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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 05.02.2012

Predigt zu Matthäus 25:14-30, verfasst von Peter Fischer-Møller

Die Schriftstellerin Karen Blixen (1885-1962) stürzte sich in jungem Alter auf ein unmögliches Projekt. Sie wollte eine Farm in Afrika erwerben und bewirtschaften. Mit Aussicht auf die Ngong Hills bei Nairobi in Kenia kauften sie und ihr Mann eine Farm, auf der sie Kaffee anbauen wollten. Sie hatten einen großen Traum, aber es war schwierig, in Wirklichkeit umzusetzen, wovon sie träumten. Die Ehe zerbrach, der Boden war zum Anbau von Kaffeepflanzen nicht besonders geeignet, und am Ende ging die Farm in Flammen auf. Karen Blixen hat in ihrem Buch „Den afrikanske farm“ (Autorenname und Titel der deutschen Übers.: Tania Blixen: „Jenseits von Afrika“) das unmögliche Projekt, dem sie sich hingab, beschrieben, das Wagnis, das es in Wirklichkeit war, und die Niederlagen, die sie erlitt. Das Leben ist eine riskante Angelegenheit. Es reicht aus, einen Menschen dazu zu bringen, dass er seine Fühler einzieht und seinen Träumen und seinem Engagement engere Grenzen zieht.

            Die Furcht vor allem möglichen beschränkt das Dasein und nimmt dem Leben den Atem, so dass weder wir selbst noch andere noch Luft kriegen.

            Im Evangelium von heute gibt Jesus uns ein drastisches Mittel gegen die allgemeine Furchtsamkeit an die Hand – und das Mittel ist Gottesfurcht.

            Gottesfurcht haben die Menschen seit urdenklichen Zeiten gekannt.

            Adam und Eva versteckten sich im Garten Eden.

            Moses verbarg sich vor Gott beim brennenden Dornenbusch.

            Die Jungfrau Maria und die Hirten waren entsetzt, als ihnen der Engel erschien, und nach der Auferstehung meldet Jesus sich vor den Jüngern mit einem „Fürchtet euch nicht!“

            Die ganz natürliche Reaktion auf eine Begegnung mit Gott ist, dass einem angst und bange wird. Als Luther seinen Kleinen Katechismus schrieb und zur Erklärung der Zehn Gebote kam, fängt er alle Erklärungen mit einem „Wir sollen Gott fürchten und lieben“ an.

            Gott fürchten, das sollen wir, denn wenn wir Gott nicht fürchten, wird sich unsere Furcht auf Anderes richten. Dann fangen wir stattdessen an, uns gegenseitig zu fürchten. Dann glauben wir, bei allem gehe es darum, zu behalten, was wir haben. Und dann wird die Welt immer mehr zu einem gefährlichen Aufenthaltsort, dann wird sie ärmer an Versöhnung und friedlichen Lösungen und reicher an Schutzmauern und Vergeltungsaktionen.

            Wir sollen Gott fürchten, um in unserem Menschenleben miteinander nicht zu verkrampfen. Das ist es, was ich heute in der Geschichte höre, die Jesus über die anvertrauten Talente erzählt. Der Herr in der Geschichte ist Gott. Er hat uns das Leben anvertraut, und vor ihm haben wir Rechenschaft abzulegen. Jesus will uns sagen, dass das Leben nicht unser Eigentum ist, sondern ein Gabe und eine Aufgabe von Gott. Und er will, dass wir überlegen – nicht, welchen Gewinn wir vom Leben haben, sondern welchen Gewinn das Leben von uns  hat, ob wir unser Leben dazu bringen können, dass es arbeitet, dass es wächst  − oder ob wir es für uns haben wollen und uns verstecken. Er will unsere Augen öffnen, so dass wir das uns anvertraute Leben in Gottes Perspektive sehen, und er stellt uns die Frage, wem von den drei Knechten wir am liebsten ähnlich sein wollen. Man sagt, Gott sei mit der Zeit milder geworden. Und jedenfalls stimmt es, dass wir Pastoren immer seltener über Gottesfurcht reden. Wir sind freundlich geworden, bis an die Grenze der Scheu vor dem Konflikt. Wir verdammen die Sünde nicht mehr, wir greifen nur ungern zu Ermahnungen. Wir reden lange und mit Inbrunst von Gott als unserem grenzenlos lieben und vergebenden Vater. Und auf diese Weise gelingt es uns, ein Bild von uns selbst zu zeichnen als seinen verhätschelten Kindern, als könnten wir tun und lassen, was wir wollen, ohne dass wir im Ernst mit unserem Herrn in Konflikt geraten.

