Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Epiphanias, 22.01.2012

Predigt zu Lukas 17:5-10, verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

Die Apostel sagten zu dem Herrn: „Gib uns einen stärkeren Glauben!" Es ist nicht schwer, den Wunsch dieser Menschen zu verstehen - stünden wir selbst vor dem lebendigen Sohn Gottes, läge es auch für uns nahe, so zu bitten. Glücklich der, der mit diesen Worten im Unglück beten kann, glücklicher der, der im Glück so beten kann!

Wir müssen uns wohl ständig darüber im Klaren sein: wenn das Glück am leichtesten zu spüren ist; wenn alles zum Besten steht in den verschiedenen Zusammenhängen, in denen wir leben - bei der Arbeit, beim Studium, in der Familie, der Liebe oder überhaupt in dem Leben, das man lebt -, gerade dann taucht die Angst auf, dass man alles auf einmal verliert.

Die Angst, das ist die Furcht, dass alles, was einem jetzt gelingt und als Fortschritt gelten kann, plötzlich zu Ende sein könnte. Dass alles nur vorläufig ist und unsere Träume sich nicht mit der Wirklichkeit messen können. Wenn man der Erfüllung seiner Träume ganz nahe zu sein glaubt, geschieht es oft, dass die Furcht, alles mit einem Mal zu verlieren, am größten ist. Dann stellt sich der Zweifel ein.

Wenn sich der Glaube schließlich entfaltet, wenn das Vertrauen auf das, was man sich erhofft, und sich die Überzeugung von all den Dingen, die nicht sichtbar und messbar sind, für uns zurechtlegt, gerade dann übermannt uns der Zweifel.

Glaube und Vernunft müssen in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Aber vielleicht ist es nötig, sich die Bedingungen näher anzusehen, die dieses Bündnis für den Glauben wie für die Vernunft stellt, wenn sich das Verhältnis ändert und die Vernunft eine kritische Stellung gegenüber dem Glauben einnimmt. Wenn der Jünger Thomas sein Kommen ankündigt und wie die Schlange im Paradies fragt: „Ist das nun auch wirklich so?" Wenn unsere Schwäche durchschlägt und sich der Zweifel meldet.

Wenn wir erleben, dass wir selbst mitten zwischen der Zeitlichkeit und der Ewigkeit, zwischen Kultur und Natur, zwischen dem wichtigsten Halt in unserem Leben und dem Abgrund stehen - oder, wenn man so will, zwischen Gott und den Dämonen, in welcher Lage ist dann der Glaube?

Der Glaube ist Gewissheit, insofern er eine Erfahrung des Heiligen ist - wenn es denn religiöser Glaube ist, von dem wir hier reden; zugleich aber ist der Glaube Ungewissheit, insofern die Unendlichkeit, zu der sich der Glaube verhält, von so schwachen und „begrenzten" Wesen wie uns empfangen werden soll. Solange Gott und Mensch kraft der Tatsache getrennt sind, dass sich der Mensch in seiner Sünde von Gott abwendet, ist diese Ungewissheit zu akzeptieren. Und wir können diesen Akzept als Mut charakterisieren.

Sich unbedingt zu einem Anliegen zu verhalten - sich der Liebe in die Arme zu werfen, ohne Garantieen zu haben; sich auf die Tiefen das Wassers zu begeben, um mit Jesus zu wandern, ohne seine Finger und Hände in die Wundmale seines Leibes gelegt zu haben, das ist das größte Risiko, das ein Mensch eingehen kann - denn es ist ein Wagnis, das größer ist als das Leben selbst. Wenn dies Anliegen nämlich nicht an sich unbedingt ist, also wenn Gott nur in der Form einer Phantasie und eines Trostes in einem unsicheren Dasein erlebt wird, dann bricht die Welt des Glaubenden zusammen, denn dann handelt es sich nur um das Erlebnis einer Selbsttäuschung.

Es ist das größte Risiko, aber es verleiht auch den größten Sieg. Denn der Sieg ist, wie der Einsatz, größer als das Leben selbst.

Sich zu seinem Schicksal zu verhalten; zu Liebe und Glauben, zu Möglichkeiten und Erkenntnis dessen, wie viel wir eigentlich mit den Gaben, mit denen Gott uns ausgerüstet hat, bewirken können - das verlangt Mut. Denn das Leben ist risikabel, und nur wer wagt, gewinnt.

