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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 08.07.2007

Predigt zu Lukas 14:25-33, verfasst von Claudia Bruweleit

Liebe Gemeinde,
Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi werden auch heute noch dringend gesucht. Im Gesetz- und Verordnungsblatt der Nordelbischen Kirche liest sich das in Stellenausschreibungen für Pastorinnen und Pastoren so:  Die Domgemeinde zu Lübeck sucht eine „erfahrene pastorale Persönlichkeit" und erwartet zum Beispiel
-ein klares geistliches Profil, liturgische Kompetenz und Präsenz,
- eine theologisch gut fundierte, anregende Predigt,
- Zeit für Seelsorge,
- Teamfähigkeit (...),
- Erfahrungen in der Gemeindeleitung, einen offenen Blick für die Stadt und die Fähigkeit, kirchliche Anliegen öffentlich zu vertreten.

Eine Dorfgemeinde sucht eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter für die Kinder- und Jugendarbeit und wünscht sich eine Person,
die sowohl jüngere Kinder als auch Jugendliche ansprechen und für gemeinsame Aktivitäten gewinnen kann,
die zu Fahrten, Freizeiten, Zeltlagern bereit ist,
die an die Konfirmandenarbeit anknüpft,
die die Jugendarbeit mit neuen Ideen bereichert
die handwerklich geschickt ist
die sich kollegial in das Team einbringt
und ihren Arbeitsbereich auf Kirchenkreisebene und durch Öffentlichkeitsarbeit vertritt.

Nachfolge Jesu im Spiegel kirchlicher Arbeitgeber setzt die unterschiedlichsten Qualifikationen voraus. Ins Staunen gerät, wer daneben die Bibel legt und Jesu eigene Worte zur Bezeichnung seiner möglichen Nachfolgerinnen und Nachfolger liest.
Der Evangelist Lukas hat sie auf geschrieben im 14. Kapitel seines Evangeliums.

Lk. 14, 25-33
25 Es ging aber eine große Menge mit Jesus; und er wandte sich um und sprach zu ihnen:
26 Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.
27 Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.
28 Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, -
29 damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten,
30 und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen?
31 Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend?
32 Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden.
33 So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.


Ernste und verstörende Worte sind das, die Jesus den Menschen sagt, die zu ihm gekommen sind. Worte, bei denen wir heute noch zusammenzucken und uns fragen: Kann ich dem gerecht werden? Reicht mein Glaube, meine Entschlossenheit aus für diesen Anspruch? Wäre dies nicht eine spontane Begegnung, sondern eine Stellenausschreibung heutiger Zeit - Wer von uns würde sich darauf  bewerben?

Doch es geht nicht um unsere Entscheidung für einen Job, den wir wieder kündigen könnten. Es geht um mehr. Die Beispiele vom Bauherrn, der einen Turm errichten will und vom König, der in den Krieg zieht, machen deutlich: in der Nachfolge Jesu hat der Mensch eine Führungsposition inne!
Einen Turm bauen, das braucht schon viel Mut und Geld und Expertise, sei es als Prestigeobjekt oder auch nur als ein Wach- oder Lagerturm für den eigenen Weinberg. Jeder kann ihn sehen. Viele Gewerke sind daran beteiligt, Handarbeiter, Firmen müssen beauftragt, beaufsichtigt und entlohnt werden. Der Turm steht aufgereckt und markiert eine Position. Bleibt er als Bauruine stehen, wirkt er nicht länger beeindruckend, sondern nur noch lächerlich.
Einen Krieg führen, das Reich vergrößern, das braucht Besonnenheit. Das Ausweiten des eigenen Gebietes mit staatstragender Verantwortung für 10000 Mann und noch mehr Zivilisten betreiben. Der König trägt Verantwortung nach innen in seinem Reich für seine Untertanen wie auch nach außen, im Wettkampf mit anderen um Fläche, Einfluss und Macht.