            Wenn wir nur in der Zeit um einige wenige Jahrhunderte zurückgehen – da war der Ton schärfer. Und es ist nur gut, dass die Dichter der Kirchenlieder von Luther über Kingo und Grundtvig bis hin zu den Poeten unserer Tage der Milde Grenzen zeigen können. Wie es ja auch eine gute Sache ist, dass unser Bild von Gott in unserer Zeit von unseren moslemischen Landsleuten herausgefordert wird, die sich fünfmal täglich vor ihm verbeugen und in den Staub werfen. So wie es auch mit Karen Blixens Gottesbild von Seiten ihrer moslemischen Diener in Afrika geschah. Denn wenn wir aus Besorgnis, möglicherweise Menschen aus der Kirche zu vertreiben, von Gott nur als dem lieben Vater aller Menschen und aller Dinge reden, dann machen wir ihn sehr viel kleiner, als er ist. Dann machen wir uns einen Gott im Taschenformat zurecht, er wird reduziert auf einen Waschlappen, und unsere Predigt wird zu unverbindlichem Gerede vom lieben Gott.

            Gott aber ist größer. Ja, Gott ist unendlich viel größer, als wir zu begreifen vermögen. Er ist so groß und unbegreiflich wie das Leben. Und mitten in diesem unbegreiflichen und manchmal in unseren Augen ungerechten Leben folgt Gott uns mit ernster Aufmerksamkeit. Und das ist es, was Jesus heute sagen will.

            Gott ist in seiner Liebe mutiger, als wir es sind. Er ist nicht konfliktscheu, er versucht nicht, einer Auseinandersetzung mit uns aus dem Wege zu gehen. Und das tut er mit der Erzählung von den anvertrauten Talenten. Während die beiden ersten Knechte sich um das Geld kümmerten, das ihnen anvertraut worden war, um die Aufgabe und die Herausforderung, die darin lag, und darum, so gut sie es nur konnten, mit dem Geld umgingen, entschied sich der dritte Knecht dafür, sein Talent zu vergraben. Warum tat er das? Weil er sich fürchtete. Weil er zu geringe Gedanken von Gott hegte. Er fürchtete Gott gewiss, aber er liebte ihn nicht und hatte kein Vertrauen zu ihm. Anstatt das ihm Anvertraute als eine Gabe und Aufgabe, als eine Möglichkeit zu sehen, betrachtete er es als eine Drohung. Er richtete seine Augenmerk weg von dem Talent und weg von dem, was man damit würde gewinnen können, und wandte seine Aufmerksamkeit nach innen, auf sich selbst und darauf, wie er sich am besten würde absichern können.

            Søren Kierkegaard hat sich sehr für diese Geschichte interessiert. Für ihn ist es eine Geschichte darüber, dass man etwas wagt. Kierkegaard findet, wir könnten das Vergnügen gehabt haben, von einem weiteren Knecht zu hören. Es würde uns helfen, so schreibt er, die Geschichte voll und ganz zu verstehen. So wie uns die Geschichte vorliegt, gleicht sie einem Entweder – Oder. Entweder verdoppelt man, was einem anvertraut ist, oder es verbleibt ungenutzt. Aber es hätte ja auch etwas ganz Anderes kommen können. Es könnte einen vierten Knecht gegeben haben, der sehr mutig mit dem Vermögen seines Herrn umgegangen wäre, es aber in die falschen Aktien investiert hätte, so dass es bis auf Heller und Pfennig verloren gegangen wäre, so dass keinerlei Rest geblieben wäre, für den er hätte Rechenschaft ablegen können. „Hätte er – so schreibt Kierkegaard − nicht eher Vergebung erlangt als jener Vorsichtige?“

            Das ist eine gute Idee. Denn das, wovon Jesus spricht, ist ja kein himmlischer Verein für Investitionen, für den Gott einem Buchhalter gleich die Aktienkurse an der Börse aufmerksam verfolgen würde.

            Nein, Jesus spricht von Wagemut, er spricht davon, dass wir jeweils das Leben, das uns anvertraut ist, zu leben wagen.