Der Zweifel liegt immer auf der Lauer, und der Zweifel kann über den Glauben siegen. Aber der Zweifel enthält immer noch Glauben, denn sonst wäre er ja gleichgültig. Die beiden Größen, der Glaube und der Zweifel, werden oft in einen Gegensatz zueinander gestellt. Es ist natürlich für einen Menschen, auf die Abgeklärtheit hinzuarbeiten, in der Glauben und Zweifel nicht mehr miteinander kämpfen, aber obwohl das Element des Zweifels überwunden ist, ist es doch gegenwärtig. Bei denen, die blind auf ihren unerschütterlichen Glauben vertrauen, sind Pharisäismus und Fanatismus unverkennbare Symptome unterdrückten Zweifels. Jedoch: Zweifel lässt sich nicht durch Verdrängung überwinden, sondern nur durch Mut.

Verliert man den Mut und verfällt dem Zweifel, wird das Ergebnis entweder Verzweiflung oder Zynismus sein. Und wenn man vom Zweifel nicht mehr zu bewegen ist oder wenn der Zweifel unerträglich wird, ist das Ergebnis Indifferenz und völlige Gleichgütligkeit. Diese Gleichgültigkeit ist natürlich ein trauriges Ergebnis, da es doch zum Wesen des Menschen gehört, nach Antworten zu suchen. Ohne Zweifel keine Haltung; ohne sich zu irgendetwas zu verhalten keine Persönlichkeit. Die unmittelbare Gewissheit besteht nur dort, wo der Mensch in seiner eigenen Endlichkeit steht und zugleich eine Teilhabe an der Unendlichkeit erlebt; und wohlgemerkt: sich nach diesen beiden Seiten hin zu verhalten wagt.

Dieser Zweifel, der uns alle trifft - in Fragen des Glaubens und in anderen der größten Fragen des Lebens -, fordert unseren Einsatz.

Damit der Zweifel aufgehoben werden kann, ist ein Einsatz von Seiten des Menschen notwendig. Der Einsatz ist der Glaubende selbst, unser ganzes Leben und die Hoffnung auf die Ewigkeit, alle moralischen Urteile in unserem Leben und unser gesamtes Weltbild. Die Seligkeit der Glaubenden ist also der Einsatz, und deshalb sind Glaube, Zweifel und Mut nicht voneinander zu trennen. Der Glaubende ist darum nicht immer im Zweifel, aber der Zweifel ist zu jeder Zeit als ein notwendiges Glied in der Struktur des Glaubens notwendig. Glaube ist also nur möglich, wo ein Paradox auftritt, also etwas, das beim Verstand Anstoß erregt.

Selig sind die, die nicht gesehen haben und doch glauben. Denn beim Glauben geht es nicht darum, sich seiner Sinne zu bedienen, sondern es geht um Vertrauen. Wie es im Hebräerbrief heißt: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht."

Glaube ist feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ich hoffe, dass Jesus am Kreuz starb, und ich hoffe, dass Gott Vater IHN aus dem Grab erhob; IHN in seinen Händen trug und zuließ, dass ER 40 Tage danach gen Himmel fuhr. Denn wenn ich glaube, dass Gott SEINEN SOHN aus dem Grab erhebt, dann kann ich auch daran glauben, dass ER dasselbe für mich tun wird. Darauf hoffen wir Christen, und unser Glaube ist eine feste Zuversicht darauf.

Und dann ist unser Glaube auch eine Überzeugung von den Dingen, die wir lesen, die wir aber nicht selbst gesehen haben. Der Christ glaubt an die Wundmale an Händen und Füßen, und an die Wunde in der Seite, ohne sie gesehen zu haben. Wir können manchmal daran zweifeln, aber dann gilt es, zum festen Grund des Glaubens zurückzukehren. Und das tut man, indem man sich wieder Gott zuwendet. Denn Gott ist es, der uns den Glauben gegeben hat. Der Glaube ist nicht als Ergebnis aus vielen gelesenen Büchern oder aus regelmäßigem Kirchgang oder vielen Gebeten und einem frommen Leben gekommen. Der Glaube wird von Gott in Liebe gegeben, und er wird in uns gepflanzt, und er wird uns auf unserem Lebensweg folgen. Aber wenn der Zweifel uns dann von diesem Weg vertreiben will - und das will er ununterbrochen -, dann muss man vielleicht zu den Büchern greifen und zu den Gottesdiensten und den Gebeten, um auf den Weg zurückzugelangen. Dies alles als Audruck dessen, dass wir uns Gott zuwenden wollen und somit wünschen, dem Zweifel den Rücken zu kehren.

Denn Glaube ist feste Zuversicht auf das, was man hofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht. Glaube erfordert Mut, und Glaube verlangt ganz sicher einen Einsatz unsererseits. Wenn aber der Zweifel zu groß wird, können wir uns doch im Gebet und um das Wort Gottes versammeln, denn dann wird Gott selbst zu uns kommen, obwohl wir in der Macht des Zweifels sind. Denn in der Kirche und zum Gottesdienst ist nicht nur der Glaubende willkommen, sondern auch der Zweifler.

Amen.



Pastor Michael Wagner Brautsch
Darum v/Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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