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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Weihnachtstag, 26.12.2011

Predigt zu Matthäus 10:32-42, verfasst von Henriette Pedersen


"Ein Glas Wasser für Johnny"
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Kaum sind die Stimmen des Feldes verhallt, wo die Engel sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens", wird der Unfriede zum Thema, in Jesu eigenen Worten: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert." Ein jeder muss sich da fragen, warum gerade jetzt diese radikale Kehrtwende, noch dazu inmitten der dänischen Weihnachtsbehaglichkeit. Die Antwort liegt im Verständnis des Kontexts, also des Matthäus-Textes insgesamt. Der heutige Ausschnitt nämlich ist ein Teil der Rede, die Jesus vor seinen Jüngern hält, bevor sie in die Welt hinausgesandt werden, um Gottes Frieden zu verkündigen für alles Volk! Für jedes Geschöpf der Erde, quer hindurch und hinweg über geographische, kulturelle, religiöse und sexuelle Unterschiede. Was in der Weihnachtsnacht geschah, hat Konsequenzen. Wir kennen die geschichtlichen Fakten.

Sehen wir uns hier in der Budolfikirche um, so finden wir nicht ein einziges Motiv mit Jesus als Kind in der Krippe. Dagegen ist die Kirche reich geschmückt mit Oster-Szenen. Mit Jesu Leiden, Tod und nicht zuletzt mit seiner Auferstehung. Hier an der Kanzel sind die 12 Jünger dargestellt, in einigen feinen Holzschnitzereien, und sieht man genau hin, dann steht jeder mit einem Gegenstand da. Einem Gegenstand, einer Beigabe, zum Beispiel einem Messer, einer Keule, einem Schlüssel etc., die später mit den Legenden über ihre Verkündigung in der Welt verknüpft worden war und durch die, wie die Tradition behauptet, mehrere von ihnen als Märtyrer umgekommen sind.

In die damalige Welt ausgesandt zu werden mit der Botschaft von Jesu lebendig machendem Wort, war kein Strandspaziergang. Jesu Rede von Glauben, Hoffnung und Liebe bewirkte Empörung und Widerstand, und oft endete die Verkündigung in Gewalt und Tod. Geschehnisse und Verkündigungsbedingungen, die unendlich weit weg sind von unserer dänischen Volkskirchen-Sicherheit, wo die Kirche sowohl in der Verfassung zu finden ist als auch im Staatshaushalt.

Unsere Volkskirche ist in vielerlei Hinsicht eine Selbstverständlichkeit - und Gott sei Lob und Dank dafür! Sie ist und bleibt ein wichtiger, natürlicher Bestandteil im weltlichen Erscheinungsbild des Alltags, nicht weil wir sie so zahlreich aufsuchen, sondern weil wir in der Gewissheit dessen leben, dass sie da ist, wenn wir sie brauchen. Sei es, dass wir dastehen mit einem neugeborenen Kind, das zur Taufe gebracht werden soll, oder dass wir dastehen mit der Last der Trauer über einen verstorbenen Verwandten, Freund oder Bekannten und Jesu Wort hören möchten von der Vergebung der Sünden und dem ewigen Leben.

Doch bevor die friedliche Behaglichkeit das ganze Gerede vom Unfrieden erstickt und beiseite drängt, lassen Sie uns auf eine andere der großen alten Persönlichkeiten schauen, die weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung des Christentums gehabt hat, nämlich auf Paulus - den Apostel und Jünger. Zu Paulus haben viele ein etwas gespanntes Verhältnis; entweder kommt man mit ihm nicht zurande, oder aber er gibt uns reichlich Stoff zum Nachdenken.

Um Paulus zu verstehen, muss der zeitgenössische Kontext immer mitbedacht werden. Denn Paulus spricht in eine bestimmte Zeit hinein, wenn er verlangt, dass die Frauen in der Gemeinde schweigen sollen. Die Übertragung einer derart kulturell bedingten Einstellung in unsere Zeit passt nicht in die moderne Welt. Aber in den alten Zeiten war sie eine verbreitete Vorstellung, denn die Welt war fast allerorts patriarchalisch. Hingegen stoßen wir in der gründlich durchdachten Theologie des Paulus auf Substanzielles, wenn er bekräftigt, dass der christliche Gott keinen Unterschied macht zwischen Mann und Frau, Freien und Sklaven, Heiden und Juden.