Mit diesen Überlegungen in Führungspositionen werden die Menschen, die Jesus aus Interesse oder auch aus innerer Not und Sehnsucht nach Heilung heraus folgten, auf einmal konfrontiert. Das haben sie nicht erwartet. Keiner, liebe Gemeinde, keiner und keine von Jesu Zuhörern und Zuhörerinnen kalkulierte mit solchen Zahlen und Größen. Doch sie verstanden: wenn es um diese Dimensionen geht, macht man keine vorschnellen Versprechen. Nachfolge Jesu ist kein Sonntagsspaziergang. Wer mir nachfolgen will, sagt Jesus hiermit, der muss wissen, was er tut.

Denn: wer ihm nachfolgt, wird erkennbar, identifizierbar. Er oder sie steckt die Koordinaten der tatsächlichen, meist jedoch unsichtbaren Ausdehnungen des Reiches Gottes ab. Wer nachfolgt, markiert für seine Umgebung: Hier sind wir, ihr könnt, ihr müsst mit uns rechnen. Die geheimen Zeichen an den Wänden der Katakomben in Rom, die verfolgte Christinnen und Christen bei ihren Versammlungen an die Wände ritzten, der Fisch, Zeichen der lebendigen Herrschaft Christi, die trotz  Christenverfolgungen sich ausbreitende christliche Gemeinde - sie sind dem Evangelisten Lukas präsent, als er sein Evangelium verfasst.
Wer zu seiner Zeit Christus nachfolgte, lief Gefahr, umgebracht zu werden für seinen Glauben.

Im Schachspiel  sind der Turm und der König strategisch wichtige Positionen auf dem Spielbrett, die Einflussbereiche geltend machen. Sie markieren das Reich. Der König ist das Herz, das Zentrum, der Turm steckt die Flanken ab, vergrößert den Raum.
Egal, ob Jesus selbst ein Liebhaber strategischer Spiele war oder nur den realen Hintergrund dieser Spiele eindrücklich vor Augen hatte - er benennt zentrale Positionen. Der Bau eines neuen Wach- oder Verteidigungsturmes, die Vorboten eines Krieges - sie erfordern gründliche Überlegungen. Wer will, wer kann nach diesen Vergleichen noch von sich sagen: Ja Herr, ich folge dir nach?
Wer mir nachfolgt, sagt Jesus, muss wissen, was er tut.

Paul Gerhard dichtet das sehr begründete Zögern vor einer solchen Entscheidung in seine letzte Strophe des Chorals „Du meine Seele singe" und sagt: „Ach ich bin viel zu wenig, zu rühmen seinen Ruhm; der Herr allein ist König, ich eine welke Blum. Jedoch, weil ich gehöre gen Zion in sein Zelt, ist's billig, dass ich mehre sein Lob vor aller Welt." (EG 302,8)

Beides ist in diesen innigen Worte aus frommer Seele eingeschlossen: Das Wissen um die Größe und auch um die ergreifende Gegenwart von Gottes Reich in dieser Welt. Und die erschütterte Erkenntnis, dass wir Menschen mit Begabungen und auch mit vielen Fehlern ausgestattet sind und uns nicht ohne weiteres in die Verantwortung drängen. Im Gegenteil.
Doch selbst als zögerliches und unsicheres Wesen haben wir einen Ort im Reich Gottes, eine Aufgabe an unserer jeweiliger Position - wohl wissend, dass wir sie nicht selbst wählen, sondern dass sie uns von Gott gegeben wird. Und dass diese Position Konsequenzen haben kann für unser ganzes Leben und für alle die, die es teilen wie Vater, Mutter, Frau und Kinder. Nicht hassen im heutigen Sinne einer starken emotionalen Bindung ist gemeint, vielmehr eine Trennung, die Vernachlässigung ihrer Belange in Kauf nimmt und die Nachfolgenden unmittelbar vor Gott stellt, ohne den Rückhalt und ohne die Verantwortung für Vater, Mutter, Kind.

Jesus wendet sich den Menschen zu, die ihm nachgefolgt sind und kaum wissen, was auf sie zukommt. Nicht, dass er von ihnen tatsächlich eine Entscheidung forderte - die liegt nicht wirklich in der Macht dessen, der den Ruf in die Nachfolge in seinem Herzen spürt. Es ist ja weniger ein Ergreifen der Möglichkeit, ein Christ oder eine Christin zu sein, als vielmehr ein Antworten auf ein Ergriffen- Sein, wenn wir uns um Nachfolge in unserem Leben bemühen.

