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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christnacht, 24.12.2011

Predigt zu Lukas 2:9-11, verfasst von Ryszard Bogusz

„Und der Engel des HERRN trat zu ihnen, und die Klarheit des HERRN leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids."

Heiligabend - nur das eine Wort, was für ein tiefer Sinn! Jedes Jahr gehen wir mit unseren Gedanken, aber auch mit unseren Gefühlen in das Land, auf die Felder rund um Bethlehem, um Zeugen des Ereignisses zu sein, das die ganze Welt verändern wird.

Schon seit Jahrtausenden hatte man erwartet, dass die Prophezeiung sich erfüllen würde, die besagt, dass der Messias kommt und eine neue Ordnung in die Welt bringt. In seiner Herrschaft soll er herrschen mit Recht und Gerechtigkeit und vor allem mit Liebe, die dazu führt, dass die Menschen sich wie im Paradies fühlen. Denn der Zustand der Menschheit damals war schlecht, voller Leid und Kummer. Zwar haben viele zu Gott gerufen -ihrer nationalen Tradition folgend - sind Gott aber trotzdem ferngeblieben.

In diesem Sinne hat sich auch heute nicht viel geändert, trotz des Umstandes, dass wir Gott in Jesus Christus und in seinem Wort jeden Tag hätten erfahren können und dies auch weiter können.

Heute hören wir aufs neue die Verkündigung, die von den Hirten damals vielleicht nicht ganz verstanden werden konnte: „Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird."

Wir können uns die große Furcht vorstellen, die sie befallen hatte, als der Himmel sich vor ihnen auftat und die Engel sich zeigten,. Das sie so etwas erleben, hätten sie sich nicht einmal im Traum vorstellen können. Sie werden sich gefragt haben, weshalb sie, die armen Hirten, beteiligt werden an einem so großen Wunder, nicht aber der königliche Hof oder die Priester; weshalb gerade sie von so großer Ehre getroffen werden. Das Kommen des Messias, auf den alle so lange gewartet haben, wird ausgerechnet den einfachen Hirten angesagt: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids."

Solche und ähnliche Frage stellen sich zweifelsohne auch die heutigen Christen in ihrem Herzen, wenn sie während des Gottesdienstes der Lesung des Weihnachtsevangeliums lauschen, wenn die Familie sich am Heiligen Abend um den Tisch versammelt.

Liebe Brüder und Schwestern,

heute sind wir alle berufen worden, wie die Hirten aus Bethlehem, um die große Freude zu bestaunen, die sich für das ganze Volk ereignet hat. Heute wollen wir die Kleinigkeiten nicht so wichtig nehmen, die man zur Geburt wahrnimmt, denn Lukas war auch kein Augenzeuge. Der 25. Dezember ist nicht der (historisch verbürgte) Geburtstag Jesu - und es hat auch keinen Sinn über die Windeln zu diskutieren, die Jesus umhüllten; die Krippe, das Heu und die ganze Dramaturgie der Geburt sind ebenfalls unwichtig! Nur eins ist wichtig: Nämlich, dass die Menschheit einen unvergänglichen Wert bekommen hat; das, was er den Menschen gegeben hat, was er sie gelehrt hat und was er für sie ist.

Der Heiligabend ist auch voll des Zaubers, voll wunderbarer Gefühle, paradiesischer Stimmung. An diesem Abend spricht die Verkündigung Gottes zu uns noch intensiver, noch emotionaler. In Wirklichkeit passiert das, was im Hintergrund das malerisch beschreibende Lukas-Evangelium geschieht. Deshalb feiern wir diese Festtage anders als Ostern oder Pfingsten. Wir sind dieser Tage enorm begeistert, sind verändert: freundlich, herzlich, mitfühlend, zärtlich, familiär gesinnt. Wir sind sogar großzügiger in bezug auf karitative Zwecke.

Das alles macht der HERR, über den der Engel sagt: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids."

Euch ist er geboren, also allen, auch denen, die in Armut leben und in Not; denen, die diesen Abend im Armenhaus oder in der Wärme der Bahnhofshalle verbringen ist er geboren. Er ist  auch geboren für die, die durch Gewalten der Natur obdachlos geworden sind; er ist geboren für die in den Krankenhäusern, Altenheimen, Gefängnissen und in Abgeschiedenheit Lebenden und auch für die, die mit Tränen in den Augen beten und Gott bitten, dass der Heiligabend so schnell wie möglich vorüber gehen möge. Er ist geboren für dich und für mich.

