Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 01.07.2007

Predigt zu Lukas 6:36-42, verfasst von Hanne Drejer

Es ist so wahr, so wahr, was unser Herr Jesus hier sagt: Seid barmherzig - richtet nicht - verdammt nicht - vergebt und gebt, so wird euch gegeben!

             Und es könnte so aussehen, als sei das nun eine klare Chance, eine richtige Moralpredigt zu halten, den Zeigefinger zu heben und mit einer notwenidigen Donnerrede zu kommen, dass wir nicht verurteilen sollen und dass wir vergeben sollen, anstatt zu verurteilen! Denn es wimmelt ja nur so mit Beispielen für das Gegenteil: wir vergessen, barmherzig zu sein, wie verurteilen, anstatt zu vergeben.

             Aber eine solche Predigt würde doch verlangen, dass ich wüsste, wie wir lernen können, barmherzig zu sein und zu vergeben, und wohlgemerkt, Barmherzigkeit und Vergebung zu zeigen nicht nur bei Kleinigkeiten und Petitessen, sondern in erster Linie denen gegenüber, die mir wirklich etwas Schlimmes angetan haben, so dass es fortgesetzt weh tut. Und das Rezept kenne ich nicht. Ich muss zugeben, ich selbst bin nicht imstande, nach den schönen Worten zu leben.

             Es ist ja keine Kunst, großzügig zu sein und zu vergeben, wenn es andere sind, die willige Opfer für Übergriffe gewesen sind. Es ist ungleich schwerer, um nicht zu sagen unmöglich, zu vergeben, wenn ich selbst von etwas getroffen worden bin, was richtig weh getan hat.

             Wenn wir in unserem gegenseitigen Verhältnis moralisch werden, geschieht nämlich gewöhnlich das sehr schnell, worüber sich Jesus auch völlig im Klaren ist: warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber nicht den Balken in deinem eigenen? Du Heuchler, sieh zu, dass du erst einmal den Balken aus deinem eigenen Auge entfernst, ehe du dich allzu eifrig des klitzekleinen Splitters deines Bruders annimmst.

             Diese Beschreibung, die auf die meisten von uns zu passen pflegt, wird dann heute durch die erste Erzählung aus der Bibel, die wir im Gottesdienst gehört haben, noch veranschaulicht: durch die Erzählung von dem großen König David, der den großen Balken in seinem Auge nicht sah, sondern nur den kleinen Splitter bei dem reichen Mann in der Erzählung des Propheten Nathan.

             David war ein mächtiger und auf mancherlei Weise mit Recht gefeierter König in Israel. Er hatte seit seiner Jugend das Glück auf seiner Seite gehabt und sein Land nun zu einer Großmacht gemacht. Aber bekanntlich korrumpiert Macht, und der große König David erwies sich als ein genau so kleiner Mensch wie die meisten anderen.

             Sein Auge war auf die schöne Bathseba gefallen, die allerdings mit Urias, Davids General, verheiratet war. Um Bathseba zu bekommen, stellt David nun den Ehemann auf einen Uriasposten, wie man das seither genannt hat. David sorgt dafür, dass Urias in der nächsten Schlacht, die das Heer zu schlagen hat, auf einen so gefährlichen Posten gestellt wird, dass er fallen muss. Und als Urias erst einmal beseitigt ist, kann David die schöne Bathseba in seinen Harem heimführen.

             Aber da kommt eines Tages der Prophet Nathan zu David und erzählt ihm folgende Geschichte: Es waren einmal zwei Männer in einer Stadt, der eine war reich und machtvoll und hatte viel Vieh, der andere war arm und hatte nur ein einziges kleines Lamm, das dafür aber sein ein und alles war.

             Als nun der reiche Mann einmal Gäste hatte, brachte er es nicht über sich, Tiere aus seinen eigenen Beständen zu schlachten, sondern er nahm das einzige Lamm des armen Mannes für das Festessen. Als David das hörte, wurde er zornig und sagte: der Mann ist des Todes! Worauf Nathan nur sagen kann: Du bist der Mann, Herr!

             Und nun ist allerdings zum Lobe Davids zu sagen, dass er sogleich seinen Fehler einsah und um Vergebung bat. Und man mag hoffen, dass er dann auch künftig danach gelebt hat.

             Dass er also einsah, dass ein Mensch immer ein Mensch ist. Und dass wir, ob wir nun reich oder arm sind, aus demselben zerbrechlichen Stoff gemacht sind und dass niemand von uns ohne Fehler ist, oder wie es die Bibel sagt, wir sind alle Sünder.

             Das ist eine Tatsache, an der wir nichts ändern können, und glauben wir, wir könnten es, enden wir in einer noch größeren Heuchelei.

             Wir pflegen recht gut den kleinen Splitter bei anderen finden zu können, und schleppen doch selbst einen riesigen Balken mit uns umher.