Wenn ich Paulus herausstelle, dann deshalb, weil er ein wichtiger Protagonist ist in der heutigen [Epistel-]Lesung. Ein Text, der so wichtig zu sein scheint, dass er in jedem Jahr am 2. Weihnachtstag (auch Tag des Heiligen Stephanus genannt) gelesen wird. Denn vor seiner Bekehrung hieß Paulus Saulus. Er gab Acht auf die Kleidung der Mörder, während die anderen Stephanus steinigten. Da kann man sich schon fragen, ob nicht auch er zu der Steinigung beitrug. „Ja", wäre meine klare Antwort. Denn auch wenn er nicht den ersten Stein warf, war er doch mitverantwortlich. Denn er tat nichts, um die anderen aufzuhalten.

Die jüdische Philosophin Hannah Arendt hat sich eingehend mit dem Bösen befasst. Sie verfolgte unter anderem den Prozess gegen den Nazi Adolf Eichmann in Jerusalem 1961. Eichmann hatte im Dritten Reich die Gesamtverantwortung für den Transport von Juden, Zigeunern, Behinderten, Kommunisten, Homosexuellen, Christen und anderen Widerständlern, die in den Konzentrationslagern ermordet werden sollten. Eichmann bestand während des Gerichtsverfahrens entschieden darauf, dass er lediglich auf Befehl gehandelt habe. Er hatte „ja nur" in einem Bürogebäude gesessen, weit weg von den Vernichtungslagern, und mit dem zeitgemäßen Bewusstsein eines pflichteifrigen Beamten seinen Dienst getan: „Denn es musste doch gemacht werden."

Eichmann wurde verurteilt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und Hannah Arendt kommt zu dem Schluss, dass ein jeder Mensch selbst verantwortlich ist für seinen persönlichen Gehorsam. Es ist und bleibt unsere eigene Verantwortung, wem wir gehorchen wollen und wem wir nicht gehorchen wollen.

Saulus gab Acht auf die Gewänder der Täter und bekam daraufhin ein schlechtes Gewissen; er erkannte, dass er auf der falschen Seite gestanden hatte. Er nahm seine Schuld auf sich, bereute und fand Vergebung in Christus. Eichmann gab „den anderen" die Schuld, denn sie, die Schuld, war keinesfalls seine. Er hatte bloß Befehle befolgt.

Mit dem Evangelium gesprochen, beauftragt Gott uns mit der Geburt in der Weihnachtsnacht und dem Engelgesang zu einem Frieden für alles Volk. Er hat uns einen Retter gesandt, welcher gekommen ist, unsere zweifelhaften Gottesbilder zurechtzurücken. Ja, Gott hat seinen Sohn gesandt, auf dass wir in ihm einen menschlichen Gott sehen und hören, erkennen und spüren können! Einen menschlichen Gott - Unseren Herrn Jesus Christus - welcher will, dass jeder Einzelne von uns Verantwortung tragen soll, füreinander und uns selbst.

Dies bedeutet, dass wir von nun an grundsätzlich und überhaupt begreifen müssen, dass wir alle, allesamt, überantwortet sind an ein Leben in Gemeinschaft miteinander, die Kreuz und die Quer und über alle Unterschiede hinweg. Unterschiede, die wir zu tolerieren lernen müssen - auch wenn wir die anderen nicht begreifen oder uns im heiligen Namen des Narzissmus nicht in ihnen spiegeln können oder sie offensichtlich einfach nur so nicht mögen.

Der Bericht über Stephanus wird zum lebendigen Beispiel in der Machtprobe mit der Vergeltung; darum ist er es wert, an jedem Weihnachtsfest erinnert zu werden. Es muss Schluss sein mit dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn"-Denken - auch dies einer der entscheidenden Punkte der Weihnachtsnacht. Denn „Auge um Auge" macht die ganze Welt blind, wie ein weiser Mann einmal gesagt hat. Das Gegenteil von Vergeltung ist Vergebung. Eben gerade die Vergebung, die in der Weihnachtsnacht geboren wird mit dem Jesus-Kind.

In der Weihnachtsnacht kam die Vergebung zur Welt, und die Worte erklangen: Gottes Friede allen Menschen. Der Friede liegt darin, dass wir es jetzt wissen: uns ist vergeben, und das gibt uns den Frieden, hinaus in den Unfrieden zu gehen - hinaus zu den anderen, mit einem kleinen Glas Wasser für sie. Ganz genau so, wie Jesus am Schluss seiner Aussendungsrede sagt: „Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen."

Amen



Gemeinde- und Klinikpfarrerin Henriette Pedersen
Aalborg
E-Mail: hp@km.dk

Bemerkung:
* Titel eines Dokumentarfilms von Lars Engels, 1994


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