Sind wir uns dessen eigentlich bewusst? Sind wir uns bewusst, was Gott tat? Das, was damals in jener wunderbaren Nacht passierte, war Gottes Werk, sonst wäre es nicht passiert. Es war Gottes Plan. Gott selber hat in dieser Nacht zu den Menschen gesprochen und sich ihnen offenbart.

Der Mensch ohne Gott ist hilflos und arm; in Gott aber ist er reich.

Der Mensch ohne Gott ist schwach und der Sünde ausgeliefert; in Gott wird er stark.

Ohne Gott verliert sich der Mensch in Dunkelheit; mit Gott geht er den rechten Weg, der ihn in einen sicheren Hafen führt.

Wohin würden wir gehen, wenn er nicht bei uns wäre?

Christus in die Welt zu senden, war das größte Geschenk Gottes an die Menschen! Diese Gabe können wir in keinem Geschäft kaufen, können sie nicht in die Hand nehmen oder sie wiegen. Diese Gabe können wir nur innerlich wahrnehmen, wie wir auch die Liebe von Mutter oder Vater wahrnehmen.

Ich verkündige euch große Freude!

Wir stellen uns heute die Hirten vor, die von großer Furcht befallen wurden, als die Engel ihnen die Geburt des Welt-Erlösers verkündigten. Obwohl sie - gemeinsam mit ganz Israel - auf den Messias warteten, glaubten sie nicht, dass sie die ersten sein würden, die ihn treffen. Aber sie haben der frohen Ankündigung geglaubt und wurden nicht enttäuscht.

Liebe Brüder und Schwestern,

auch uns fehlt nicht die Freude des Heiligen Abends, vor allem nicht, wenn wir die glänzenden Kinderaugen sehen, die immer wieder in Richtung Weihnachtsbaum blicken; uns fehlt die Freude auch nicht, wenn wir die glücklichen Gesichter unserer Mütter und Väter sehen; und auch fehlt uns die Freude nicht, wenn wir Weihnachtslieder singen.

Wir sind so sehr von der Freude ausgefüllt, dass sie aus unseren Herzen ausfließt, auf unseren Nächsten sich ergießt, unsere Nachbarn umhüllt und alle Menschen, mit denen wir unsere Oblaten teilen und denen wir alles Gute wünschen.

Aber kann das die einzige Freude an diesem Abend sein?

Was ist denn mit dem Kind, dessen Geburtstag wir heute feiern - soll nicht vor allem dieses Kind der Grund und die Quelle unserer Freude sein?

Interessant wäre eine Umfrage mit dem Inhalt: „Spricht man am Heiligen Abend in deinem Haus über Jesus, erlebt man die Freude seiner Geburt?" Wie viel Prozent der Christen würden das wohl positiv beantworten können? Hättest du positiv geantwortet?

Trotz allem steckt in uns ein wenig Heuchelei, wenn wir uns für Gläubige halten, weil wir in die Kirche gehen, unseren Glauben nach außen zeigen. Aber wenn die Zeit kommt, Zeugnis über unseren Glauben abzulegen, finden wir mannigfache Ausflüchte.

Das Christentum, wie wir es heute erleben, entfernt sich immer weiter von der Lehre Jesu; es wird immer mehr zum bloßen Schein, der auf Kosten von Vergangenheit und Tradition lebt! Die Freude, die damals das Volk hatte, hört auf, unsere Freude zu sein, die wir uns doch in diesem Jahr - wie in jedem Jahr - neu vor Augen führen sollen.

Liebe Brüder und Schwestern,

die Freude von Weihnachten braucht in diesen Zeiten die ganze Welt. Jesus hat doch gesagt und wird uns in den nächsten Tagen sagen: Ich kam, damit eure Freude groß sei. Ich habe euch mit mir gebracht die Religion der Freude und Liebe. Sie erlaubt zu Gott zu rufen, dem Herrn über Leben und Tod. Du bist es: Vater unser, der du bist im Himmel.

Der Heilige Abend, den man ihn in der Kirche verbringt, und auch zu Hause unterm Weihnachtsbaum im Kreise der Familie, soll uns aufs neue öffnen für die Verkündigung der Freude, weil heute der Erlöser für uns geboren ist, welcher ist Christus, der HERR.

Amen.



Bischof Ryszard Bogusz
Worlaw/Breslau
E-Mail: diecezia@luteranie.wro.pl

Bemerkung:
Uebersetzung: Margarete Janiszewski und Steffen Lahmann


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