            Die Pointe besteht darin, dass die Talente an sich nichts sind, sie erhalten erst ihren Wert, wenn sie investiert werden, wenn wir sie zu irgendetwas gebrauchen. Das Leben ist nicht etwas, was wir jeweils für uns selbst hätten, es ist etwas, das sich im Zwischenraum zwischen uns entfaltet. Dort, wo wir es miteinander zu teilen wagen.

            Genauso hat Jesus ja sein Leben genutzt. Er war bestimmt nicht vorsichtig mit seinen Talenten. Er investierte alles, was er hatte, in andere Menschen – und am meisten in diejenigen, von denen niemand meinte, sie wären etwas wert. Und − menschlich gesehen − endete Jesus eben wie Kierkegaards vierter Knecht, der alles restlos vergeudete. So sah es aus, als Jesus am Ende, verurteilt wie ein Verbrecher, einsam an seinem Kreuz starb. Er ist der vierte Knecht, den Gott selbst über alles gesetzt hat. Durch ihn hören wir noch heute die Botschaft von Gottes riesengroßer, scharfer, starker, vergebender und erhebender Liebe.

            Wir kommen sehr leicht auf die Idee, das Gleichnis von den anvertrauten Talenten als eine Art Bilanz zu betrachten, als eine Geschichte, die davon handelt, wie unser Leben aussieht, wenn wir bald sterben müssen und wenn die Bilanz unseres Lebens zu ziehen ist. Was hast du erreicht in deinem Leben? „Hast du bekommen, was du wolltest? Hast du deine Melodie hören können?“, wie es in einem populären Lied heißt, das oft bei Beerdigungen gewünscht wird.

            Aber ich glaube nicht, dass wir die Geschichte so hören sollen. Sie handelt nicht davon, was wir am Ende von unserem Leben gehabt haben, sondern davon, was das Leben gerade jetzt von uns bekommt. Sie fordert uns auf, zu leben, hinauszugehen und das, was uns von Gott anvertraut worden ist, wachsen und gedeihen zu lassen. Sie ist gleichsam ein Fragebogen, der auf einige empfindliche Punkte aufmerksam macht. Wie groß glaubst du, dass das Leben ist? Würdest du akzeptieren, dass es nur gerade gut genug ist, aber nicht gerade umwerfend? Geht es im Leben darum, dass man seine Zeit auf eine Art und Weise hinbringt, die die Möglichkeit von Kritik an dir ausschließt? Oder hast du größere Träume? Glaubst du, dass das Leben sehr viel größer ist, als wir zu begreifen vermögen? Wirst du dir Mühe geben, dem zu entsprechen?

            Jesus gibt uns einen ordentlichen Stoß, um uns dazu zu bringen, dass wir uns dem Wagnis öffnen, dass wir viel wagen, dass wir uns selbst und unsere Empfindungen in andere Menschen zu investieren wagen, dass wir das Risiko wagen, enttäuscht und im Stich gelassen zu werden, dass wir wagen, auch Fehler zu begehen und uns Missverständnissen auszusetzen, ja, dass wir vielleicht sogar als Mitmenschen fallen gelassen, ausgeschlossen werden.

            Wenn wir das nicht tun, sagt Jesus, wenn wir keinerlei Risiko eingehen, werden wir ganz sicher einen Gewinn davon haben: wir werden genauso ängstlich und einsam wie der dritte Knecht sein, jener Mann in der Finsternis, der nichts anderes konnte als weinen über das Leben, das er nicht bekam.

            Karen Blixen wagte sehr viel, als sie sich nach Afrika aufmachte und ihr eigenes Geld und einen bedeutenden Teil des Vermögens ihrer  Familie in eine Kaffeefarm investierte, sich intensiv um die eingeborene Bevölkerung kümmerte und sich hoffnungslos in Dennis Finch Hatton verliebte. Und sie verlor alles. Den Geliebten und die Farm und die Beziehung zu Afrika. Aber was dabei herauskam, war eine lange Reihe fantastischer Erzählungen, an denen wir uns noch heute erfreuen und von denen wir uns anregen  lassen können. So ist es auch mit der Geschichte von den anvertrauten Talenten. Sie endete nicht in der Finsternis mit der Urteilsverkündung und Ungerechtigkeit. Es wurde eine längere Geschichte daraus. Jesus setzte sein Leben dafür ein, er starb und auferstand, um uns heute mit der Geschichte erreichen zu können, um uns Mut zu machen, den heutigen Tag anzugehen.

Amen



Biskop Peter Fischer-Møller
Roskilde
E-Mail: pfm@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung von Dietrich und Eberhard Harbsmeier


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