             Heuchler, nimm zuerst den Balken aus deinem eigenen Auge, dann kannst du hinreichend klar sehen, um den Splitter bei deinen Bruder zu entfernen, so heißt es.

             Und da ist es dann doch die Frage, ob nicht genau an dieser Stelle die ganz große Heuchelei beginnen kann: wenn man nämlich mit großem Eifer damit beginnt, Balken aus sich selbst zu entfernen, um als eine Person dazustehen, die einen hinreichend klaren Blick hat, um Splitter bei seinen Mitmenschen aufzuspüren.

             Dass die ehrliche Selbstprüfung also nicht den Sinn hat, sich selbst zu verbessern, sondern als Erlaubnis benutzt wird, seine Mitmenschen zu kritisieren. Für solche Art selbstgerechter Dienstbereitschaft würde man sich nun wohl gerne bedanken. Und das hieße denn ja auch, dass man die Worte unseres Herrn gründlich missverstünde, wenn man glaubte, das sei die Pointe.

              Denn hat unser Herr Jesus dies nicht mit einem Lächeln auf den Lippen gesagt? Mit einem Lächeln wie damals, als man eine Frau bei Unzucht ertappt hatte und sich nun seine, Jesu Erlaubnis wünschte, sie zu steinigen, und er sagte: wer rein ist unter euch, kann ja den ersten Stein werfen.

             Mit diesen Worten meint Jesus ja nicht, dass sie nach Hause gehen und in ihrem eigenen Leben ein wenig Ordnung schaffen können und im übrigen dann kommen und die Steine werfen können.

             Jesus meint natürlich, dass der Ort, wo wir den Rücken frei haben und fehlerlos und unangreifbar sind, so dass wir andere frei angreifen könnten - dass es den Ort gar nicht gibt.

             Es geht hier also nicht um die Aufforderung, sich selbst reinzuwaschen, damit man andere kritisieren kann, sondern um eine Aufforderung zu ehrlicher Selbstprüfung, damit wir einsehen, dass wir alle an derselben Stelle stehen - jeder einzelne - und dass das im Verhältnis zu Gott die verkehrte Stelle ist. Die Stelle, wo wir einsehen, dass es eine Tatsache für alle Menschen ist, dass wir Fehler machen und dass uns die Herrlichkeit von Gott fehlt!

             Und genau aus diesem Grunde kann eine christliche Predigt niemals eine Moralpredigt sein. Dann wäre sie kein Evangelium mehr. Das Evangelium ist ja gerade die Botschaft, dass wir leben dürfen trotz aller Splitter und Balken, die es in uns gibt. Dass wir dennoch froh und frei leben können, weil Gott es so will. Weil er der ist, der ewig liebt und vergibt.

             Denn was passiert, wenn wir glauben, wir könnten fehlerlos sein? Wenn wir unser Leben nicht danach einrichten wollen, dass jeder von uns Fehler und Mängel hat? Darüber können Psychologen eine Menge sagen. Dann trägt man ein Idealbild von sich selbst in sich, und man will gern, dass andere daran glauben, während man nichts davon wissen will, wie man in Wirklichkeit ist.

             Wie Psychologen es ausdrücken können, geschieht da oft dies, dass der Mensch, der nicht mit seinen eigenen dunklen Seiten leben will, oft geneigt ist, das Dunkle auf seine Mitmenschen zu übertragen und sie als Gegner und Feinde zu betrachten, während das alles doch in einem selbst liegt.

             Und es sind wohl nur andere Worte für die Worte Jesu über den kleinen Splitter, den du so deutlich bei anderen siehst, während du deinen eigenen, sehr viel größeren Balken nicht siehst.

             Aber wie können wir ertragen, ehrlich und realistisch uns selbst anzusehen, mit allen Balken und Fehlern, Versäumnissen und Kleinigkeiten, ohne uns selbst zu verachten? Ja, das können wir eben nur, weil wir an die Vergebung der Sünden glauben dürfen. Daran glauben dürfen, dass Jesus Christus nicht nur kam, um uns alle miteinander als Sünder zu enthüllen, sondern vor allem kam, um einen jeden, der an ihn glaubt, zu versöhnen und zu erlösen.

             Wir können also darauf vertrauen, dass Christus die Splitter und die Balken und alles andere Dunkle in uns am Karfreitag mit ans Kreuz nahm. Dass er starb, damit wir leben können.

             Wir dürfen nie die Ideale vergessen, dass wir barmherzig sein sollen, dass wir nicht urteilen und verurteilen sollen, dass wir vergeben sollen. Aber wir dürfen auch nie die Wirklichkeit vergessen, dass wir mit den Idealen nie fertig werden - keiner von uns.

             Wir alle haben diese Aufgabe und wir alle haben dabei Gottes Nachsicht nötig. Und die haben wir, Gott sei Dank, in Jesus Christus.

Amen

 



Pastorin Hanne Drejer
Asperup, Dänemark
E-Mail: hdr@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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