussah, als wäre er die wichtigste Person bei dem Ganzen.
Und dort lag Trine im Bett mit einem verklärten Licht in ihren Augen.

Die alten Weiber reichen ihm das Bündel mit dem Kind, das in Windeln gewickelt ist.
Unbeholfen steht er da mit dem Kind im Arm.
Und siehe da, es gab einen Ruck in ihm!
Sein Herz begann zu klopfen wie nie zuvor.
Er war in seinem Innern nicht mehr wie steif gefroren. Wärme erfüllte ihn.
Er war nicht mehr sauer und mürrisch und besorgt.
Alles war gut.

Er verstand es nicht.
Er bat die Hebamme, ihm den Puls zu fühlen. Etwas musste nicht in Ordnung sein.
Nein, er hatte keine Schmerzen.
Die Hebamme wollte ihm das Kind abnehmen - aber er wollte es nicht weggeben.
„Lass mich das kleine Ding behalten", sagte er.
Da begann sie zu lächeln, die Hebamme, und sagte:
„Habt Ihr nie jemanden so gern gemocht, Jan, dass Ihr ihretwegen Herzklopfen hattet?"
„Neee", sagte er.
Und dann schreibt die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf - sie ist es nämlich, die von Jan Andersson erzählt:
„Aber im selben Augenblick begriff er, was sein Herz klopfen ließ.
Und damit nicht genug, ihm wurde langsam klar, was ihm sein Leben lang im Wege gestanden hatte.
Denn wer nie etwas in seinem Herzen fühlt, weder aus Trauer noch aus Freude, der kann wohl kaum als wirklicher Mensch angesehen werden."

*

Ob die Hirten aus Bethlehem dasselbe erleben durften?
Auch sie hatten harte Arbeit zu verrichten, auch in jener Nacht, während alle anderen schliefen.
Und man achtete sie für nichts, deshalb wollte man sie auch bei der Volkszählung des Augustus gar nicht mitzählen.
Ob die Wärme und das Licht auch in ihnen einen Ruck gaben, so dass ihre Herzen klopften und sie auf ganz andere Weise als vorher das Leben merkten? Ob sie merkten, wie gut das alles ist?

Und ob auch wir heute Abend das erleben dürfen? Und morgen und übermorgen.
Wir hart arbeitenden Menschen, die sich selbst genauso bemitleiden können, wie Jan Andersson es tut, weil das Leben so hart gegen uns sein kann. Manchmal können wir uns wohl auch als Sklaven des atemberaubenden Arbeitstempos fühlen, demgegenüber wir machtlos zu sein glauben.
Und überhaupt kennen wir das Klagelied sehr wohl, das sich in Jan Andersson zunehmend bemerkbar machte.
Sogar Weihnachten ist hart gegen uns.
Weihnachten macht Stress.
Was hatten wir nicht alles zu erledigen, bis es Heiligabend war!
Vielleicht hat jemand sogar die Idee gehabt, dass - ja - wenn er doch bloß nicht geboren wäre, dieser kleine Junge in Bethlehem -, wir würden nichts dagegen haben.
Dann würde uns Weihnachten nicht mit Beschlag belegen.
Dann hätten wir mehr Zeit für die Arbeit.
Und dann wären wir befreit von all dem Ärger mit dem Glauben, dem Zweifel und der Ewigkeit.
Den Religionskriegen.
Dem Verhältnis von Staat und Kirche.
Den Liedern, die zu hoch angestimmt werden, so dass wir nicht mitsingen können.
Kein schlechtes Gewissen würde uns plagen - gegenüber denen, die Not leiden, die Asyl suchen, gegenüber den Armen.
Aber noch bevor wir ausgeredet haben - zum Glück -, läuten die Glocken an Heiligabend!
Und wir kommen in die warme Kirche.
Und wir können uns den Gedanken nicht aus dem Kopf schlagen, dass das alles um unseretwillen getan ist - dass wir dabei am wichtigsten sind.

Und wir können das Kind auf den Arm nehmen.
Und es kann uns einen Ruck geben.
Und unser Herz klopft wie nie zuvor.
Wir brauchen keinen Facharzt für Herzkrankheiten.
Wir brauchen nicht die tüchtigen Herzspezialisten im Krankenhaus aufzusuchen.
Nein, wenn es nach uns ginge, würden wir das Kind gar nicht loslassen.

Könnten wir nur diese Wärme festhalten.
Merken, dass wir lieb haben.
Merken, was es für uns bedeutet.
Wer uns etwas bedeutet.
Vielleicht wird uns bewusst, was unser ganzes Leben lang verkehrt gewesen ist.
Wie es Jan Andersson bewusst wurde.
Denn wer nie etwas in seinem Herzen fühlt, weder aus Trauer noch aus Freude, der kann wohl kaum als wirklicher Mensch angesehen werden.

*

Darum ließ Gott sich als kleines Kind geboren werden.
Um uns zu erlösen.
Um uns zu richtigen Menschen zu machen.
Um die ewige Freude in uns zu wecken.
Das ist alles gut.

Er kam zu uns als ein Kind, um unsere Herzen für andere als für uns selbst und unser Eigenes und unsere eigenen Kinder zum Klopfen zu bringen.

Und da steht dann noch in Überschriften mit großen Lettern in den Zeitungen, dass ihnen - unseren Kindern - Kontakt mit Erwachsenen fehlt.
Und das tut uns Leid um der Kinder willen, sagen wir.
Denn sie brauchen den Kontakt mit uns Erwachsenen.
Aber die Arbeit ruft.
Und Kinder nehmen uns die Zeit für die Arbeit.
Aber vielleicht können wir von Weihnachten lernen.
Lernen von dem, was Jan Andersson erfuhr, als er Vater wurde.
Und es genau umdrehen und sagen: Wir Erwachsenen brauchen Kontakt mit Kindern.

Denn es ist das Kind, das unsere Herzen klopfen lässt.
Es ist nicht unsere Arbeit, unsere Geschäftigkeit. Die machen uns nur krank.
Es ist das Kind, das uns daran erinnert, dass alles gut ist.
Das Kind macht uns vergessen, wenn wir sauer sind und mürrisch und ängstlich.
Es wäre unser Schade, wenn es nicht mitten unter uns weilte.
Denn dann geschieht doch etwas an uns.

*

Und die Frage ist erlaubt, ob man nicht auch sagen kann, dass etwas mit Gott geschehen ist, als er Vater wurde.
Man kann doch wohl sagen, dass Gott durch seinen Sohn Kontakt mit einem Kind bekam.
Und wie Jan Andersson das kleine Ding im Arm behalten wollte, als ihm die Hebamme das Bündel abnehmen wollte,
so will Gott auch uns in seinen Armen halten.
Und wie Jan Andersson, der aus vorbehaltloser Liebe zu seiner Tochter sie sein Leben lang in Schutz nimmt und sie als den Sonnenschein sehen will, der sie ist - auch wenn sie sich seiner schämt,
so will Gott, aus reiner Liebe zu seinen Menschenkindern, davon absehen, wenn wir unser Leben nicht meistern können, und uns allezeit - in alle Ewigkeit - in Schutz nehmen und alles gut machen.

Denn Gott weiß, was wir brauchen, noch ehe wir ihn darum bitten.
Und er gab es uns in der Weihnacht - das Kind in der Krippe.

Möge es das Herz in uns klopfen lassen, so dass wir daheim zusammen mit unseren Lieben Weihnachten feiern - und alles gut sein lassen können.
Frohe Weihnachten!
Amen.



Pastorin Eva Tøjner Götke
Odense
E-Mail: etg@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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