Was Jesus beschreibt, ist die Möglichkeit, in strategisch wichtiger Position Zeugnis abzugeben und die Kosten, die damit verbunden sind. Die Konsequenzen für Familie, Frau, Kinder und das eigene Leben.
Es gab und gibt immer wieder Menschen, die zu solchen strategisch wichtigen Menschen wurden und werden.
Im Dritten Reich haben die Mitglieder der Widerstandsgruppe um das Hittler-Attentat am 20. Juli 1944 und ihre Freunde dieses Risiko auf sich genommen. Dietrich Bonhoeffer befand sich unter diesen Freunden. Er wusste, dass sowohl seine Verlobte als auch seine Eltern durch dieses Handeln in großer Gefahr schwebten, dennoch war es ihm ein notwendiger Ausdruck seines Glaubens und Teil seines Verständnisses von Nachfolge, dass er sich gegen Hitler wandte. Getragen von dem Bewusstsein, dass in der Widerstandsgruppe der Geist christlicher Verantwortung lebendig war, und dass er nicht anders konnte als seiner inneren Stimme zu folgen, ging er seinen Weg in das Gefängnis, ständig in Sorge um seine Familie, da Himmler nach dem missglückten Attentat den Familien der Attentäter „absolute Sippenhaft" angedroht hatte.
In der DDR gab es junge Männer, die aufgrund ihres Glaubens den Dienst in der Nationalen Volksarmee verweigerten, deswegen inhaftiert und zu hartem Arbeitsdienst verurteilt wurden. Mancher hielt die Schikane nur durch mit dem Wissen: „Es gibt noch mehr, die so denken, ich bin nicht allein." Und in dem Vertrauen, dass seine Kirche alles daran setzen werde, ihn frei zu bekommen.
Wer mir nachfolgt, sagt Christus, muss wissen, was er tut. Schnell kommt einer, der bis eben noch ein unauffälliger Christ unter vielen war in eine Position, in der an exponierter Stelle zur Erkennbarkeit des Reiches Gottes beitragen muss. Dann kann es nötig sein, die gewohnten Sicherheiten wie Arbeit, Familie, Lebensumfeld neu zu bewerten und Entscheidungen zu treffen, die das Wohl der Nächsten hintenan stellen.

In Deutschland leben wir derzeit nicht in einer existentiellen Bekenntnissituation. Unsere Nachfolge spielt sich zumeist in anderen  Dimensionen ab als die eines Dietrich Bonhoeffer oder eines Christen in der Rolle des Regimekritikers. Doch auch wir haben unsere sozialen Bezüge, die uns Halt geben wie Vater, Mutter, Mann und Kinder, vertraute Sicherheiten, die uns lieb und teuer sind. Selbst in unserer nicht exponierten Position sind diese Bindungen manchmal gefährdet, wenn wir zum Beispiel im Kollegenkreis zu bekennen, ich gehe zum Gottesdienst. Ich zahle Kirchensteuer. Oder sagen: ich gehe aus Überzeugung nicht am Sonntag zum Shopping, auch wenn die Einkaufsparks im Gewerbegebiet oder die Werbegemeinschaften der Innenstädte mit Aktionstagen locken.

Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi werden nach wie vor gesucht - für hauptamtliche Mitarbeit in der sichtbaren Kirche genauso wie in spontanen Begegnungen, in denen wir uns unversehens in strategisch wichtiger Position gefordert sehen und für das Wort Gottes mit ganzem Herzen und mit Überzeugung eintreten. Wir  wissen nicht, wann und wo dies geschieht. Wir hören nur aus diesen Worten Jesu: Gott ist nicht wichtig, woher wir kommen. Er nimmt uns, wie wir gerade sind. Gott ist wichtig, dass wir uns von ihm führen lassen. Er sucht Menschen, die seiner lebendigen Kraft vertrauen und sich bewegen lassen.



Pastorin Claudia Bruweleit
Kiel
E-Mail: bruweleit@heiligengeistgemeinde.de

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